Anonymes Reisen im ÖVZug fahren, ohne Daten zu hinterlassen? Das geht auch mit digitalem Ticket
Die Personendaten der Passagiere, die ihr Billett online oder mit dem Handy lösen, werden gespeichert. Dabei ginge es auch anders.
- Pendler bevorzugen heute Smartphone- oder Onlineticketkäufe, was Sicherheitsrisiken birgt.
- Josef Dittli fordert zur Datensicherung ein anonymes Lesesystem für Swiss-Pass-Tickets.
- Die Branche testet digitale Tarifmodelle, doch Datenschutz bleibt ein Kundenbedürfnis.
- Technisch ist anonymes digitales Reisen möglich, erfordert jedoch Entwicklungsaufwand.
Nur wer das Zugbillett am Automaten löst oder seine Swiss-Pass-Karte mit dem Abonnement vorweist, kann sicher sein, keine digitale Spur zu hinterlassen. Doch die meisten Reisenden kaufen ihr Ticket inzwischen mit dem Smartphone oder online. Im März dieses Jahres waren es 71 Prozent. Dabei werden die Personen- und Bewegungsdaten der Passagiere registriert. Und das ist nicht ohne Risiko.
«Auf diese Daten könnten sich Hacker Zugriff verschaffen», warnt der freisinnige Urner Ständerat Josef Dittli. In einer Interpellation schlägt er ein anonymes Lesesystem für die Fahrausweise auf dem Swiss Pass vor, das auch auf den Apps der SBB und der anderen Verkehrsbetriebe funktioniert. So soll ausgeschlossen werden, dass die heiklen Daten eines Tages im Darknet landen – etwa nach einem Cyberangriff auf die SBB, wie dies schon vorgekommen ist.
«Zur Kontrolle protokolliert und gespeichert»
Die Stellungnahme des Bundesrats klingt nicht gerade ermutigend: Damit ein solches System nicht missbraucht werden könne und dem ÖV keine Einnahmen entgingen, brauche es vertiefte Studien, heisst es darin. Bis auf weiteres läuft es also wie bisher: Präsentiert der Fahrgast sein Ticket auf dem Handy und scannt die Zugbegleiterin es ein, werden die Personendaten samt Reisestrecke weiterhin «zur Kontrolle protokolliert und für 30 Tage gespeichert», wie es der Bundesrat formuliert.
Bei online gekauften Tickets ist dies unter Umständen noch länger der Fall: Die entsprechenden Daten würden spätestens zwei Jahre nach Gültigkeitsende aus der Kunden- und Vertragsdatenbank gelöscht, lautet die Auskunft von Alliance Swiss Pass.
Die Branchenorganisation des öffentlichen Verkehrs könnte in ein paar Jahren ohnehin eine datenschutzkonforme Lösung für anonymes Reisen ohne physische Tickets und Abos benötigen. Zurzeit wird ein neues Tarifmodell, Myride, getestet, das vollständig digital funktionieren soll und vorsieht, dass weniger zahlt, wer häufiger fährt. Ende nächsten Jahres wird entschieden, ob es schweizweit eingeführt wird, was frühestens 2027 der Fall sein dürfte. Und die BLS hat angekündigt, die Billettautomaten bis 2035 abzuschaffen.
So lange will die ÖV-Branche allerdings nicht warten: «Das anonyme Reisen ist ein Kundenbedürfnis, das wir als solches losgelöst von spezifischen Projekten aktiv bearbeiten», sagt Alliance-Swiss-Pass-Sprecherin Michaela Ruoss. Dazu würden aktuell verschiedenste Optionen geprüft. «Im Laufe des nächsten Jahres werden wir mögliche Ansätze vertiefen und auf ihre Tauglichkeit prüfen», stellt sie in Aussicht.
Es sei die Aufgabe von Alliance Swiss Pass, für einen einfachen Zugang zum öffentlichen Verkehr in der Schweiz zu sorgen. Und zwar für alle – auch für Menschen, die ohne Handy oder anonym unterwegs sein wollen.
Gleich mehrere Möglichkeiten für anonyme Digitaltickets
Recherchen zeigen: Technisch ist es jetzt schon möglich, auch digital und mit einem dynamischen Preismodell anonym zu reisen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, welche die Berner Fachhochschule im Auftrag von Alliance Swiss Pass im Hinblick auf Myride erstellt hat.
Die noch unveröffentlichte Untersuchung sieht zwei unterschiedliche Lösungsansätze: Entweder wird das Billett über einen sicheren Chip, wie sie heute schon in den meisten Handys eingebaut sind, an das Smartphone des Passagiers gebunden. Oder man entwickelt ein aufwendigeres Verfahren, bei dem die Informationen auf mehrere Geräte verteilt sind und auf dem Endgerät des Benutzers nur kontrolliert werden.
Gemäss Studienleiter Pascal Mainini könnte auf beiden Wegen sichergestellt werden, dass ein Billett gelöst wurde und die betreffende Person dafür auch den richtigen Preis bezahlt hat. Und das völlig anonym.
«Technologisch wäre das heute schon möglich», sagt Mainini. Allerdings könne ein solches System nicht von heute auf morgen eingeführt werden, da es einigen Aufwand für die Entwicklung der Software brauche.
Pioniertat der Schweiz
Der Wille der technisch Verantwortlichen sei vorhanden, sagt Erik Schönenberger, Informatiker und Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft. Nun sei es an der Branche, das anonymisierte digitale Ticketing umzusetzen: «Daraus könnte eine Pioniertat entstehen, die weit über die Schweiz hinausstrahlt.» Mit etwas Mut und Technikaffinität könnte das laut Schönenberger gelingen.
Politischer Druck würde auch nicht schaden. In der kommenden Frühjahrssession berät der Ständerat Dittlis Interpellation. Wenn das anonyme Reisen bis dahin nicht mehr Gestalt angenommen hat, will der Urner mit einer verbindlichen Motion nachlegen.
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