Gold im StabhochsprungAngelica Moser krönt sich zur Europameisterin
Vor eineinhalb Jahren hat sie ihre Karriere neu lanciert, jetzt gewinnt die Zürcherin an der EM Gold. Angetreten ist sie mit einem neuen Selbstverständnis – das sie auch ihrem akribischen Trainer verdankt.

Auf der Tribüne lagen sich der Trainer und die Schweizer Rekordhalterin in den Armen – und unten bei der Stabsprunganlage jubelte Angelica Moser. Eben hatte sie 4,78 m übersprungen – das ist nicht nur eine persönliche Bestleistung für sie, sie egalisierte damit auch den nationalen Rekord von Nicole Büchler, die sich mit Adrian Rothenbühler über den Coup Mosers freute. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Dieser Sprung sollte Gold und den Europameistertitel bedeuten.
Nach einem unsäglich harzigen Start in den Wettkampf brachte Moser eine grossartige Wende zustande, eine zur fünften Medaille für die Schweiz an dieser EM. Moser hatte auf der Anfangshöhe von 4,43 m gleich zweimal gerissen – mit mindestens 30 cm Marge. Die Verärgerung bei der Athletin war offensichtlich, ebenso offensichtlich wusste der Trainer aber, was sie wie zu korrigieren hat.
Danach kam sie ins Fliegen, 4,58 m übersprang sie im ersten, 4,68 m im zweiten, 4,78 m im ersten Versuch – und dann der Dreikampf auf 4,83 m. Im Wettkampf waren noch die Griechin Katerina Stefanidi, die schon alles gewonnen hat, und die Britin Molly Caudery. Alle drei scheiterten, und für Moser war es das schönste Scheitern, es bedeutete Gold.
Jetzt kämen sie gar nicht mehr darum herum. «Jetzt müssen wir von einer Medaille reden.» Das hatte Rothenbühler noch vor der Abreise nach Rom gesagt. Der Grund war ein einfacher. Er war überzeugt davon, dass Moser die zwei besten Trainingswochen je hinter sich hat. Und er war auch der Ansicht, dass die 26-Jährige in diesem Jahr athletischer geworden ist, austrainierter und schneller.
Die Zürcherin aus Andelfingen im Weinland gewann damit ihren insgesamt achten Titel, sechsmal war es schon zu Juniorenzeiten der Titel gewesen. Moser, die mit ihrem Freund im Jura wohnt und in Magglingen und Bern trainiert, wagte 2022 einen kleinen Neuanfang nach schwierigen Jahren, nach Verletzungen, die sie weit zurückgeworfen hatten. Und es war ein Neubeginn nach dem Entscheid ihrer Trainerin Büchler, die sich vermehrt um die Familie kümmern wollte.
Zurück zur Stabilität
Rothenbühler, der für etliche andere Athletinnen und Athleten auch ausserhalb der Leichtathletik Trainingspläne schreibt, hat damals eine «völlig destabilisierte» Athletin angetroffen. Doch nur ein gutes halbes Jahr Zusammenarbeit führte bereits zum ersten schönen Erfolg: Moser sprang an der letztjährigen WM in Budapest auf Rang 5. Unvergessen bleibt ihr emotionaler Ausbruch danach: «Fünfte der Welt, crazy, oder?», sagte sie und brach danach vor laufender Fernsehkamera in Tränen aus. Vor Glück, aber es war nicht nur das. Es war der Stolz auf sich, die Erleichterung über das Erreichte, die Freude über das Comeback.
Mit 4,75 m, was auch ihre persönliche Bestleistung von 2021 ist, war sie damals mitten in die Weltspitze gesprungen. Es gibt kaum etwas wie diese Leistung, was so bezeichnend für Moser wäre. Dieser eine Sprung war der einzige Ausreisser nach oben in der vergangenen Saison. Und das im Final der Weltmeisterschaft, in einer Atmosphäre, in der doch einiges an Erwartungen, Druck und Ungewissheit zusammenkommt. Rothenbühler erinnert sich: «Damals wären wir nur schon froh gewesen, wenn sie konstant um 4,60 m gesprungen wäre.»
Moser hat sich in jungen Jahren den Namen einer Wettkampfathletin gemacht, war Europa- und Weltmeisterin in allen Nachwuchskategorien. Sie sagt auch: «Ich hatte nie Angst vor grossen Wettkämpfen.» Dass sie seit je dann bereit ist, wenn es zählt, führt sie auf ihre Kindheit zurück. «Ich habe mit drei Jahren mit Kunstturnen begonnen und sehr früh Wettkämpfe bestritten. Mit der Zeit hat mich das geschult, genau dann das zu zeigen, was ich trainiert hatte. Möglichst perfekt.»
Auf dem hohen Niveau, auf dem sie sich seit diesem Frühling bewegt, ist dies allerdings nicht mehr so einfach. Wenn Moser im vergangenen Sommer wieder zu Stabilität und Sicherheit gefunden hat, dann tritt sie jetzt zusätzlich mit der Selbstverständlichkeit an, zu den Spitzenspringerinnen der Welt zu gehören. Dieses Gefühl hat sich automatisch aus ihren konstant verbesserten Leistungen dieses Jahres ergeben.
Mehr Dynamik – überall
Moser eröffnete im Januar die Hallensaison schon auf 4,60 m, in früheren Jahren tat sie das auf tieferem Level. An der Hallen-WM in Glasgow überquerte sie im März bereits 4,75 m. Dass dies (wieder) nicht zur Medaille reichte, war auch ein Ansporn für die Freiluftsaison. Und dort feierte sie dann eine Premiere: Mitte Mai gewann sie mit 4,73 m ihr erstes Diamond-League-Meeting. Dass die Amerikanerinnen und Australierinnen fehlten – geschenkt. Dies habe ihren Ehrgeiz nur zusätzlich angestachelt, sagte sie.
Rothenbühler hat in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht nur versucht, mehr Dynamik in ihre Sprünge zu bringen. Er ist auch ein Trainer, dem die Dynamik in einer Trainingsgruppe sehr wichtig ist, die Gefühlslage seiner Athletinnen und Athleten, die Kommunikation untereinander, der Umgang miteinander. So hat er Moser schnell dazu gebracht, sich mitzuteilen, mitzudiskutieren, zu beschreiben, wie sich etwas anfühlt und was technisch passt. Nach der letztjährigen WM sagte sie: «Mit 15 macht man das, was der Trainer sagt. Heute soll ich mich aktiv einbringen.»
Moser wird im Sommer bereits an ihren dritten Spielen teilnehmen – mit 26 Jahren. Die Erinnerungen an Tokio sind nicht die besten. Sie schied in der Qualifikation aus. Doch nun sind die Vorzeichen für Olympia goldene – in Paris erhält sie bereits die nächste Chance auf einen noch grösseren Ertrag. Sie wird sie mit einem noch grösseren Selbstverständnis packen.
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