Justizaffäre in ÖsterreichWollte die ÖVP die Unabhängigkeit der Justiz untergraben?
Eine heimliche Tonaufnahme legt dies nahe. Die zentrale Person in der Affäre hat Suizid begangen.
Der Name des ehemals höchsten Beamten im Wiener Justizministerium, Christian Pilnacek, war selbst in Österreich lange Zeit nicht besonders vielen Menschen geläufig. Gekannt haben ihn vorwiegend jene, die sich intensiv mit den zahlreichen Ermittlungen und Skandalen beschäftigten, die das Land seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos 2019 und den daraus folgenden Strafverfahren in Atem hielten.
Mittlerweile aber steht Pilnacek für eine neue Welle von politischen Verwerfungen, mit denen sich auch die Frage neu stellt, wie in Österreich mit der Gewaltenteilung und dem Rechtsstaat umgegangen wird. Dabei ist der Top-Jurist selbst seit dem 20. Oktober tot. Er nahm sich, nachdem die Polizei ihn betrunken bei einer Geisterfahrt auf der Autobahn gestoppt hatte, das Leben.
Er kontrollierte die Staatsanwaltschaften
Christian Pilnacek war mehrere Jahre im Justizministerium für die Kontrolle der Staatsanwaltschaften zuständig gewesen, mithin auch für die Aufsicht über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die zahlreiche Korruptionsverfahren primär gegen die ÖVP und ÖVP-Politiker aus der Ära von Ex-Kanzler Sebastian Kurz führt. Zugleich galt er als ÖVP-nah.
Er war im Februar 2021 wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs suspendiert worden. Im Laufe von Ermittlungen gegen andere Politiker und Unternehmer ergaben sich neue Verdachtsmomente gegen ihn. Im Ministerium munkelte man über seine Rückkehr – stattdessen beging er Suizid.
Nun stehen die Aussagen des Verstorbenen im Zentrum neuer Ermittlungen. Denn bei einem Abendessen im Juli in einem Wiener Lokal liess sich Pilnacek sehr emotional darüber aus, dass er immer wieder von ÖVP-Politikern dazu aufgefordert worden sei, Verfahren gegen die Volkspartei «abzudrehen», also zu beenden, oder etwa Hausdurchsuchungen zu verhindern, wie es sie in der Hochphase der Ermittlungen gegen Kurz’ frühere Minister und Mitarbeiter immer wieder gab.
«Wir leben in einem Rechtsstaat», sagte er immer wieder
Er könne das nicht, er tue das nicht, «Wir leben in einem Rechtsstaat», habe er jedoch immer wieder betont. Ein Unternehmer, der während Pilnaceks Einlassungen mit am Tisch sass, nahm die Suada auf und leitete sie vor einer Woche an zwei Medien weiter. Die Folge: eine Untersuchungskommission im Justizministerium, Rücktrittsforderungen, Wut, Sprachlosigkeit. Zehn Monate vor der nächsten Nationalratswahl ist die politische Stimmung im Land am Tiefpunkt.
Pilnacek hatte bei seinem Monolog über Interventionsversuche aus der Regierungspartei gegen Ermittlungen der WKStA auch einen Namen genannt. Vor allem Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka habe ihn bedrängt, sagte er, endlich in Verfahren einzugreifen.
Nehammer stützt den Beschuldigten
Ein Parlamentspräsident, der eigentlich ausgleichend wirken und jenseits von Partikularinteressen agieren sollte, als Handlanger von Parteifreunden, die sich lästige Korruptionsermittler vom Hals schaffen wollen? Und der die Unabhängigkeit der Justiz untergräbt? Sobotka dementiert vehement alles, was auf dem Mitschnitt zu hören ist. Die Vorwürfe seien unwahr.
Seine Partei, die ÖVP, fährt eine andere Strategie. Kanzler Nehammer und Generalsekretär Christian Stocker argumentieren zum einen mit der Pietätlosigkeit jener, die den Verstorbenen für ihre Ränkespiele auszunützen versuchten. Er sei sprachlos, so Stocker, dass dieser «nun dafür herhalten muss, politisches Kleingeld zu schlagen und die Skandalisierungskampagne der SPÖ und FPÖ voranzutreiben».
Beide verweisen zum anderen darauf, dass Pilnacek in den vergangenen Jahren als Zeuge in zwei Untersuchungsausschüssen niemals gesagt habe, es sei politischer Druck auf ihn ausgeübt worden. Und da man in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen unter Wahrheitspflicht stehe, sei diesen Aussagen mehr zu glauben als einem Gespräch mit Bekannten.
Allerdings beharren alle Oppositionsparteien darauf, dass das so nicht richtig sei. Tatsächlich hatte sich Pilnacek bei Befragungen von Grünen oder Neos-Abgeordneten entweder allgemein gehalten oder die Aussage verweigert. Letztlich beharrte er darauf, keinen Druck weitergegeben zu haben. Ob er Druck bekommen habe aus der Politik, wollte er nicht beantworten. Bekannt ist allerdings, dass der hohe Justizbeamte in zahlreichen Fällen sehr wohl Druck ausgeübt, in Verfahren eingegriffen, Staatsanwaltschaften in ihrer Arbeit behindert oder Politiker, gegen die ermittelt wurde, beraten hatte.
Der Beschuldigte will selber Korruption untersuchen
Derweil hat Parlamentspräsident Sobotka neue Schlagzeilen gemacht. Parallel zu den heftigen Debatten um die Causa Pilnacek hatten erst SPÖ und FPÖ sowie kurz danach die ÖVP erklärt, sie wollten vor Ende der Legislaturperiode neue parlamentarische Untersuchungsausschüsse einsetzen, um Fehlverhalten und Korruption aufseiten ihrer jeweiligen Gegner zu prüfen.
Sobotka will beide Ausschüsse leiten – so wie er das auch in den vergangenen Jahren im Ibiza-Ausschuss und im ÖVP-Korruptionsausschuss gehalten hat. Obwohl sie seine Partei betrafen und er selbst als Zeuge auftreten musste, weil auch gegen ihn ermittelt wird. Er könnte den Vorsitz wegen Befangenheit an einen Stellvertreter abgeben, weigert sich aber, dies zu tun. Sobotka war bei der Leitung der Ausschüsse regelmässig mit dem Vorwurf der Parteilichkeit und der Intervention zugunsten von Parteifreunden konfrontiert.
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