Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Abkoppelung von EU rückt näher
Ob mit oder ohne Deal: Die Briten sind zunehmend nervös

In Frankreich werden die neuen Grenzprozeduren schon eingeübt: Langes Warten von Lastwagen in Folkestone vor dem Eurotunnel-Terminal.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

An skurrilen Aspekten hat es beim Brexit nie gemangelt. Nicht nur sind französische Fischer für den Fall einer «Invasion» britischer Fischgründe Anfang des nächsten Jahres vor dem Einsatz der Kriegsmarine des Königreichs gewarnt worden. Die jüngste Aufregung gilt der Aussicht auf einen «Bratwurst-Krieg» mit der EU. Jetzt zeichnen sich bittere Gefechte auch um Hackfleisch und Würstchen ab.

Grund dafür ist, dass die EU gewissen Fleischwaren, die nicht tiefgefroren sind, den Zugang verwehrt auf ihre Märkte. Selbst tiefgefrorene Importe müssen länderweise genehmigt sein – und Grossbritannien taucht auf der «grünen Liste» bisher nicht auf. Viel Zeit bleibt nicht mehr für eine Lösung, da sich die Verhandlungen um ein neues Handelsabkommen zwischen London und Brüssel dem Ende zuneigen.

Zu Silvester läuft die Übergangsphase beim Brexit aus. Besonders problematisch wird die Sache, weil Nordirland künftig nach EU-Regeln operieren soll, damit die innerirische Grenze – von Januar an eine Aussengrenze der EU – offen gehalten werden kann. In Nordirland fürchtet man jetzt, dass zum Beispiel englische Supermärkte, ohne Einführung neuartiger Gesundheitszertifikate, keine Würstchen oder ähnliche Produkte mehr über die Irische See schicken dürfen.

Komplizierte Grenzübergänge

Sollte es dazu kommen, denkt man im Londoner Regierungsviertel Whitehall nach Informationen der «Times» offenbar an «Vergeltung», nämlich an einen Einfuhrstopp für entsprechende Fleischwaren aus EU-Staaten. Das träfe vor allem die Republik Irland hart. Dabei wäre das nur eines von vielen Problemen beim bevorstehenden endgültigen Vollzug des Brexit.

Einen Vorgeschmack davon, was sie erwartet, bekamen die Briten diese Woche schon am Ärmelkanal. Um sich in den künftigen Post-Brexit-Grenzprozeduren «einzuüben», gingen französische Grenzer nämlich am Zugang zum Eurotunnel in Folkestone und im Fährhafen Dover einen Tag lang zu der etwas komplizierteren Abfertigung von Lastwagen über, die das Ende der Zugehörigkeit Grossbritanniens zu Binnenmarkt und Zollunion der EU vom 1. Januar erfordert. Egal, ob es noch zu einem Deal mit der EU kommt oder nicht.

Fragen zur Identität von Fahrern und Beifahrern, zum Ziel ihrer Reise und zur Dauer des Aufenthalts in der EU verlangsamten die Grenzprozedur derart, dass sich auf der Zufahrtsautobahn Richtung Folkestone und Dover unmittelbar eine Schlange von fast acht Kilometer Länge bildete. Mit Staus von 7000 Lastwagen im Januar rechnet die Regierung selbst. Hektisch sind Auffangparkplätze und Alternativhäfen ausgebaut worden.

«Die Royal Navy soll wieder die tonangebende Kriegsmarine in Europa sein: Boris Johnson, Premier Grossbritanniens.

Jede Menge Schwierigkeiten bringt, wie auch der Regierung bewusst ist, die rapide näher rückende Abkoppelung «von Europa» – zumal mitten in einer Pandemie, die Grossbritannien an finanziellen Mitteln alles abverlangt. Einem jetzt durchgesickerten internen Report des für die Brexit-Planung verantwortlichen Kabinettsamtes zufolge muss sich das Land auf eine «alle Bereiche umfassende Wirtschaftskrise» vorbereiten, weil «eine Anzahl gleichzeitiger Katastrophen» in diesem Winter eine «äusserst kritische Lage» auslösen kann.

Zu den befürchteten «Katastrophen» gehören die Wahrscheinlichkeit erneuter Überlastung des Gesundheitswesens durch die «normale» Grippe-Epidemie der kalten Jahreszeit ebenso wie durch Covid-19, die Möglichkeit schwerer neuer Überschwemmungen in Teilen des Landes und die durch den kommenden harten Brexit zu erwartenden Engpässe und Finanzprobleme, die zu sozialen Konflikten, Streiks und gewalttätigen Protesten führen könnten.

Die Ärmsten trifft es am härtesten

Unter anderem warnt der Report davor, dass eine Verteuerung der Lebensmittel nach dem Brexit ernste Folgen für den ärmsten Teil der Bevölkerung haben würde. Aufgezehrte Gemeindebudgets und das enorme Corona-Loch in der Staatskasse dürften Hilfe für die Bedürftigen überall erschweren. Im Pflegebereich könne es zu gefährlichen Ausfällen und sogar zur Schliessung von Heimen kommen.

Die Regierung erklärte, bei dem durchgesickerten Report handle es sich natürlich «nicht um eine Voraussage», sondern nur um eine notwendige «Intensivplanung» aufs endgültige Brexit-Datum hin, damit man «für alle Eventualitäten gerüstet» sei.

Vor einem vertragslosen Abgang aus dem EU-Binnenmarkt warnte diese Woche aber noch einmal nachdrücklich der Gouverneur der Bank von England, Andrew Bailey. Er zeigte sich überzeugt davon, dass ein harter Brexit die britische Wirtschaft auf Dauer stärker belasten würde als die Covid-Krise, die dem Königreich kurzfristig so zu schaffen macht. Finanzminister Rishi Sunak ist anderer Meinung.

Einbruch der Wirtschaft um 11,3 Prozent

Sunak glaubt, dass sein Land, mit oder ohne Deal, «prächtig gedeihen wird» ausserhalb der EU. Über die «wirtschaftliche Notlage» wegen Covid macht sich auch der Finanzminister keine Illusionen. Vor dem Unterhaus meldete Sunak einen Einbruch der britischen Wirtschaftskraft um 11,3 Prozent – den schlimmsten seit über 300 Jahren. Fast 400 Milliarden Pfund an neuen Schulden müsse er machen wegen des Virus.

Fürs nächste Jahr wird ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 7,5 Prozent erwartet. Um das enorme Haushaltsdefizit irgendwann wieder austarieren zu können, hat Sunak nun als Erstes Millionen Beamten einen Lohnstopp verordnet. Empfängern von Mindestlöhnen sollen ebenfalls Opfer abverlangt werden.

Die Entwicklungshilfe wird gedrosselt, während der Militärbereich gross ausgebaut werden soll in den nächsten vier Jahren. Denn ungeachtet der Pandemie müsse «die Verteidigung unserer Heimatstatt an erster Stelle kommen», hat Premierminister Boris Johnson verkündet. Insbesondere soll in der neuen, globalen Ära nach dem Brexit die Royal Navy «wieder die tonangebende Kriegsmarine in Europa» sein.