Digitalisierung im ÖVTickets gibts ab 2035 nur noch digital: Postauto und BLS werden bargeldlos
Bargeld soll aus dem öffentlichen Verkehr verschwinden. So plant es die Branchenorganisation Alliance Swiss Pass. Wie die digitale Alternative genau aussieht, ist noch unklar.
Mittwochnachmittag, Fahrt mit dem Postauto von Aarberg im Berner Seeland nach Biel: Während der halbstündigen Reise steigen ein Dutzend Passagiere ein. Vier davon bezahlen ihr Billett beim Chauffeur mit Bargeld. Auffallend ist, dass drei von ihnen junge Frauen sind. Bei der vierten Person handelt es sich um eine Seniorin.
Darauf angesprochen, warum sie im Zeitalter von Abonnements, Mehrfahrtenkarten und digitalen Bezahlmöglichkeiten mit Apps das Ticket lieber auf traditionelle Weise lösen, kommt eine einhellige Antwort: Es sei eben praktisch und gehe rasch von der Hand. Im Übrigen seien sie Gelegenheitsfahrer. Das Installieren von Bezahl-Apps und die entsprechende Registrierung seien ihnen dafür zu aufwendig. Ihre Namen wollen die vier Befragten lieber nicht in der Zeitung lesen.
Mit dem Kauf von Billetten direkt bei der Chauffeuse oder dem Chauffeur ist bei Postauto aber bald Schluss. Firmenchef Christian Plüss hat angekündigt, bis zum Jahr 2035 das Bargeld auf allen Linien restlos zu verbannen. Ein ähnliches Bekenntnis gibt es von der BLS. Das Berner Bahnunternehmen will ab 2036 vollständig auf Billettautomaten verzichten und ausschliesslich digitale Fahrscheine anbieten.
Postauto-Chef Plüss nennt drei Gründe für die Massnahme: Münz und Noten als Zahlungsmittel verlören an Bedeutung. Bargeld trage nur noch drei Prozent zu den jährlichen Ticketerlösen bei.
Zweitens sei der Betrieb der Kassen teuer und aufwendig, da sie regelmässig durch neue Systeme mit besseren Sicherheitsfunktionen ausgetauscht werden müssten. Schliesslich sei die Sicherheit der Chauffeure ein Thema. Diese führten während ihrer Arbeit ständig gewisse Summen an Bargeld mit sich und könnten so ins Visier von Dieben geraten.
Einkassieren bringt Fahrplan durcheinander
Chauffeure von Postauto bringen ihrerseits einen weiteren Punkt ins Spiel, warum für sie der direkte Ticketverkauf unbeliebt ist: Sie müssen sich an den Haltestellen Zeit zum Einkassieren nehmen – und riskieren damit, gerade zu Stosszeiten den Fahrplan nicht einhalten zu können.
Wie die digitale Alternative genau aussieht, ist noch unklar. Eine Möglichkeit ist gemäss Insidern, dass bestehende Apps wie Fairtiq und die SBB-Anwendung weiterentwickelt werden. Beide Angebote verfügen über ein automatisches Ticketing, das den Beginn und das Ende einer Fahrt erfasst. Der Preis wird danach automatisch berechnet.
Eine wichtige Rolle spiele bei der Digitalisierung der Swiss Pass, wie aus der Branche zu hören ist. Es sei unabdingbar, dass mit dieser Kundenkarte auch Einzelbillette gekauft werden könnten. Das ist bislang nicht möglich.
Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) beabsichtigt, im kommenden Frühling Einzeltickets auf dem Swiss Pass einzuführen. Dabei handelt es sich um einen Test. Verläuft der Versuch erfolgreich, soll das Angebot landesweit lanciert werden. Heute ist der Swiss Pass zwingend nötig, um ein Halbtax- oder ein Generalabonnement zu erwerben.
Postauto und die BLS gehören zu den wenigen grossen Betrieben des öffentlichen Verkehrs (ÖV), die sich zu einem konkreten Zeitplan für bargeldloses Zahlen verpflichten. Sie berufen sich dabei auf die «Strategie 2035» von Alliance Swiss Pass, welche die Branchenorganisation derzeit erarbeitet.
Als Ziel soll darin festgelegt werden, den Ticketverkauf bis 2035 zu digitalisieren. Mit anderen Worten: Bis zu diesem Zeitpunkt soll der ÖV komplett bargeldlos werden. Voraussichtlich im Oktober informiert Alliance Swiss Pass die Öffentlichkeit über das genaue Vorhaben.
Gewichtige Mitglieder zeigen sich diesbezüglich jedoch zurückhaltend. Die SBB beobachteten das Zahlverhalten der Kundschaft bis 2027 und würden daraus die nötigen Schlüsse mit Blick auf den Betrieb von Billettautomaten ziehen, heisst es beim Staatsbetrieb. Ein klares Bekenntnis tönt anders.
Der ZVV seinerseits hat keinen konkreten Zeitpunkt festgelegt, ab wann Tickets nur noch digital ausgegeben werden sollen. «Es gibt derzeit keine Pläne, ganz auf den Ticketverkauf gegen Bargeld zu verzichten», fügt eine ZVV-Sprecherin hinzu. Die Basler Verkehrs-Betriebe wiederum sind daran, ihre veralteten Ticketautomaten zu ersetzen. Per öffentlicher Ausschreibung sucht die Firma den «Billettautomaten der Zukunft». Barzahlung soll damit weiterhin möglich sein.
Bargeldloses Zahlen ist ein heikles Thema
Ein Grund für die Zurückhaltung dürfte sein, dass bargeldloses Zahlen ein heikles Thema ist. «Je weniger Möglichkeiten es gibt, Bargeld zu nutzen, desto mehr wird Bargeld verschwinden. Das ist eine besorgniserregende Tatsache», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. Betriebe in staatlicher oder öffentlichen Hand wie Postauto oder die BLS dürften nicht mithelfen, diesen Trend zu beschleunigen.
Stalder spielt unter anderem darauf an, dass Bargeld ein anonymes Bezahlmittel ist. Nicht jede oder jeder Reisende will digitale Spuren hinterlassen, die Rückschlüsse erlauben, wo sie oder er herumgereist ist. Stalder befürchtet zudem, dass im Zuge der Digitalisierung undurchsichtige Tarifsysteme mit überteuerten Preisen entstehen.
Pro Senectute hält den Aufschub von mehr als zehn Jahren zwar für «zumutbar für Seniorinnen und Senioren». Die Digitalisierung löse aber oftmals gerade bei dieser Altersgruppe Respekt, wenn nicht gar Angst aus, sagt ein Sprecher der Dienstleistungsorganisation für ältere Menschen. Nötig seien darüber hinaus Hilfs- und Schulungsangebote.
Um den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, setzt Postauto auf eine Übergangsfrist. So sind ab 2026 schweizweit Tests mit Billettautomaten in Postautos geplant, an denen Tickets nur noch mit Kreditkarte oder dem Swiss Pass gelöst werden können. Postauto nutzt dieses System mit Namen Venda im Kanton Graubünden bereits. Graubünden ist einer derjenigen Kantone, welche die Digitalisierung des Bezahlwesens befürworten und im Fall von Venda unterstützen.
Widerspruch aus Basel-Landschaft
Widerspruch kommt aus dem Kanton Baselland. «Mittelfristig besteht der Kanton Basel-Landschaft darauf, dass Bargeld im öffentlichen Verkehr akzeptiert wird», sagt eine Sprecherin der zuständigen Bau- und Umweltschutzdirektion. An jeder Haltestelle solle niederschwellig und anonym ein Ticket gelöst werden können, «auch ohne Smartphone oder Swiss Pass».
Das Wort der Kantone hat Gewicht. Sie bestellen die Postauto-Fahrten und finanzieren diese teilweise mit. In ihren Vereinbarungen mit Postauto können die Kantone festhalten, ob die Barzahlung weiterhin akzeptiert werden muss.
Keine Richtlinien gibt es vonseiten der Eidgenossenschaft. Die Möglichkeit einer Bezahlung mit Bargeld müsse nicht zwingend angeboten werden, teilt das Bundesamt für Verkehr mit. «Die Transportunternehmen müssen aber dafür sorgen, dass Leute, die nur mit Bargeld zahlen können oder wollen, nicht schlechtergestellt sind», präzisiert ein Sprecher der Behörde.
Dem Vernehmen nach sind sich die Betriebe des öffentlichen Verkehrs bewusst, dass sie digitale Tickets anbieten müssen, die anonym bezahlt werden können. Wie eine solche Lösung aber genau aussieht, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Als eine Möglichkeit gelten sogenannte Geldwertkarten. Diese könnten am Kiosk, im Dorfladen oder beim Chauffeur gekauft und zum Bezahlen von Billetten verwendet werden.
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