Ungarn torpediert Israel-Politik der EUOrban wandelt auf Trumps Pfaden
Der ungarische Premier will seinem alten Freund Benjamin Netanyahu ein Geschenk machen: Ungarns Botschaft in Israel soll von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden.
Männerfreundschaften mögen ein überkommenes Modell der internationalen Diplomatie sein, doch Benjamin Netanyahu und Viktor Orban zelebrieren sie gern und unbeirrt. In vielerlei Hinsicht dürfen der israelische und der ungarische Regierungschef als Brüder im Geiste gelten, und nun scheint Orban seinem alten Kumpel in Zeiten der Bedrängnis ein besonderes Geschenk machen zu wollen.
Ungarns Botschaft soll, wie die «Times of Israel» unter Berufung auf eine hohe, anonym bleibende Quelle im israelischen Aussenministerium berichtet, von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt werden, im nächsten Monat schon. Orban würde damit auf den Pfaden des früheren US-Präsidenten Donald Trump wandeln – und mit Wucht aus der EU-Politik gegenüber Israel ausscheren. (Lesen Sie zum Thema auch die Analyse «Was der Westen tun kann im Umgang mit Netanyahu».)
Nur vier Staaten haben Botschaft in Jerusalem
Ein Sprecher des israelischen Aussenministeriums wollte den Medienbericht am Freitag auf Anfrage nicht bestätigen. «Wir hoffen, dass alle Länder mit ihren Botschaften nach Jerusalem umziehen, weil das unsere Hauptstadt ist», sagte er. Dies allerdings ist völkerrechtlich umstritten, bislang sind nur vier Staaten mit ihren Vertretungen in Jerusalem ansässig: Auf den Umzug der USA, den Trump 2018 mit einem Paukenschlag vollzog, folgten Guatemala, Honduras und Kosovo.
Rund neunzig andere Staaten, unter ihnen auch alle Europäer, haben ihre diplomatischen Vertretungen am Standort Tel Aviv. Dies wird damit begründet, dass der endgültige Status von Jerusalem erst in Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern geklärt werden müsse. Die Palästinenser beanspruchen den von Israel 1967 eroberten Ostteil als Hauptstadt ihres angestrebten Staates.
Die Israelis wiederum haben rund 200’000 jüdische Siedler in Ostjerusalem angesiedelt, 1980 die arabischen Stadtteile annektiert und Jerusalem zur «ewigen und ungeteilten Hauptstadt» ausgerufen. Doch diese Versuche, Fakten zu schaffen, sind in zahlreichen UNO-Resolutionen für ungültig erklärt worden.
2019 war nach einem Orban-Besuch in Jerusalem schon eine «Handelsvertretung mit diplomatischem Status» eröffnet worden.
Seit Trump jedoch mit der jahrzehntelangen US-Politik gebrochen und Jerusalem als Hauptstadt anerkannt hat, wartet Israel auf die grosse Welle. Zuletzt hatte das Aussenministerium vor fünf Tagen mit Stolz verkündet, dass Papua-Neuguinea eine Botschaft in Jerusalem eröffnen wolle. Ein paar andere Kandidaten werden noch genannt, etwa Togo, Malawi oder Vanuatu.
Doch öfter noch gab es schlechte Nachrichten von dieser diplomatischen Front: Paraguay verlegte seine Botschaft in Jerusalem 2018 schon nach wenigen Monaten wieder zurück nach Tel Aviv. Australien machte nach dem Regierungswechsel im vorigen Herbst einen Rückzieher vom Umzugsversprechen. Und auch aus Rumäniens Plänen von 2019 ist nichts geworden.
Nun aber kommt die Meldung zur Einigung mit Ungarn, die gemäss dem Bericht nach Verhandlungen zwischen den beiden Aussenministern Eli Cohen und Peter Szijjarto erzielt wurde. Um einen zumindest vorläufigen Standort müssen sich die Ungarn nicht mehr bemühen. 2019 war nach einem Besuch Orbans in Jerusalem schon eine «Handelsvertretung mit diplomatischem Status» eröffnet worden.
Die Nachricht fällt in eine Zeit, in der Ungarn sehr präsent ist in den israelischen Debatten – im negativen Kontext. «Israel ist keine Diktatur, Israel ist nicht Ungarn», rufen die Demonstranten, die seit Wochen gegen die von der rechtsnationalistischen Regierung geplanten Umwälzungen im Justizwesen auf die Strasse gehen. Auf den Protestzügen sind Bilder zu sehen, erstellt per Photoshop, auf denen die Gesichter von Netanyahu und Orban ineinander übergehen. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Die Opposition warnt vor ‹dunkler Diktatur›».)
Abkehr von der liberalen Demokratie
Die beiden verbindet eine ähnliche Sicht auf die Welt: eine Betonung des Patriotischen und Nationalistischen sowie eine Abkehr von der liberalen Demokratie. Ausserdem pflegen sie gemeinsame Feindbilder. Dazu gehört George Soros, der als Sohn ungarischer Juden 1930 in Budapest geboren wurde. Der US-Milliardär finanziert regierungskritische Organisationen in beiden Ländern.
Als Orban Soros dies mit einer Kampagne heimzahlte, die von vielen als antisemitisch empfunden wurde, nahm Netanyahu Ungarns Regierungschef öffentlich in Schutz. Und er verzieh ihm, dass Orban den Hitler-Verbündeten Miklos Horthy, mitverantwortlich für die Deportation von 600’000 ungarischen Juden, als «aussergewöhnlichen Staatsmann» gepriesen hatte.
Nun könnte Orban sich revanchieren. Als Netanyahu im November wieder ins Amt gewählt wurde, hatte er schon überschwänglich gratuliert und ein Foto gepostet, das ihn mit Netanyahus frisch veröffentlichter Autobiografie in der Hand zeigt. Mit einer Verlegung der Botschaft würde er seinem Männerfreund nun einen beachtlichen diplomatischen Erfolg bescheren.
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