Ein Schweizer in VancouverSeine Intelligenz lässt selbst die Nerds verzweifeln
Pius Suter hat es mit seiner Hockey-Cleverness zum zuverlässigen Allrounder in der NHL geschafft. Aktuell schwebt er mit den Canucks auf Wolke 7. Zuletzt glänzte er auch als Skorer.

Beginnen wir mit einer Aufgabe: Denken Sie spontan an einen Schweizer NHL-Stürmer! Wer ist es? Spektakelmann Kevin Fiala? Nico Hischier, Spielmacher, Captain und Defensivarbeiter in einem? Oder Timo Meier, der wuchtige Torschütze? Apropos Wucht: Wer verkörpert die NHL besser als Nino Niederreiter, der einem Bulldozer gleich in den Slot fährt und dort als Meister der hässlichen Treffer die Pucks ins Tor lenkt, schiebt und stochert?
Pius Suter war es kaum. Oder doch? Dann sind Sie entweder verwandt oder befreundet mit dem 27-jährigen Zürcher. Oder ein Hardcore-ZSC-Fan, der immer noch der Corona-Saison nachtrauert, als die Lions die Qualifikation gewannen, Suter Liga-Topskorer war, das Playoff aber Covid zum Opfer fiel. Vielleicht gehören Sie in der Hockeywelt aber auch zur Bubble der Analytics-Nerds.
Diese beschäftigt Suter immer wieder, seit er 2020/21 sein NHL-Abenteuer begann. Hin und wieder bringt er die Zahlenfanatiker sogar zur Verzweiflung. Wie letzten Sommer, als er mit einem Zweijahresvertrag nach Vancouver wechselte. Das Fachblatt «The Athletic» wollte analysiert haben, was der Schweizer den Canucks genau bescheren würde.
Beim Thema Penalty Killing schliesslich kapitulierte der Autor: Es gebe Fälle, in denen selbst bewährte mathematische Modelle versagen würden. Suters positiver Einfluss aufs Unterzahlspiel bei seinem letzten Club Detroit sei gemäss Zahlen so gut gewesen, dass das schlicht nicht stimmen könne.
Die unheimlich guten Zahlen
Doch siehe da: Auf diesen Wärmekarten ähnlichen Grafiken, wo rot viel und blau wenig Torgefahr bedeutet, sieht jene mit den Penalty-Killing-Einsätzen Suters auch in Vancouver aus wie ein Bild eines tiefblauen Ozeans. Oder um es mit den Zahlen von Hockeyviz.com, einem Tummelfeld für Hockey-Nerds, zu sagen: Mit Suter auf dem Eis ist das Unterzahlspiel Vancouvers um 17 Prozent besser als der Liga-Durchschnitt, ohne ihn aber um 14 Prozent schlechter!
Kombiniert mit seinen grundsätzlich guten defensiven Zahlen und dem Fakt, dass Suter in 35 Spielen bei 5-gegen-5 erst bei sieben Gegentoren auf dem Eis stand, ergibt sich ein zauberhaftes Gesamtbild der Stabilität.
«Wenn Statistiken mich besser aussehen lassen, dann nehme ich sie gerne», sagt Suter und lacht. Es herrscht derzeit generell Freude in seinem Leben. Und dies nicht nur, weil seine Ehefrau Sara derzeit häufiger zu Besuch ist als in seinen ersten drei Jahren in Nordamerika.
Auch sportlich läuft es: Die Canucks siegen und siegen, zuletzt sogar nach einem 1:4-Rückstand. Sie, die notorisch erfolglosen, die in den letzten acht Jahren das Playoff sieben Mal verpassten und seit dem verlorenen Final 2011 nur noch einmal eine Best-of-7-Serie gewinnen konnten. Sie sind aktuell nicht nur die Nummer 1 in der NHL, sie schiessen auch am zweitmeisten Treffer und haben die mit Abstand beste Tordifferenz.
«Dass wir ein Team mit vielen guten Spielern haben, wussten wir», sagt Suter. «Aber mit so etwas haben wir dann doch auch nicht gerechnet.»

Letzte Woche stand Suter auch wegen persönlicher offensiver Höhepunkte in den Schlagzeilen: der 100. NHL-Skorerpunkt der Karriere. Vier Tore und zwei Assists in den letzten drei Spielen – und natürlich der Hattrick gegen St. Louis, bei dem er mit drei Treffern in einem Drittel einen Clubrekord egalisierte.
Marc Crawford jubelt mit
In der Heimat in Zürich sass mit Marc Crawford auch ein ehemaliger Coach Suters begeistert vor dem Bildschirm. Crawfords Sohn Dylan ist Videocoach der Canucks, darum verfolgt der ZSC-Cheftrainer das Team näher. Und weil er an diesem Donnerstagmorgen früh aufgewacht war und spontan das Spiel schaute, sah er die Treffer des Schweizers im Schlussdrittel live.
Es war Suters zweiter Hattrick in der grossen Liga, an den ersten erinnerte sich Crawford sofort: Es war mit Chicago, Crawford coachte damals die Blackhawks, und er trug an jenem Abend seine ZSC-Krawatte: «Ich liess sie vor dem Spiel von Pius und Philipp Kurashev, dem zweiten Schweizer im Team, berühren», erzählt der 62-Jährige mit einem Schmunzeln. Auch der Kanadier ist begeistert vom Spielverständnis seines ehemaligen Centers.
Weil dieses so schwierig messbar ist, zeigt es sich in Suters Spiel vielleicht auch so: Wie Niederreiter schiesst er seine Treffer häufig im Slot, das tat er schon beim ZSC. Da ihm mit seinen 1,80 Metern und 79 Kilogramm aber die körperlichen Voraussetzungen fehlen, um Gegner aus dem Weg zu räumen, kommt Suter dank Köpfchen zu seinen Abschlüssen. Bereits in der Schweiz galt er als besonders intelligenter Spieler.
Und wenn er aufzählt, in welchen Bereichen er sich in bald vier Jahren NHL verbessert habe, nennt Suter nicht überraschend andere Dinge: das Spiel entlang der Banden. Die Fähigkeit, den Puck trotz Bedrängnis am Stock zu halten. Sowie das sogenannte Boxout, diese häufig unterschätzte Fähigkeit, Gegner innerhalb der Regeln aus dem eigenen Slot zu befördern – physische Elemente also. «Und dank ihnen stieg auch stetig mein Selbstvertrauen», sagt Suter.

Der erste NHL-Hattrick und Chicago sind längst Vergangenheit. 2021 wechselte er nach Detroit, und weil er zuvor in Chicago wegen Corona-Restriktionen nur zwischen Wohnung, Hotel und Eishallen gependelt war, erlebte er erst bei den Red Wings das echte nordamerikanische NHL-Feeling in einer Grossstadt.
Wobei Suter relativiert: Dieses geniesse er nun erst in Vancouver so richtig. Wegen Detroits hoher Kriminalitätsrate wohnen die Spieler ausserhalb, nie käme es ihnen in den Sinn, sich einfach so mal ohne Auto und zu Fuss in der Stadt zu bewegen. Genau das aber tue er in Vancouver, erzählt Suter.
Weil die Canucks als geografisches Randteam der Liga häufiger auf langen Roadtrips sind als andere, fehlte ihm allerdings bislang die Zeit, all die Vorzüge der gerade bei Schweizern beliebten Stadt ausgiebig zu erkunden: «Die Berge, die ganze Natur, all das ist um Vancouver sehr schön», sagt Suter.
Fix eingeplant habe er auch einen Trip hinaus auf den Pazifik, um Wale beobachten zu können. Das und noch mehr müsse aber wohl bis nach der Saison warten – dann ist Sightseeing rund um seine neue zweite Heimat eingeplant.
Plötzlich kamen viele Langnauer
Und wer weiss: Vielleicht geht diese Saison in Vancouver deutlich länger als erwartet. Der Erfolgshunger ist auch bei Suter gross, er hat seit dem Titel mit dem ZSC 2018 nie mehr Playoff-Hockey gespielt. Sollte der grosse Coup mit den Canucks gelingen, würde sein Name bei der eingangs gestellten Aufgabe plötzlich ungleich häufiger genannt werden.
Was er diese Saison klammheimlich bereits geschafft hat: Mit seinen mittlerweile zwölf Toren liegt er ex aequo mit Niederreiter und Fiala nur noch einen Treffer hinter Hischier und der aktuellen Schweizer Nummer 1. Bereits auf einer Stufe präsentiert wurden die beiden letzten Dezember, als beim Gastspiel New Jerseys das Schweizer Konsulat ein Meet and Greet mit Suter und den vier «Swiss Devils» Hischier, Meier, Jonas Siegenthaler und Akira Schmid organisierte.
Dass in Vancouver viele Schweizer leben, wusste auch Suter. Was den Zürcher aber überraschte: «Es kamen viele Leute in Langnau-Jerseys …»
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