ÖsterreichAnnäherung von halb rechts
Mit ihrem «Österreichplan 2030» will die Volkspartei gegen die Populisten punkten. Inhaltlich aber enthält das Programm vor allem Angebote an die FPÖ.
Die zeitliche Überschneidung war Zufall. Schliesslich hatte die ÖVP nicht voraussehen können, dass in Wien und anderen grösseren Städten des Landes am Freitagnachmittag Grossdemonstrationen «gegen rechts» stattfinden würden. Allein in der Hauptstadt kamen bis zu 80’000 Menschen auf der Ringstrasse zusammen, um, angespornt auch durch die zahlreichen Märsche gegen die AfD in Deutschland, die «Demokratie zu verteidigen».
Die in Teilen rechtsextreme FPÖ steht in Österreich nämlich zu Beginn eines Jahres mit Europa-, Parlaments- und Landtagswahlen in Umfragen bei mehr als 30 Prozent. Ein «Volkskanzler» Herbert Kickl, wie sich der FPÖ-Chef gern schon selbst betitelt, wäre denn doch vielen Österreichern unheimlich. Und das Treffen der Rechtsextremen in Potsdam, bei dem die FPÖ im Geiste dabei war und der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner die Kernthesen von «Remigration« und Staatsbürgerschaftsentzug vortrug, schockierte auch viele Österreicher. Obwohl sie von ihrer Freiheitlichen Partei (FPÖ) schon einiges gewohnt sind.
Nehammer steht vor zwei kaum zu bewältigenden Aufgaben
Das Team von Bundeskanzler Karl Nehammer hatte für den Freitagnachmittag, an dem sich anderswo die Massen zu Protestmärschen sammelten, ins oberösterreichische Wels geladen. Dort wurde ein «Österreichplan 2030» vorgestellt, mit dem die Konservativen den Wahlkampf für das Jahr 2024 eröffneten. Nehammer, der seit Dezember 2021 der Nachfolger von Ex-ÖVP-Star Sebastian Kurz ist, steht vor zwei kaum zu bewältigenden Aufgaben: das Wahlergebnis der ÖVP von 2019 zu toppen, als die Partei 38 Prozent holte. Derzeit liegt sie bei 23 Prozent. Und zugleich muss er ein Rezept gegen Kickl und die FPÖ finden – was allen politischen Konkurrenten der Rechtspopulisten gleichermassen schwerfällt.
Nehammer versuchte es in Wels, das, ganz nebenbei, seit Jahren von einem FPÖ-Bürgermeister regiert wird, mit der direkten Konfrontation: «Er oder ich.» Kickl oder Nehammer – das also soll die Kernfrage für wählende Österreicher in den kommenden Monaten sein. Die ÖVP hatte, seit einer «Zukunftsrede» Nehammers im März 2023, nach eigenem Bekunden intensiv an einem Programmangebot gearbeitet, das auch gegen die rechtspopulistische Konkurrenz halten soll. Dieses wurde nun in Wels vor 2`000 Parteimitgliedern von Nehammer unter grossem Jubel präsentiert.
Das Gendern soll erschwert werden
Die Kernpunkte, wie sie sich auch auf der Website der Österreichischen Volkspartei in einiger Schlichtheit präsentieren, lauten dabei: «Leistung, Familie, Sicherheit.» Lohnnebenkosten sollen gesenkt, Vollzeitarbeitende mit einem Bonus und Besserverdienende mit einer Senkung des Höchststeuersatzes beglückt werden. Leistung soll an Universitäten und Schulen wieder grossgeschrieben werden, das Gendern erschwert, die österreichische Leitkultur hochgehalten werden.
Den stärksten Fokus legt die Partei, wie schon in den vergangenen Jahren unter Sebastian Kurz, auf die Ausländer- und Asylpolitik. Hier sind massive Verschärfungen vorgesehen: Anspruch auf Sozialleistungen etwa soll es erst nach fünf Jahren Aufenthalt im Land und vor allem in Form von Sachleistungen geben. Einiges im «Österreichplan», was in der Migrationspolitik als Neuerung präsentiert wird, gibt es allerdings schon oder ist bewusst vage formuliert, weil es in rechtliche Grauzonen reicht: So sind Abschiebe- und Verfahrenszentren im Ausland sowie eine Beschlagnahmung von Wertsachen bei der Einreise vorgesehen.
Asylentzug bei «Urlaub im Heimatland«
Wer keinen rechtmässigen Aufenthaltstitel hat, soll ausschliesslich existenznotwendige Sachleistungen erhalten, bei «Urlaub im Heimatland» soll Asyl konsequent entzogen werden. Beschlagnahme und Aberkennung des Schutzstatus bei «Heimaturlaub» wurden allerdings schon 2018 von Kurz und Kickl, damals Innenminister, mittels einer «Asylverschärfung» durchgesetzt.
Was fast gänzlich fehlt, sind Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Digitalisierung. Auch das Thema Europa ist ein Stiefkind im «Österreichplan». Was in einem Jahr, in dem das EU-Parlament gewählt wird, in dem immer mehr Rechtspopulisten an die Macht kommen und demokratische Strukturen bedrohen und in dem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch Europa destabilisieren könnte, dann doch erstaunt.
Für das mangelnde Interesse der selbsterklärten Europapartei ÖVP spricht auch, dass die Konservativen grösste Probleme hatten, einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin für ihre Liste zur EU-Wahl zu finden. Nach zahlreichen Absagen wurde schliesslich Reinhard Lopatka auf den Schild gehoben, der, obwohl gerade erst 64 geworden, schon zum alten Eisen in der Partei gehört und politisch zuletzt kaum noch eine Rolle spielte.
«Karli, es ist vorbei»
Die gesamte Nehammer-Rede, kommentierten österreichische Medien, sei extrem auf Sicherheits- und Ausländerthemen fokussiert, um auch als Angebot an die FPÖ durchgehen zu können. Vieles hätte die Partei, die seit Jahrzehnten an der Macht ist und den Wirtschaftsminister stellt, zudem längst umsetzen können.
Die stellvertretende Chefredaktorin von «Profil», Eva Linsinger, fragt etwa, wer, bitte sehr, die ÖVP in den vergangenen 37 Jahren daran gehindert habe, Lohnnebenkosten oder Steuern zu senken, und warum die Partei, die seit 1987 alle Hebel in der Hand halte, nun einen «Regimewechsel in der Wirtschaftspolitik» fordere. SPÖ-Chef Andreas Babler sprach, wenig diplomatisch, von «Verarschung». Nur Herbert Kickl und die FPÖ blieben cool. «Karli, es ist vorbei», liess Kickl höhnisch wissen. Dabei hat der Wahlkampf noch gar nicht begonnen.
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