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Der nächste 4. Olympia-Platz
Angelica Moser springt brillant – bis zum plötzlichen Ende

epa11534391 Angelica Moser of Switzerland competes in the Women Pole Vault final of the Athletics competitions in the Paris 2024 Olympic Games, at the Stade de France stadium in Saint Denis, France, 07 August 2024.  EPA/RONALD WITTEK
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Und dann waren es nur noch fünf Stabspringerinnen. Für drei Medaillen. Angelica Moser setzte sich, stand wieder auf, vertrat sich ein wenig die Beine. Die Latte lag nun bereits auf 4,85 m, der Abend war lau und die Spannung gross. In nur vier Sprüngen hatte es die 26-Jährige, die bereits an ihren dritten Spielen teilnimmt, auf diese Höhe geschafft. Ein Wettkampf aus einem Guss. 4,40 m im ersten, 4,60 m im ersten, 4,70 m und 4,80 m auch im ersten Versuch übersprungen. So makellos war nur Katie Moon geblieben, die Olympiasiegerin von Tokio, die danach auch zweimal Weltmeisterin geworden war.

Dennoch war alles plötzlich vorbei. Lag Moser auf der Matte, es war ein Wettkampf der Extreme. Zum besseren Verständnis: 4,85 m hat sie, die im Juni Europameisterin geworden war, erst einmal überquert, bei ihrem Wundersprung am Diamond-League-Meeting in Monaco. Nachdem Moser zweimal auf dieser Höhe gescheitert war, liess sie aus – und nahm auch auf 4,90 m die Latte mit nach unten. Der Frust war gross, die Enttäuschung noch grösser. Sie war als Mitfavoritin auf eine Medaille nach Paris gekommen, jetzt blieb ihr, wie am Vorabend Simon Ehammer, nur der 4. Platz. Olympiasiegerin wurde Nina Kennedy (AUS, 4,90 m).

Moser sagte nachher: «Die Sprünge waren sehr gut, vorwerfen kann ich mir nichts. Auf diesen Höhen müssen alle Details passen.» Ihr habe auch das Quäntchen Glück gefehlt, das andere hatten, «aber das ist part of the game».

Nach dem Frust kommt wohl die Freude

In ein paar Wochen wird sich Moser wohl mit diesem Resultat versöhnt haben. Denn sie hat ein Erfolgsjahr hinter sich, wie sie es nicht erwarten konnte. Eines, das seinen Anfang an der WM im Sommer 2023 nahm. Nach erst halbjähriger Zusammenarbeit mit ihrem Trainer Adi Rothenbühler gelang ihr in Budapest der einzige Ausreisser der letzten Saison: Mit 4,75 m sprang sie auf Rang 5 – in die Weltspitze. Es war jene Leistung, die ihr bestätigte, dass sie nach vielen Jahren technischer Arbeit mit Herbert Czingon und einer kurzen Zeit mit Damien Inocienco einen richtigen und wichtigen Schritt gemacht hatte.

Rothenbühler ist zwar nicht ein Stab-Experte wie Czingon, doch als Sprintspezialist hat er bei Moser vor eineinhalb Jahren dort angesetzt, wo sie eine Schwäche hatte: im Anlauf und der Umsetzung der Geschwindigkeit in den Sprung. Und er hat die Gabe, eine Athletin gesamtheitlich zu betrachten: Wie ist ihre psychische Verfassung, wie stabil ist ihr privates Umfeld, wie bewegt sie sich in der Trainingsgruppe? Als Moser nach WM-Rang 5 vor laufender Kamera in Tränen ausbrach, hatte er ein erstes Ziel erreicht: Gefühle zu zeigen, wo Gefühle hingehören.

Angelica Moser of Switzerland, right, cries next to her coach Adrian Rothenbuehler, left, after missing his last jump during the women's Pole Vault Final at the 2024 Paris Summer Olympics in Paris, France, Wednesday, August 7, 2024. (KEYSTONE/Anthony Anex)

In dieser Atmosphäre sind Moser in diesem Sommer ungeahnte Fortschritte geglückt. Als sie im Juni in Rom Europameisterin wurde, erst die dritte Schweizer Europameisterin, war sie krank. Das hat sie aber erst nachher zugegeben. Ihr Vater Severin, selber Olympiateilnehmer 1988 als Zehnkämpfer, sagte danach über seine Tochter, sie habe eine Selbstsicherheit und Abgebrühtheit, wie er sie als Athlet nie gehabt habe. Unter den erschwerten EM-Umständen erscheint die damalige Egalisierung des nationalen Rekordes von 4,78 m in einem noch helleren Licht.

Dass Rothenbühler ihr dann nach kurzen Festivitäten einen harten, dreiwöchigen Trainingsblock verordnete, ist zuerst nicht nur auf Gegenliebe gestossen. In Monaco kam aber die Einsicht, dass alles Sinn gemacht hat. Das Meeting war der erste Wettkampf danach – und endete in einem Exploit, den Athletin und Trainer sich so noch nicht hatten vorstellen können: Moser sprang 4,88 m, es war ein Supersprung bei idealen Bedingungen. Sie steigerte sich in einem Schluck um 10 und seit der letztjährigen WM um 13 Zentimeter – das bedeutete im World Ranking fortan die Nummer 4.

Dass Moser seit Juni in den Stadien als Europameisterin begrüsst wird, ist noch immer gewöhnungsbedürftig, löste aber auch im Stade de France ein Gefühl des Stolzes aus. Wer ihr jüngst zugeschaut hat, sah eine verwandelte Athletin: Schneller, athletischer, austrainierter. Es ist ihr, die einst an einer Essstörung gelitten hat und diese mit Fachleuten in den Griff bekommen hat, gelungen, das Gewicht zu reduzieren. Und entscheidend: Sie verfüge heute über mehr produktive Masse, sagte sie nach Monaco. Will heissen, ihr Muskelanteil ist grösser, ihr Fettanteil kleiner geworden.

Die Auswirkungen im Sprungverhalten sind gross. Stabspringerinnen benutzen Stäbe, die verschiedene Härten aufweisen. Je härter ein Stab, desto mehr katapultiert er die Athletin in die Höhe. Und je leichter sie ist, desto mehr «spickt er dich hinauf», sagte Moser in ihren Worten. Am Mittwochabend spickte er sie sehr hoch, für eine Medaille reichte es dennoch nicht.