Tamedia-AbstimmungsumfragePensionskassen-Reform kommt beim Volk schlecht an
59 Prozent lehnen die BVG-Revision ab. Selbst die SVP- und die Mitte-Basis wollen grossmehrheitlich Nein stimmen. Besser startet die Biodiversitätsinitiative.
Das Resultat der Umfrage ist überraschend deutlich. Und es ist ein harter Schlag für die Befürworter der BVG-Reform. Zwar hat der Abstimmungskampf erst begonnen, und etliche Stimmberechtigte sind noch nicht sicher, wie sie am 22. September abstimmen wollen. Aber die Zahlen sind eindeutig.
Nur 33 Prozent wollen die Revision des Gesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) annehmen – davon 21 Prozent sicher und weitere 12 Prozent «eher». Eine deutliche Mehrheit von 59 Prozent will stattdessen Nein stimmen. Das zeigt die erste Tamedia-Umfrage.
Damit zeichnet sich ein Scheitern der Reform ab. Bundesrat und Parlament wollen mit ihr die Hürden für den Eintritt in die Pensionskassen senken. Auch soll der sogenannte Umwandlungssatz im obligatorischen Teil reduziert werden, was bei tiefen Einkommen zu niedrigeren Renten führen würde. Im Gegenzug gäbe es einen Rentenzuschlag für die Übergangsgeneration.
Diese Neuerungen stossen auf grossen Widerstand, wie sich nun zeigt. Wobei ein Fünftel der Gegner ihrem «Nein» noch ein «eher» hinzufügen. Man könne daher nichts ausschliessen, sagt Fabio Wasserfallen, der die Umfrage mit seiner Firma Leewas für Tamedia und «20 Minuten» durchgeführt hat. «Aber es wird für die Befürworter sehr schwierig.»
Den Bürgerlichen droht also bei der Altersvorsorge eine weitere Niederlage, nachdem sie im März bereits die Abstimmung über die 13. AHV-Rente verloren haben. Dies freut Pierre-Yves Maillard, den Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds: «Die Umfrage zeigt, dass die Leute genug davon haben, immer mehr zu bezahlen und immer weniger zu bekommen.» Maillard gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass noch nichts gewonnen sei. «Economiesuisse und die Finanzindustrie investieren Millionen für die Rentensenkung. Wir werden bis zum letzten Tag alles geben, um diese schlechte Reform zu kontern.»
Auch der Direktor des Arbeitgeberverbands, Roland Müller, will kämpfen: «Bis zur Abstimmung bleibt noch Zeit, der Bevölkerung aufzuzeigen, dass die Vorlage ein Ja verdient.» Denn die BVG-Reform sei überfällig. «Sie stabilisiert unser erfolgreiches Dreisäulensystem, und sie versichert insbesondere Geringverdiener und Teilzeitbeschäftigte besser – viele davon neu – in der zweiten Säule.»
Befürworter machen knapp 3,5 Millionen Franken locker
Die Wirtschaftsverbände sind bereit, fast 3,5 Millionen Franken in den Abstimmungskampf zu stecken. Das haben sie gegenüber der Eidgenössischen Finanzkontrolle offengelegt. Die Gegner kommen auf ein Kampagnenbudget von gut 1,9 Millionen Franken. Das ist viel Geld für eine Abstimmungsvorlage, bei der sich zumindest im jetzigen Zeitpunkt kein knappes Resultat abzeichnet.
Die Pensionskassen-Reform fällt in der Umfrage nicht nur bei den Linken durch. Auch die Wählerinnen und Wähler der SVP und der Mitte wollen grossmehrheitlich Nein stimmen, obwohl deren Parteispitzen ein Ja empfehlen. Bei den Freisinnigen und den Grünliberalen sind in etwa gleich viele dafür wie dagegen.
Sieht man sich die verschiedenen Altersklassen an, so fällt auf, dass vor allem die 50- bis 64-Jährigen gegen die BVG-Reform sind. Jene also, die in nächster Zeit pensioniert werden. Bei den Jungen hingegen kommt die Vorlage vergleichsweise weniger schlecht an.
Nur ein kleiner Unterschied zeigt sich zwischen Stadt und Land, wobei der Widerstand in ländlichen Gebieten leicht geringer ist. Auch steigt die Zustimmung, je höher der Bildungsabschluss der Befragten ist. Aber auch die Akademiker sind mehrheitlich gegen die BVG-Reform.
Biodiversitätsinitiative mit 51 Prozent Ja-Antworten
Besser schneidet in der ersten Tamedia-Umfrage die Biodiversitätsinitiative ab. 51 Prozent wollen ein Ja einlegen und 42 Prozent ein Nein. Der Rest ist unentschlossen. Auch etliche Befürworter und Gegner koppeln ihre Antwort noch mit einem «eher».
Man sollte das knappe Ja zur Biodiversitätsinitiative denn auch nicht überbewerten. Denn Volksinitiativen starten oft mit einer Zustimmung und verlieren dann im Verlauf des Abstimmungskampfs an Rückhalt.
«Zu Beginn dominiert das Einverständnis mit dem Grundanliegen. Viele honorieren die Benennung des Problems. Während des Abstimmungskampfs findet dann eine vertiefte Auseinandersetzung mit der vorgeschlagenen Lösung statt, wobei der Ja-Anteil in der Regel schrumpft», gibt Fabio Wasserfallen zu bedenken. Er rechnet daher am 22. September eher mit einem Nein als mit einem Ja zur Initiative.
Diese verlangt genügend Schutzflächen, um die Biodiversität zu stärken. Überdies will sie Ortsbilder sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahren. Damit punkten die Initianten vor allem bei den Linken und Grünen. Die Bürgerlichen hingegen lehnen das Anliegen klar ab. Hier zeigen sich also – anders als bei der BVG-Revision – zwei deutlich abgegrenzte Lager.
Auch lässt sich bei der Biodiversitätsinitiative ein markanter Geschlechtergraben erkennen. Ginge es nach den Männern, würde das Begehren abgelehnt. Bei den Frauen wollen dagegen 59 Prozent zustimmen.
Das klare Ja der Frauen freut das Initiativkomitee besonders, wie ihr Sprecher Manuel Herrmann sagt. Generell zeige die Umfrage: «Eine Mehrheit der Bevölkerung anerkennt die Bedeutung der Biodiversität als unsere Lebensgrundlage.» Über 1000 Personen würden sich nun in nationalen und kantonalen Komitees für die Initiative engagieren.
Derweil will Bauernverbandspräsident Markus Ritter im Abstimmungskampf klarmachen, dass die Initiative neben der Biodiversität auch die Ortsbilder und Denkmäler schützen will und damit die Bautätigkeit und den Tourismus beeinträchtigt. Das Rennen sei offen. «Es kommt nun darauf an», so Ritter, «welches Lager besser überzeugen und vor allem mobilisieren kann.»
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