Gastkommentar zur KlimapolitikOhne Firmen können wir das Klima nicht retten
Wenn die Politik der Klimarealität hinterherhinkt, braucht es eine Koalition der Willigen, die Verantwortung übernehmen und handeln.

In Antarktika steht der Riesengletscher Thwaites vor dem Auseinanderbrechen. In Südamerika bangen die Landwirte wegen Trockenheit um ihre Ernte. Australien wird von einer Hitzewelle geplagt. Doch zwischen der Klimarealität und dem Handeln klaffen dramatische Lücken.
Die Klimaziele der einzelnen Länder reichen bei weitem nicht aus, um die Klimakrise abzuwenden. Viele Länder, darunter auch die Schweiz, sind noch nicht auf dem CO₂-Reduktionspfad, der nötig wäre, um ihre Klimaziele für 2030 einzuhalten. Und einzelne Länder wollen den Abbau von Kohle, Gas und Öl sogar noch forcieren. Die letzte Klimakonferenz COP26 hat die Situation nicht grundlegend verändert.
Deshalb braucht es eine Koalition der Willigen, die Verantwortung übernehmen und handeln. Ein wirksames Instrument dafür ist für Firmen die Science-Based Targets Initiative (SBTI). Die Initiative unterstützt Unternehmen wie Swisscom, ABB, Novartis, Nestlé, Givaudan und Richemont, sich wissenschaftlich fundierte Klimaziele über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu setzen. Weltweit wollen sich seit der Gründung 2015 über 2300 Unternehmen zu Zielen im Rahmen der SBTI verpflichten. Mit drei wichtigen Folgen, die weit über die Grenzen der einzelnen Unternehmen hinausgehen.
Statt von perfekten, aber fernen Lösungen zu träumen, braucht es heute entschiedenes Handeln.
Erstens entwickelt sich so eine starke Dynamik innerhalb der verschiedenen Branchen, die dazu führt, dass sich immer mehr Firmen wissenschaftlich fundierte Klimaziele setzen. Zum Beispiel Nestlé. Die Firma hat sich der Initiative angeschlossen und klare Klimaziele und -massnahmen definiert. Global konkurriert sie mit Procter & Gamble und Unilever, die sich ebenfalls der SBTI angeschlossen haben. Solange es keine verbindlichen globalen Spielregeln gibt, ist die Initiative der wirkungsvollste Mechanismus, um den Druck auf Trittbrettfahrer zu erhöhen, weil ein Abseitsstehen von Kunden, Investorinnen und Mitarbeitenden zunehmend erschwert wird.
Zweitens beschränken sich wissenschaftlich fundierte Ziele nicht nur auf das einzelne Unternehmen, sondern wirken auf dessen ganze Wertschöpfungskette. Grosse Unternehmen können mit den kosteneffizientesten Massnahmen beginnen. Sie müssen ihre internationalen Lieferanten in die Klimaschutzbemühungen einbeziehen und lösen dadurch einen globalen Schneeballeffekt aus, der mehrere Branchen erfasst. Unternehmen, die sich innerhalb der SBTI Klimaziele setzen, verpflichten sich zum Beispiel bis 2030 zum Bezug von 100 Prozent erneuerbarem Strom – mit direkten Folgen für die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken.
Drittens können Unternehmen, die sich mit ihren Zulieferfirmen auf der ganzen Welt entschlossen für den Klimaschutz einsetzen, oft eine grössere Wirkung entfalten als einzelne Staaten. Die Klimaschutzbestrebungen von Firmen und Staaten, Individuen, Städten und Investoren verstärken sich gegenseitig. Staaten fällt es beispielsweise einfacher, global kompatible Regeln in nationale Regulierungen zu übersetzen, wenn diese Regeln de facto schon von vielen Unternehmen umgesetzt werden. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, die die Klimakrise lösen sollten, oder von perfekten, aber fernen Lösungen zu träumen, braucht es heute entschiedenes Handeln. Nur gemeinsam schaffen wir es.
Monika Rühl ist Direktorin von Economiesuisse. Thomas Vellacott ist CEO des WWF Schweiz.
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