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Meinung

Analyse zur EU-Erweiterung
EU trifft historischen Entscheid für die Ukraine

European Council President Charles Michel makes a statment to the media regarding opening accession negotiations with Ukraine and Moldova during an EU summit in Brussels, Thursday, Dec. 14, 2023. European Union leaders, in a two-day summit are discussing the latest developments in Russia's war of aggression against Ukraine and continued EU support for Ukraine and its people. (AP Photo/Virginia Mayo)
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Nur ein kurzes Drama und kein Marathongipfel wie befürchtet. Am Ende ging alles schneller als erwartet. Die EU eröffnet Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine sowie Moldau und gewährt Georgien den Kandidatenstatus. EU-Ratspräsident Charles Michel meldete schon am frühen Abend den Durchbruch. Dass Viktor Orban seine Blockade aufgeben würde und dann noch so schnell, hatte kaum jemand erwartet. Der Ungar habe während der Entscheidung den Raum verlassen und sich damit der Stimme enthalten, sagten Diplomaten. Der Rechtspopulist selber sprach am Abend von einer «völlig sinnlosen, irrationalen und falschen Entscheidung» des Gipfels.

Viktor Orban kann nun behaupten, dass er nicht eingeknickt ist, und für die EU war der Weg frei für einen historischen Schritt. Das Signal ist wichtig als klares Bekenntnis der Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression. Ein klares Zeichen vor einem Winter, der äusserst schwierig werden wird, und in einer Zeit, in der im Westen viel von der Ukraine-Müdigkeit die Rede ist. Und eine Botschaft auch Richtung Wladimir Putin in Moskau, der an seinen imperialen Plänen festhält, die Frieden und Sicherheit weit über die Ukraine hinaus infrage stellen.

Eine Blamage schien am Morgen noch unvermeidlich

«Schenkt Putin nicht diesen ersten und einzigen Sieg in diesem Jahr», hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski von einem Zwischenstopp in Deutschland per Video zugeschaltet an die Staats- und Regierungschefs appelliert. Europa müsse gewinnen und dafür zu seinem Wort stehen. Früher am Tag hatte es nicht so ausgesehen, als könnte die EU die ungarische Blockade überwinden. Eine Blamage für die EU und gleichzeitig ein Sieg für Putin schienen unvermeidlich.

Der Herrscher im Kreml hätte triumphiert, wenn der Gipfel ohne Einigung zu Ende gegangen und die EU der Ukraine die kalte Schulter gezeigt hätte. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatten den Ungarn bei der Ankunft in Brüssel in kleiner Runde bearbeitet. Doch Viktor Orban gab sich zuerst einmal unbeeindruckt. Die Ukraine habe von sieben Bedingungen nur vier erfüllt, das sage selbst die EU-Kommission.

epa11028466 Hungarian Prime Minister Viktor Orban (R) and Greece's Prime Minister Kyriakos Mitsotakis (back, L) attend a European Council in Brussels, Belgium, 14 December 2023. EU leaders are gathering in Brussels for a two-day summit to discuss the latest developments in relation to Russia's invasion of Ukraine, and in the Middle East, including the humanitarian situation in Gaza, the block's enlargement policy and long-term budget 2021-2027, as well as security and defense, among other topics.  EPA/OLIVIER HOSLET

Dass der ungarische Premier nicht mehr grundsätzliche Opposition markierte, sahen Beobachter jedoch schon als erstes Zeichen für Bewegung. Umso mehr, als Brüssel von Anfang an ein zweistufiges Verfahren vorgeschlagen hatte mit einem weiteren Rendez-vous im März. Bis dann soll die Ukraine die offenen Punkte bei Justizreform, Korruptionsbekämpfung und Minderheitenschutz abarbeiten. Viktor Orban hat dann die nächste Möglichkeit für eine Blockade, bevor dann im Frühjahr der Verhandlungsrahmen beschlossen werden kann.

Das grüne Licht für den Start der Beitrittsverhandlungen ist ein wichtiges Signal, aber nicht mehr. Auch die EU ist jetzt in der Verantwortung zu liefern. Selbst im besten Fall kann es zehn Jahre dauern, bis die Ukraine und Moldau tatsächlich EU-Mitglieder sein werden. Die EU muss bis dann auch endlich klären, wie sie trotz immer mehr Mitgliedern in Zukunft noch entscheidungsfähig bleiben kann. Auch die Frage des Geldes muss geklärt werden, denn die Ukraine als grosser Flächenstaat mit starker Landwirtschaft wird den EU-Haushalt sprengen.

Orbans Stimmenthaltung wird relativiert

Die Ukraine müsste überhaupt der Anlass sein für die EU, die Beitrittsverfahren zu überdenken. Insgesamt müssen Kandidatenländer Dutzende Kapitel mit EU-Recht vom Konsumentenschutz bis zum Binnenmarkt absorbieren. Jedes Mal, wenn ein Kapitel geöffnet oder geschlossen wird, braucht es wieder Einstimmigkeit. Für Orban und Co. gibt es auf dem Weg bis zu einem Beitritt gegen hundert Möglichkeiten, zu blockieren und zu verzögern. Das relativiert auch die Stimmenthaltung heute.

Die EU pocht heute gern darauf, dass jedes Land nach seinen Fortschritten bewertet wird, dass Beitrittsverfahren leistungsbasiert sein müssten. Seit Russlands Angriff geht es bei der Aufnahme neuer Mitglieder aber auch um Geopolitik. Diesen Widerspruch müsste die EU bald auflösen. Es bräuchte eine Annäherung mit Zwischenschritten und frühen Erfolgserlebnissen. Der Blick auf den Balkan zeigt heute, dass Hoffnungen angesichts der langwierigen Beitrittsverhandlungen mit den Jahren in Enttäuschung umschlagen können. Die Ukraine sollte bis zu einem Beitritt nicht endlos warten müssen. Die EU kann sich ein Machtvakuum weder auf dem Balkan noch an ihrer östlichen Nachbarschaft leisten.