Migration nach PolenTusk will Polens Grenze dichtmachen – «Ich verhandle mit niemandem»
Der polnische Premier will das Asylrecht aussetzen, doch seine eigene Regierung verweigert ihm die Gefolgschaft. Zuspruch erhält er dafür von der rechtsextremen Opposition.
- Donald Tusk plant eine befristete Aussetzung des Asylrechts in Polen.
- Kritik kam aus Tusks Koalition, auch das EU-Recht wurde herangezogen.
- Die meisten irregulären Grenzübertritte betreffen ukrainische Staatsbürger.
- Polens Gesellschaft befürchtet durch hohe Migrationszahlen Spannungen.
Es ist ein besonderer Tag, an dem der polnische Ministerpräsident Donald Tusk zum Kabinettstreffen gerufen hat: Am 15. Oktober vor einem Jahr wählten die Polinnen und Polen ein neues Parlament. Tusk und seine Koalitionspartner erreichten eine Mehrheit, erhielten gemeinsam mehr Stimmen als die rechtsnationalistische PiS-Partei, die zwar stärkste Kraft geworden war, aber nach acht Jahren in der Regierung ihre Mehrheit verloren hatte.
Donald Tusk hielt sich nicht allzu lange auf mit einer Rückschau auf zehn Monate im Amt, er schaut offenbar lieber nach vorn. Und da sieht er den EU-Gipfel in Brüssel, auf dem einmal mehr auch das Thema Zuwanderung eine Rolle spielen wird. Auf dem Parteitag der Bürgerplattform (PO), deren Vorsitzender Tusk ist, hatte der Premier am Wochenende gesagt, eine zeitweise befristete und territorial eingeschränkte Aussetzung des Asylrechts sei Teil seines Plans zur Abwehr unerwünschter Migranten, die an der Grenze zu Belarus ankommen.
Tusk will nicht verhandeln – «mit niemandem»
Und falls das am Wochenende noch nicht alle verstanden hatten, schob der Premier am Montag nochmals auf X hinterher, dass er in der Frage der polnischen Sicherheit nicht verhandle, «mit niemandem». Seine Regierung werde die «Pflicht, die polnischen und europäischen Grenzen zu schützen, (…) erfüllen».
In Tusks Koalition aus vier Parteien war die Idee der Aussetzung des Asylrechts, die Tusk weniger als Forderung denn als festes Vorhaben formuliert hatte, auch auf Kritik gestossen. So erklärte der Vorsitzende der christlich-grünen Partei Polska 2050, das Asylrecht sei «heilig». Auch die Linke verwies auf EU-Recht und forderte den Justizminister auf, eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Lediglich die rechtsextreme Konfederacja, die in der Opposition ist, hatte erklärt, Tusks Pläne unterstützen zu wollen.
Eine linke Senatsabgeordnete trat am Dienstag gemeinsam mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen vor die Presse und forderte eine öffentliche Anhörung zur Migrationsstrategie. Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland, die einen Film über die Migration über die Grenze aus Belarus gedreht hat, warnte bei dieser Gelegenheit davor, mit Forderungen wie der Tusks «rechtsextreme Politiker» zu übertrumpfen und sich über internationale Vereinbarungen hinwegzusetzen.
Die meisten Migranten in Polen kommen aus der Ukraine
Laut Daten der Europäischen Grenzsicherungsagentur Frontex wurden im Jahr 2023 an den EU-Aussengrenzen im Osten 5608 irreguläre Grenzübertritte registriert, wie es in der Behördensprache heisst, das war ein Rückgang von zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die meisten waren demnach ukrainische Staatsbürger, ihre Zahl belief sich auf 4230. Ausserdem kamen 214 aus Afghanistan und 184 aus Syrien.
Der Migrationsforscher Maciej Duszczyk, der von der Regierung Tusk als Staatssekretär ins Innenministerium berufen wurde, sagte dem privaten Fernsehsender TVN 24, die Zahl der in Polen lebenden Migranten sei «grenzwertig». Seien es vor zehn Jahren noch 100’000 Ausländer gewesen, seien es nun bereits 2,5 Millionen. Man müsse darüber nachdenken, ob das den gesellschaftlichen Frieden gefährde.
Polens Bevölkerung nimmt ab
Polen hatte nach dem russischen Überfall auf die Ukraine vorübergehend die meisten Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Viele hatten in Privathaushalten Unterschlupf gefunden. Heute leben nach Daten des Statistikamtes etwa eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen, zudem mehr als 100’000 Menschen aus Belarus.
Wie am Dienstag veröffentlichte Daten des Statistikamtes GUS zeigen, leben insgesamt aber immer weniger Menschen in Polen. Aktuell sind es 37,56 Millionen Menschen. 1990 waren es noch eine halbe Million mehr. Seit einigen Jahren aber wandern mehr Menschen ein als aus. Innenminister Tomasz Siemoniak warnte im Sender TVP Info vor Menschen, die im Namen von Russland und Belarus Sabotage und Terror nach Polen brächten. Es gehe bei den Grenzschutzmassnahmen um die Sicherheit der polnischen Bevölkerung.
Fehler gefunden?Jetzt melden.