Neuer Klimabericht in 10 PunktenSo lässt sich der grösste Teil der Emissionen verhindern
Der Mensch muss sofort viel mehr in den Klimaschutz investieren – sonst gibt es auch kein Wirtschaftswachstum. Wo wir nun ansetzen können.
Der dritte Bericht im dreiteiligen Klimapaket des Weltklimarates (IPCC) war umstrittener als die ersten beiden Reports. In der Kurzfassung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe III an die Adresse der Politik und Wirtschaft geht es unter anderem um die Wirksamkeit von Massnahmen, um den Ausstieg aus der fossilen Energie und hohe Investitionen in den Klimaschutz weltweit. So mussten die unterschiedlichen Interessen der Regierungen und die Ergebnisse des IPCC im Text langwierig abgewogen werden. Das ist der übliche Prozess. Die Verhandlungen gingen deshalb einen Tag länger als geplant. Der vorgelegte Bericht sei nun im Gleichgewicht und wissenschaftlich vertretbar, ist von mehreren führenden IPCC-Autoren zu erfahren. «Wir sind nun an der Wegkreuzung», sagt der Vorsitzende des Weltklimarates, Hoesung Lee. Der Bericht zeige, dass in vielen Staaten politische Massnahmen und Marktinstrumente effektiv funktionieren würden, nun gelte es aber, diese nachzuschärfen und weltweit zu verbreiten. Und zwar unverzüglich, es bleibe keine Zeit mehr.
Wo steigen die CO₂-Emissionen weltweit am stärksten?
Der globale Ausstoss der Treibhausgase durch den Menschen ist zwischen 2010 und 2019 weiter angestiegen. Die Emissionen erreichen ein historisches Hoch, das Wachstum der Emissionen hat sich aber verlangsamt. Die Emissionen sind vor allem in den Städten in den letzten fünf Jahren sehr stark angewachsen, um 5 bis 10 Prozent. Den grössten Anteil an den Treibhausgasen haben die CO₂-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas, gefolgt von Methan aus der Landwirtschaft und der Erdgasindustrie. Die grössten Quellen weltweit sind: Energieproduktion (34 Prozent), Industrie (22 Prozent), Landwirtschaft, Abholzung und veränderter Anbau (22 Prozent), Transport (15 Prozent).
Ist der Energieverbrauch effizienter geworden?
Das Verhältnis zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum hat sich um 2 Prozent pro Jahr verbessert. Der CO₂-Ausstoss pro Kilowattstunde fossile Energie (Kohlenstoff-Intensität) ist jedoch nur marginal gesunken, um etwa 0,3 Prozent. Der Grund: der teilweise Umstieg von Kohle auf Gasenergie sowie der Zubau an Solar- und Windenergie.
Was muss in Zukunft passieren? Die Kohlenstoff-Intensität muss gemäss IPCC um 3,5 Prozent pro Jahr sinken bis 2050, damit die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad bleibt. Die Rate muss verdoppelt werden, um eine Erwärmung um 1,5 Grad zu verhindern (Klimaziele des Pariser Klimaabkommens).
Wie sind die globalen Emissionen regional verteilt?
Die Emissionen sind ungleich verteilt: Die reichen Staaten mit einem Anteil an der Weltbevölkerung von 16 Prozent produzierten 2019 rund ein Viertel der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen. Die ärmsten Länder der Welt, wo 14 Prozent der Weltbevölkerung leben, sind nur für 3 Prozent der Emissionen verantwortlich. Die reichsten 10 Prozent der Welt verursachen durch ihr Konsumverhalten 34 bis 45 Prozent der Emissionen. 10 Prozent der Weltbevölkerung produzieren pro Kopf mehr als 12 Tonnen Treibhausgase pro Jahr, in der Schweiz beträgt der Pro-Kopf-Anteil etwa 6 Tonnen (14 Tonnen, wenn man die Produktion der Importgüter dazurechnet). Gut 40 Prozent der Menschen leben in Ländern, namentlich in Afrika, Asien und Lateinamerika, wo nicht mehr als 3 Tonnen Emissionen pro Kopf produziert werden.
Warum tragen die Industrieländer eine historische Schuld?
Der Mensch hat seit 1850 etwa 2400 Gigatonnen CO₂ in die Atmosphäre ausgestossen. Etwa 43 Prozent der Emissionen stammen von den Industriestaaten. Deren Anteil nimmt jedoch seit 2000 kontinuierlich ab, Tendenz weiter sinkend. Heute beträgt er noch etwa 23 Prozent am jährlichen globalen Ausstoss. Dafür sind die Emissionen in Ostasien beträchtlich gestiegen, dessen Anteil beträgt heute etwa 27 Prozent.
Wie viel Emissionen dürfen wir noch ausstossen?
Da CO₂ 100 Jahre und länger in der Atmosphäre gespeichert bleibt, ist das Treibhausgas für die Erderwärmung relevant. Die Klimaforschenden können heute gut abschätzen, wie viel Emissionen zu welcher Erderwärmung führen. Vier Fünftel des Kohlenstoff-Budgets sind bereits aufgebraucht, um eine Erderwärmung von 1,5 Grad zu verhindern. Doch: Allein die fossile Infrastruktur im Energiesektor wird gemäss IPCC bis zu deren Betriebsende mehr CO₂ produzieren, als das Budget noch zulässt. Der IPCC kommt zum Schluss, dass die globale Wirtschaftsleistung langfristig deutlich sinken werde, falls der Klimaschutz in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht konsequent umgesetzt werde.
Können sich heute die Erneuerbaren auf dem Energiemarkt behaupten?
Die Produktion erneuerbarer Energien wie Solar und Wind ist – über die Lebensdauer gerechnet und Umweltkosten berücksichtigt – kostengünstiger als fossile Energie. Der Grund: Die Kosten für eine Kilowattstunde Sonnenenergie sind zwischen 2010 und 2019 global um 85 Prozent gesunken, für Windenergie um 55 Prozent. Das gilt auch für die Schweiz. «Auch wenn die Sonne nicht so stark scheine wie im Süden, so ist Solarenergie heute gegenüber Erdgas und Kohle aus dem Norden durchaus konkurrenzfähig», sagt Anthony Patt, ETH-Klimaforscher und IPCC-Autor.
Lithium-Ionen-Batterien kosten heute 85 Prozent weniger. Das führte zu einer beschleunigten Nachfrage. Dennoch ist der Marktanteil immer noch im einstelligen Prozentbereich.
Was hat die Entwicklung beschleunigt?
Geholfen hat ein Mix von Massnahmen: Die Einführung wurde durch Demonstrationsprojekte und politische Massnahmen wie Subventionen unterstützt. Die gesteigerte Nachfrage nach erneuerbarer Energie und das damit verbundene verbesserte Know-how liessen die Kosten sinken. In armen Staaten jedoch, wo die politischen Instrumente noch nicht eingeführt wurden und das Know-how fehlt, ist noch kein Fortschritt zu erkennen. Auch die Digitalisierung hat nicht den gewünschten Effizienzeffekt beim Energieverbrauch, solange der Konsum von digitale Produkte weiter steigt. Positiv ist gemäss IPCC: In vielen Staaten führten weitere Massnahmen wie CO₂-Steuern zu mehr Energieeffizienz, zu einer Abnahme der Abholzung und einer beschleunigten Verbreitung alternativer Technologien. In 56 Staaten gab es Klimagesetze, um die Emissionen zu reduzieren, die mehr als 50 Prozent der Emissionen weltweit betrafen. Schwach sind die Massnahmen in der Landwirtschaft. Dennoch ist die Transformation zum postfossilen Zeitalter immer noch viel zu langsam.
Wie stark wird heute die fossile Industrie noch unterstützt?
Noch immer fliessen mehr öffentliche und private Gelder zugunsten fossiler Energie als in klimaschonende Technologie und Anpassungsprojekte gegen die Folgen der Erderwärmung. Der Anteil der Gelder für den globalen Klimaschutz ist zwischen 2013 und 2020 um bis zu 60 Prozent gestiegen. Das Wachstum habe sich allerdings seit 2018 verlangsamt, heisst es im IPCC-Bericht. Die Industrieländer müssten gemäss Pariser Vertrag seit 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimaschutz generieren zugunsten der ärmsten Länder. Dieses Ziel ist bis heute nicht erreicht.
Was muss in den nächsten Jahren passieren?
Die IPCC- Forschenden fordern deutlich: Die globalen Emissionen müssen spätestens ab 2025 sinken und bis 2030 um mehr als 40 Prozent reduziert werden. Nur so kann das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden. Es sei aber fast unumgänglich, dass diese Erwärmungsgrenze dennoch überschritten werde. Dies könne aber korrigiert werden, indem man durch Aufforstung oder durch technische Massnahmen CO₂ aus der Atmosphäre entferne. «Jetzt oder nie», sagt Jim Skea, einer der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe. Zudem müssten politische Massnahmen und Gesetze sowie das technologische Angebot so greifen, dass die Kommunen und Einzelne auch darauf reagierten: etwa beim Bau von Fahrradwegen, dem Einbau von Wärmepumpen, dem Umstieg auf Elektroautos oder beim reduzierten Konsum von Fleisch. Auf diese Weise können 40 bis 70 Prozent der Emissionen bis 2050 eingespart werden.
Wo müssen wir ansetzen?
Allein durch die totale Abkehr von der fossilen Energie, durch eine verbesserte Energieeffizienz und den Einsatz von synthetischer Energie lässt sich der grösste Teil der Emissionen verhindern. In den städtischen Gebieten ist in den nächsten Jahren besonders durch die Elektrifizierung des Verkehrs und der Heizungen sehr viel zu erreichen. Um klimaneutral zu werden, sind technische Massnahmen unerlässlich, etwa in der intensiven Industrie, wie die Filterung von CO₂ in der Zementindustrie und die anschliessende Speicherung im Untergrund.
Fehler gefunden?Jetzt melden.