Boom bei ElektroautosPlötzlich sind die Schweizer Autos sauberer
Die Schweizer kaufen dieses Jahr weniger Autos – und weniger klimaschädliche als 2019. Das zeigen neue Zahlen. Den Autoimporteuren drohen trotzdem hohe Sanktionen.
Die Wende ist unerwartet gekommen. Nach jahrelanger Abnahme stieg der durchschnittliche CO₂-Ausstoss der Neuwagen in den letzten drei Jahren, von 134 auf 138 Gramm pro Kilometer und Fahrzeug. Nun aber verdichten sich die Anzeichen, dass der Pfeil wieder nach unten zeigt – und damit in die klimapolitisch erwünschte Richtung. Von Januar bis Ende Oktober sind die CO₂-Emissionen der Neuwagen gesunken, auf rund 129 Gramm und damit den bisher tiefsten Wert, wie das Bundesamt für Energie (BFE) bestätigt.
Der Grund dafür ist der Boom, den Fahrzeuge mit alternativem Antrieb erleben. Im laufenden Jahr war jedes achte verkaufte Modell ein aufladbares, also ein rein elektrisches Fahrzeug oder ein Plug-in-Hybrid; letztes Jahr war es erst jedes zwanzigste. Stark zugelegt haben auch Hybrid-Fahrzeuge ohne Stecker. Insgesamt beträgt der Marktanteil der Autos mit alternativem Antrieb im laufenden Jahr 25 Prozent, dies allerdings in einem stark rückläufigen Markt. Von Januar bis Oktober sind knapp 185’000 neue Personenwagen auf die Strasse gekommen, ein Minus von rund 27 Prozent gegenüber der gleichen Vorjahresperiode. Die Corona-Krise hinterlässt also starke Bremsspuren. Branchenkenner sprechen vom schwärzesten Autojahr seit Mitte der 70er-Jahre.
Auto-Schweiz, die Vereinigung der Schweizer Autoimporteure, bezeichnet die CO₂-Drosselung auf Anfrage als «positiv». Mit diesem Wert hätten die Importeure bis vor kurzem aufatmen können: Sie hätten das bisherige Klimaziel von 130 Gramm erstmals überhaupt erfüllt und sich damit millionenschwere CO₂-Sanktionen erspart. Seit diesem Jahr gilt nun aber – wie in der EU – die verschärfte Vorgabe von 95 Gramm. Die Importeure rechnen mit einem dreistelligen Millionenbetrag. Letztes Jahr waren es 78 Millionen Franken, was den bisherigen Rekord markiert.
Ob die Neuwagenverkäufe bis Ende Jahr den Ausstoss weiter senken werden, ist unklar. Das BFE wagt dazu keine Prognose. Entscheidend wird sein, wie sich der Markt entwickelt. Verschiedene E-Modelle kommen in den nächsten Wochen noch auf den Markt oder sind eben erst in den Verkauf gelangt, zum Beispiel der ID.3, mit dem Volkswagen E-Autos massentauglich machen will. Der E-Boom dürfte sich eher noch verstärken und damit der durchschnittliche CO₂-Ausstoss der Neuwagenflotte weiter sinken, auf circa 125 Gramm, wie ein Branchenkenner schätzt.
«Ohne Corona-Krise wären in diesem Jahr noch deutlich mehr Fahrzeuge mit Alternativ-Antrieb in die Schweiz gekommen.»
Doch auch dieser Wert wäre noch deutlich über dem neuen Klimaziel von 95 Gramm. Der Bund solle den Importeuren deshalb die Sanktionszahlungen für 2020 und 2021 erlassen, fordert Nationalrat Walter Wobmann. Seinen Vorstoss begründet der SVP-Politiker mit der Corona-Krise, welche die Autobranche hart treffe. Die Verbindung von fehlenden Erträgen und CO₂-Sanktionen sei «toxisch». Noch im Sommer befand Auto-Schweiz, Wobmanns Vorstoss gehe in die richtige Richtung. Nun tönt es zurückhaltender. Die Motion sei Sache des Parlaments, sagt Sprecher Christoph Wolnik.
Auto-Schweiz stellt stattdessen selber eine Forderung auf. Seine Mitglieder sollen «keine zusätzlichen CO₂-Sanktionen bezahlen müssen, die ausschliesslich auf die Corona-Krise und die Massnahmen zu deren Eindämmung zurückzuführen sind». Gemeint sein könnte damit etwa die Tatsache, dass Werke während des Lockdown im Frühjahr ihren Betrieb einstellen mussten und es nun zu Lieferungsverzögerungen kommt.
Nur: Waren Autos mit alternativem Antrieb davon stärker betroffen als Benzin- und Dieselfahrzeuge? Noch im April hatte Auto-Schweiz gewarnt, die Zulassungen von E-Autos und Plug-in-Hybriden könnten «aufgrund der nachlassenden Nachfrage und der Lieferschwierigkeiten noch stärker zurückgehen als der Gesamtmarkt». Diese Einschätzung, so zeigen die Verkaufszahlen, hat sich nicht bewahrheitet. Mittlerweile argumentierte Auto-Schweiz denn auch anders: «Ohne Corona-Krise wären in diesem Jahr noch deutlich mehr Fahrzeuge mit Alternativ-Antrieb in die Schweiz gekommen», so Sprecher Wolnik.
«Es ist zwingend nötig, die Sanktionszahlungen für die Importeure aufrechtzuerhalten.»
Wie sich die Corona-Krise auf die CO₂-Bilanz der Importeure auswirkt – dazu hat das BFE unlängst eine Umfrage durchgeführt. Doch die Ergebnisse bleiben unter Verschluss. Sie würden sensible Unternehmensdaten enthalten, begründet das BFE. So oder so: Eine saubere Rechnung zu machen, dürfte schwierig werden. Das BFE müsste bei jedem einzelnen Importeur exakt feststellen können, inwieweit die Corona-Krise die Zusammensetzung der Neuwagenflotte und damit deren CO₂-Ausstoss beeinflusst hat.
Die Forderung von Auto-Schweiz hat im Parlament gleichwohl Fürsprecher. FDP-Ständerat Thierry Burkart etwa bezeichnet sie mit Blick auf die Corona-Krise als «gerechtfertigt». Inwieweit sie mehrheitsfähig ist, muss sich noch weisen. Dasselbe gilt für Wobmanns Vorschlag. Die Politik ist den Schweizer Autoimporteuren jedenfalls bereits entgegengekommen. So bleiben jene Autos mit dem höchsten CO₂-Ausstoss aus der Klimabilanz der Importeure ausgeklammert – was die CO₂-Bilanz auf dem Papier verbessern wird. Heuer werden die schlechtesten 15 Prozent gestrichen, 2021 sind es noch 10 Prozent, 2022 5 Prozent. Anders die EU: Sie gewährt dieses sogenannte Phasing-in nur dieses Jahr. Ab 2021 werden alle Neuwagen angerechnet.
GLP-Chef Jürg Grossen sagt vor diesem Hintergrund: «Es ist zwingend nötig, die Sanktionszahlungen für die Importeure aufrechtzuerhalten.» Der jüngste Trend zur Absenkung des CO₂-Ausstosses sei zwar erfreulich, er müsse nun aber deutlich verstärkt werden, um bei der Erfüllung des Pariser Klimaabkommens einen Schritt weiterzukommen.
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