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Meinung

Philipp Loser über Putins Macht
Am Schluss gewinnt immer der Diktator

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Anne Applebaum, die berühmte Historikerin, Journalistin und Osteuropa-Expertin, hat in der aktuellen Ausgabe von «The Atlantic» zum Tod des russischen Kremlkritikers Alexei Nawalny geschrieben. Es ist ein düsterer Text, ein trauriger, aber er hat einen hoffnungsvollen Schlusssatz. Für einen Diktator wie Wladimir Putin, der dank Lügen und Gewalt überlebt, sei jemand wie Nawalny eine unerträgliche Herausforderung, schreibt Applebaum. Darum habe er sterben müssen.

Aber: «Jetzt ist Putin gezwungen, gegen die Erinnerung an Nawalny zu kämpfen, und das ist ein Kampf, den er niemals gewinnen kann.»

Stimmt das tatsächlich? Wird Putin diesen Kampf verlieren?

Wer kann sich etwa an Iskander Chatloni erinnern? An Juri Schtschechotschichin, Alexander Litwinenko, Stanislaw Markelow oder Natalia Estemirowa? An Paul Klebnikow oder Sergei Magnizki?

Sie alle waren Kritikerinnen und Kritiker des russischen Regimes. Sie alle sind Opfer des russischen Regimes. Sie wurden vergiftet, erschossen oder starben im Gefängnis, wo sie zu Unrecht einsassen.

Selbst die Erinnerung an Leute wie Anna Politkowskaja, die Journalistin, die kritisch über den Tschetschenien-Krieg (und über Putin) berichtet hatte, oder Boris Nemzow, den Oppositionellen, der für kurze Zeit tatsächlich als halbwegs ernsthafter Rivale Putins galt, ist höchstens noch vage. Dabei hatten die Morde an Politkowskaja und Nemzow im Westen ähnlich viel Aufmerksamkeit erregt wie nun der Tod Nawalnys.

Aber nicht für lange. Heute muss googeln, wer sich an tote Kremlkritiker erinnern möchte.

In Russland selber ist das noch viel schwieriger. Das autokratische Regime hat den Kampf gegen die Erinnerung an ermordete Oppositionelle in den vergangenen Jahren auf eine perverse Art perfektioniert. Gegen die wenigen Gedenkveranstaltungen zum Tod Nawalnys griffen die Behörden rigoros durch. Hunderte Russinnen und Russen wurden verhaftet, weil sie spontan Blumen niederlegten.

Blumen.

Kritik an Putin, Kritik am Krieg in der Ukraine wird von den Behörden mit aller Macht unterdrückt. Seit dem Einmarsch in der Ukraine wurden laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen über 20’000 Menschen verhaftet, weil sie es wagten, den Krieg zu kritisieren. Und so lautet das Fazit zu Russland im aktuellen «Spiegel»: «Das Regime hat sich in den vergangenen zwei Jahren des Ukrainekriegs als fürchterlich stabil erwiesen. Die meisten Menschen haben sich dem Machthaber ergeben.»

Dazu passt das Verhalten von rechten Figuren wie Tucker Carlson, Elon Musk oder unserem Roger Köppel, die dem «missverstandenen» Autokraten Putin das Mikrofon hinhalten und für die russische Optik im Ukrainekrieg argumentieren. Was dabei als «Anti-Mainstream» ausgegeben wird, ist in Wahrheit ein opportunistisches Gespür für Macht. Es ist Bewunderung für die Art und Weise, wie Diktatoren sich unangefochten an der Spitze halten. Mächtige Männer. Verbündete im Kampf gegen die «Wokeness des Westens».

Natürlich kann man sich über westliche Bubis lustig machen, die sich Russland andienen. Aber die harte Wahrheit ist folgende: Die Bubis setzen auf einen Gewinner. Es gibt keine Anzeichen, dass Putin kurz- oder langfristig zur Rechenschaft für seine Verbrechen gezogen werden könnte. Dass sein Regime kollabiert. Dass seine Diktatur verliert.

Wenn nun jemand wie Julia Nawalnaja die Arbeit ihres ermordeten Ehemanns weiterführen will, ist das unglaublich mutig und bewundernswert. Man wünscht ihr von ganzem Herzen, dass sie die Erinnerung an ihren Ehemann lebendig halten kann – und man wünscht ihr mehr.

Doch wirklich daran zu glauben fällt im Moment ziemlich schwer.

Philipp Loser ist Redaktor des «Tages-Anzeiger».