Weltmeisterin Jasmine Flury«Wenn sie mich einfach nur anschauen, weiss ich nicht, was tun»
In Crans-Montana tritt die Bündnerin erstmals seit ihrem grossen Abfahrtstriumph an. Dass sie seither oft im Fokus steht, ist ihr nicht nur angenehm.
Der Alltag hat sie wieder – und darüber ist Jasmine Flury froh. Weil damit Ruhe und Struktur in ihrer Welt einkehrt, die vor zwei Wochen aus den Fugen geraten ist.
Es gibt für Flury ein Leben vor dem 11. Februar 2023 – und eines danach. An jenem Samstag fuhr sie an der WM in Méribel sensationell zu Abfahrtsgold. Damit steht sie nun auf einer Stufe mit Schweizer Ski-Ikonen wie Marie-Therese Nadig, Michela Figini und Maria Walliser. Und so lässt Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann sie danach wissen: «Dein Leben wird sich ändern.» Der Aargauer weiss als Abfahrts-Weltmeister von 1993 Bescheid.
Die Krux mit den Gratulationen
Blickt Flury auf die Tage nach ihrem Coup zurück, so lässt sich das am besten mit dem Begriff «Ausnahmezustand» zusammenfassen. Kaum zurück aus Frankreich, darf sie den Puckeinwurf beim Spiel Davos - Servette machen. Es ist zweifellos ein spezieller Moment, stand sie doch als Mädchen oft auf der Stehplatztribüne und fieberte mit dem HCD mit.
Und von den heimischen Gefilden geht es gleich weiter – gewissermassen auf den Olymp für Schweizer Sportler, ins «Sportpanorama» des Schweizer Fernsehens. Es sollte nicht ihr letzter Auftritt vor einer Kamera bleiben. «Es war viel los in den letzten Tagen, um die eine oder andere Stunde Schlaf mehr wäre ich froh gewesen», sagt sie. «Aber ich versuchte mir die Zeit gut einzuteilen, war auch mal einen Tag nicht erreichbar.» Hilfe erhält sie von ihrem Management um Isabel Fehr und Andrea Zinsli. Letzterer fuhr in den 1990er-Jahren ebenfalls im Weltcup. «Vieles kam gar nicht direkt zu mir, wir sprechen uns jeweils kurz ab. Sie machen es megagut, dafür bin ich extrem dankbar», sagt Flury.
So vieles ist seit dem 11. Februar auf die Bündnerin niedergeprasselt. Schönes, wie der Empfang daheim in Monstein. Auf die Frage, ob sie sich für den WM-Titel bereits etwas gegönnt habe, meint Flury lachend: «Zwei Tage habe ich gefeiert, das muss reichen. Es sind sehr viele Leute zum Fest nach Monstein gekommen, das konnte ich wirklich geniessen.»
Ihr Zuhause, dieser 200-Seelen-Ort unweit von Davos, ist für die 29-Jährige ein Glücksfall. Corinne Suter, die als Weltmeisterin und Olympiasiegern bereits entsprechende Erfahrungen gemacht hat, erzählt, wie sie jeweils froh war, wenn sie die eigenen vier Wände nach einem grossen Sieg wieder verlassen konnte. Weil dann niemand mehr an ihrer Tür klingelt. «Es ist extrem schön, wenn die Leute einem gratulieren wollen, aber das nimmt dir auch Energie», sagt sie. Flury muss darob lachen. Wahrscheinlich hätte die eine oder der andere bei ihr ebenfalls klingen wollen. «Aber sie haben es dann sein lassen, weil mich ja eh alle kennen und wissen, dass ich im Moment auch mal froh um ein paar ruhige Minuten bin.»
Ganz anders sieht es aus, wenn sie nach Davos zum Einkaufen fährt. Da sind nun Blicke, die sie beim Gang durch die Regale verfolgen. «Daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Es ist angenehmer, wenn mich die Leute direkt ansprechen, als wenn sie mich einfach nur anschauen, weil ich da nicht recht weiss, was ich tun soll», sagt sie.
In Crans-Montana sind sie Rockstars
Vorerst steht nun wieder der Sport im Vordergrund. Und damit für die Schweizerinnen gleich die grösstmögliche Bühne abseits eines Grossanlasses. Denn nirgendwo ist der Rummel um sie so gross wie in Crans-Montana. Wie Rockstars würden sie hier zuweilen behandelt, sagt Michelle Gisin. Und konnte Flury in den letzten Jahren ihr, Suter und Lara Gut-Behrami den Vortritt lassen, wird sie an diesem Wochenende ebenfalls im Fokus stehen. Sie wolle das auch geniessen, hält sie fest. «Da sind die kleinen Kinder, die sich fast nicht getrauen, für ein Foto zu fragen. Mir ging das doch genauso. Dass ich nun in dieser Rolle bin, ist nicht selbstverständlich.»
Insofern hilft ihr auch die Erfahrung. 2017 gewann sie in St. Moritz im Super-G, es ist ihr einziger Weltcupsieg. Nach dem Triumph aber setzte sie sich stark unter Druck, weil sie das Gefühl hatte, diesen bestätigen zu müssen. «Nun sehe ich auch die schönen Seiten. Die Tatsache, wie viele Leute sich mit dir freuen, mit einer Skifahrerin, die einfach so schnell wie möglich runterfährt, das ist schon sehr speziell.»
Trotz WM-Gold zählt Flury in Crans-Montana nicht zum engsten Kreis der Favoritinnen. Das hilft zweifellos in diesen Tagen des Ausnahmezustands.
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