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Neues Album der Pet Shop Boys
«Ich glaube auch, dass wir ein Meisterwerk hingekriegt haben»

«Das Album ist uns von Anfang an leicht von der Hand gegangen»: Neil Tennant (l.) und Chris Lowe sind seit über 40 Jahren als Pet Shop Boys erfolgreich.
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Es ist nie zu spät, um sich aufs Neue in die Musik einer Band zu verlieben. Das gilt auch bei den Pet Shop Boys, denen schon in den 1980er-Jahren Pop-Klassiker wie «West End Girls», «It's a Sin» und «Being Boring» gelangen. Ganz nebenbei versorgten sie auch Kylie Minogue, Liza Minnelli und Dusty Springfield mit grossartigen Songs.

Neil Tennant und Chris Lowe sind im Pensionsalter angekommen, trotzdem klingt ihr neues Album «Nonetheless» so unverbraucht einladend, als wäre es ihr Debüt. Einzig Tennants noch schmaler gewordene Tenorstimme deutet darauf hin, dass der ehemalige Musikjournalist und schneidende Gesellschaftskritiker in wenigen Monaten 70 Jahre alt werden wird.

An «Go West» haben die Pet Shop Boys mehrere Monate gearbeitet

Mit «Nonetheless» ist den Pet Shop Boys ein mögliches Meisterwerk gelungen. Immerhin macht es ihre letzten Alben vergessen, die eher routiniert als fesselnd wirkten. Beim Zoom-Interview sagt man den beiden dann auch, wie gut man «Nonetheless» findet, und Tennant erweist sich als jemand, der ein Kompliment entgegenzunehmen weiss. «Danke», antwortet er. «Ich glaube auch, dass wir ein Meisterwerk hingekriegt haben. Uns kam sicher zugute, dass wir diese Songs nur darum geschrieben haben, weil wir während Corona Zeit dafür und Lust darauf hatten. So ist uns das Album von Anfang an leicht von der Hand gegangen.»

Leicht ist den Pet Shop Boys die Arbeit nicht immer gefallen. Für die Yuppie-Persiflage «Opportunities (Let’s make lots of money)» (1986) wären sie durch multiple Studios zwischen London und New York getingelt, sagt Chris Lowe. An ihrer Disco-Hommage und Glasnost-Hymne «Go West» (1993) hätten sie mehrere Monate lang gewerkelt.

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Perfektionisten waren die Pet Shop Boys schon immer, allerdings hatten ihre ersten Hits oft etwas Vulgäres, als könnte die damals verfügbare Musiktechnologie nicht mit ihren harmonisch anspruchsvollen Arrangements mithalten. Seit dem gitarrenlastigen Album «Release» (2002) klingt die Musik der Pet Shop Boys wärmer, aber nicht weniger spannend. 

Als hochreflektierter Mensch glaubt Neil Tennant, einen der entscheidenden Gründe für die neu gefundene Leichtigkeit bei den Pet Shop Boys zu kennen. «Unser Produzent James Ford hat im elektronischen Unterbau unserer Songs aufgeräumt und das, was davon übrig geblieben ist, mit wunderschönen Streichern und Bläsern überzogen.» Dank dieser Entschlackung im Bassbereich hat das Album eine orchestrale Grandesse und auch einen leichten Retro-Anstrich. Viele Patterns und Beats erinnern vorteilhaft an die Pionierzeit des Synth-Pop Anfang der 1980er-Jahre.

Während des Interviews halten die Pet Shop Boys an der zwischenmenschlichen Dynamik fest, die die meisten ihrer öffentlichen Auftritte prägt. Tennant ist wach und gesprächig, während Lowe sich nur dann einschaltet, wenn der studierte Architekt sich für ein Thema interessiert.

Beispielsweise für die Monumentalbauten, mit denen international gefeierte Stararchitekten die Londoner Skyline verschandelt haben. Oder für den möglichen Einfluss von Yello auf die Musik oder das Image der Pet Shop Boys. «Dieter Meier betreibt meines Wissens ein Steakhaus in der Nähe unseres Berliner Studios», sagt Lowe. «Wir haben ihren Song ‹Lost Again› in unserer Anfangszeit viel gehört, abgesehen davon hat Yello uns kaum beeinflusst.»

Der neue Song namens «The Schlager Hit Parade»

Berlin war der Schauplatz für viele der Songs auf dem Vorgängeralbum «Hotspot» (2020), und Tennants und Lowes Affinität zu Deutschland hallt auch auf «Nonetheless» nach. Mit «The Schlager Hit Parade» wagen sich die Pet Shop Boys an einen typisch deutschen Musikstil heran, aber eine Persiflage auf das Schlager-Genre ist der Song beileibe nicht.

«Harold Faltermeyer, der ja selber Schlagerproduzent war, hat uns auf den Geschmack gebracht, als wir Ende der 1980er-Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben», erklärt Neil Tennant. «Mich hat fasziniert, wie die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg eine Musik für sich erfunden haben, die sentimental war, ohne nostalgisch zu sein. Schliesslich wollte niemand mehr an die jüngere deutsche Geschichte erinnert werden.»

Ihre Musik ist eine einzige Lebensbejahung: Die Pet Shop Boys haben während Corona mit den Songs fürs neue Album begonnen.

Egal, wie üppig die Musik der Pet Shop Boys auf «Nonetheless» manchmal daherkommt – dafür ist «The Schlager Hit Parade» exemplarisch – Tennants schlaue Texte geben den Songs immer eine journalistische Würze. Tagesaktualität hat für ihn aber keine Priorität. In «Dancing Star» geht es beispielsweise um den russischen Balletttänzer und -choreografen Rudolph Nurejew und wie dieser 1961 während einer Europatournee in den Westen floh. «Nurejew ist für mich ein Symbol einer Freiheit, wie es sie heute kaum noch gibt», erklärt Tennant. «Er ist mehr oder weniger spontan defektiert, weil ihm eines Tages bewusst wurde, dass er auf Leonid Breschnews Schwarzer Liste stand und nach der Rückkehr in die Sowjetunion ins Gefängnis gewandert wäre.»

Ein Stück gegen Trump

Auf «Nonetheless» wirken Tennants Figuren oft verzweifelt oder vereinsamt. Gleich das Eröffnungsstück «Loneliness» handelt von der schleichenden Einsamkeit, die sich mit dem fortschreitenden Alter einstellt, und in «Why Am I Dancing?» versucht Tennant, sich den Corona-Lockdown aus den Knochen zu tanzen. Trotzdem ist die Musik der Pet Shop Boys eine einzige Lebensbejahung.

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Umso düsterer wirkt das finale «Love Is the Law». Diese kaschierte Power-Ballade, die geradezu nach einer Rock-Interpretation schreit, handelt von den letzten Jahren im Leben des irischen Schriftstellers Oscar Wilde. «In Frankreich hat er sich viel mit Sexarbeitern herumgetrieben, wie man heute sagt», so Neil Tennant. «Dort hat er sich mit der Erkenntnis abgefunden, dass das Spiel mit der Lust immer nur ein Handel ist. Wobei hinter der Lust auch immer die Liebe stecken kann.»

Neben Rudolph Nurejew und Oscar Wilde mischt sich auch Donald Trump in das bunte Treiben auf «Nonetheless» ein. Wobei der Ex-Präsident in «Bullet for Narcissus» nicht namentlich erwähnt wird. Hier denkt sich Tennant in den Kopf eines Secret-Service-Agenten, der den New Yorker Demagogen vor Attentätern schützen muss, obwohl er diesen verachtet. «Ich hatte Trump schon 2019 mit ‹Give Stupidity a Chance› im Visier», erinnert sich Tennant. «Damals habe ich gewitzelt, dass die schlauen Menschen den Dummen doch eine Chance geben sollten, die Welt zu regieren. Inzwischen sind wir schon so weit, dass ich mich frage, ob nicht die ganze Welt verblödet ist.»

Auf diesen Spruch lässt Tennant wie auf viele seiner Antworten ein kleines Lachen folgen. Ironie und Schalk bieten auch den Pet Shop Boys, diesen Meistern des doppelbödigen Pop, keinen Schutz vor der Tragik des 21. Jahrhunderts. Darüber kann auch ihr neues Meisterwerk nicht hinwegtäuschen.