Papablog: Liebeserklärung am ComerseeOde an meine Hängematte
Seit Jahren zum Staubfänger verkommen, hängt unser Autor nun mit ihr rum – und lässt alle Ereignisse aus unmittelbarer Nähe und weiter Ferne in die Halbdistanz rücken.
Es ist schon viel zu lange her. Ich habe dich vermisst, mein alter Freund. Irgendwann in einem sehr fernen, kinderlosen Früher habe ich dich gekauft, um auf Campingtrips mit der Lebenskomplizin in dir herumzuhängen. In dir liegend Zeit zu verbringen, war schon immer etwas Besonderes. In einer Hängematte wie dir rücken alle Ereignisse aus unmittelbarer Nähe und weiter Ferne in die Halbdistanz. Wenn irgendetwas ist, hebt man kurz den Kopf und schaut sich an, ob sich die Sache wirklich lohnt. Ob man sich dafür allen Ernstes erheben will oder muss. Oder ob man nicht weiter einfach liegen bleibt. Ein Buch liest. Musik hört. Am Handy neue Möglichkeiten zur Hängemattenaufhängung plant. Den lauen Sommerabend geniesst. In die Sterne schaut. Dafür mag ich dich. Deshalb hast du mir gefehlt.
Mit Kindern ist immer irgendwann
Aber du weisst es ja selber: Seit den Kindern ist es anders zwischen uns geworden. Meine geliebte Halbdistanz ist leider doch oft viel zu nah dran. Mit Kindern ist immer irgendwann. Wenn nicht, dann wollen sie «auch mal schaukeln». Und auch wenn ich gerne reise und gerne in neue Wohnungen und Häuser umziehe – in den letzten Jahren gab es einfach viel zu selten Gelegenheit, dich irgendwo aufzuhängen, wo wir Sonnenstrahlen, Wind und Sternenlicht abbekommen. Ich wollte keine Haken in irgendwelche Innenräume versenken, um bei Raumtemperatur ein bisschen herumzuschaukeln. Dafür sind du und ich einfach nicht gemacht.
Und jetzt sind wir hier. In diesem wunderschönen Haus in den Bergen oberhalb des Comersees.
Deshalb verkommst du seit Jahren in einer Kiste mit der Aufschrift «Outdoor» zu einem Staubfängertuch mit Seilen dran. Du bist ein kleines blaues Säckchen mit ganz viel Früher und noch mehr Wehmut daran. Aber jetzt schau dir an, was passiert ist: Die Lebenskomplizin hat dich einfach eingepackt und mitgenommen. Ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Sie hat in dem kleinen Garten hier eine Zaunecke gefunden und dich aufgehängt, ohne dass ich etwas geahnt hätte. Und jetzt sind wir hier. In diesem wunderschönen Haus in den Bergen oberhalb des Comersees.
Leichtigkeit aus der Halbdistanz
Die kleinen Kinder sind eisgesättigt und sommerpoolglücklich sehr spät in ihre Betten gefallen. Die grossen Kinder fläzen in gemütlichen Sitzsäcken herum und tun, was grosse Kinder eben tun: Dies und das, lesen, geheime Geheimsachen am Handy, die mich überhaupt nichts angehen. Aus einem Liegestuhl funkelt mich eine sonnengebräunte, wie in die Nacht gegossene Lebenskomplizin an. Im Hintergrund leise Musik. Über uns schweigend die Sterne. Wir schaukeln ein bisschen, du und ich. Ich blicke in den Himmel und geniesse die immer noch laue Mitternachtsluft. Ich schreibe diesen Text in meinem Kopf und lege ihn ab zur späteren Verwendung. Wort für Wort, Satz für Satz. Ich hatte fast vergessen, wie leicht das alles aus dieser Halbdistanz ist. Grillen zirpen. Eine Fledermaus schaut sich unsere kleine Runde aus der Nähe an. Satzfetzen dringen an mein Ohr. Halbe Pläne, Drittelträume, Viertelgespräche.
Ach Hängematte, mein alter Freund: Es ist gar nicht so, als könnte man sich in dir um die Zeit herumschaukeln. Um all die Falten, die Nerven, die Mühen und das Leid. Es ist eher so, dass ich mich mit dir in genau die notwendige Distanz dafür schaukeln kann, um das alles im richtigen Licht zu sehen. Um zu wissen, was all das gekostet hat, und zu fühlen, wie sehr es das wert gewesen ist. Um die Kinder zu sehen. Und sie. Immer wieder sie. Es ist ja ein offenes Geheimnis zwischen uns, Hängematte, aber ich dachte, ich sag es trotzdem noch einmal: Jede Ode auf dich ist auch immer eine Ode auf die Lebenskomplizin. Ohne sie wären wir gar nicht hier. Ich weiss, hier draussen wirkt das selbstverständlich. Aber ich wollte es trotzdem noch einmal sagen, damit du dich dann später in der Kiste mit der Aufschrift «Outdoor» noch daran erinnerst und in stiller Dunkelheit in unseren Geschichten schaukelst. Bis zum nächsten Mal. Es wird nicht allzu lange dauern. Versprochen.
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