Leitartikel zur Fussball-WMOb Frauen oder Männer auf dem Platz stehen – egal
Noch nie war eine Weltmeisterschaft der Frauen grösser als diejenige in Australien und Neuseeland. Sie ist ein nächster Schritt auf dem Weg zur Chancengleichheit.
Die WM der Frauen hat begonnen – und die Massen strömen in die Stadien. Fast 80’000 Menschen sind in Sydney dabei, als Co-Gastgeber Australien sein erstes Spiel austrägt. Und irgendwo auf der Tribüne hängt ein Plakat mit der Aufschrift: «I told you so! – J. Warren.»
Der Satz stammt von einem Mann namens Johnny Warren und war eigentlich für den Männerfussball gedacht. Der langjährige Captain Australiens wurde kurz vor seinem Tod am 6. November 2004 gefragt, was er sich als sein Vermächtnis im Fussball wünschen würde. Er wollte, dass alle Zweifler und Nörgler irgendwann diesen Satz hören würden. Immer und immer wieder – sobald der Fussball in seinem Land salonfähig würde. «Ich habs euch ja gesagt!»
Dass der Satz nun im Zusammenhang mit den Frauen auftaucht, hat Symbolcharakter. Es spielt für die Leute keine Rolle, ob da Männer oder Frauen auf dem Platz stehen. Es ist das australische Nationalteam. Und genau das ist der springende Punkt.
Ja, es geht bei einer Weltmeisterschaft auch um Geld. Aber als die US-amerikanischen Fans an der WM 2019 ihre «Equal Pay»-Forderung durch die französischen Fussballstadien skandierten, mitten ins Gesicht von Fifa-Präsident Gianni Infantino, als er dem 2:0-Finalsieg der USA gegen die Niederlande zuschaute: Da ging es um Fairplay, um gleiche Bezahlung. Gemeint waren die WM-Prämien für das US-Team, das erfolgreicher ist als das der Männer, normalerweise mehr Leute anzieht, zeitweise mehr Merchandising verkauft. Da ging es nicht darum, dass beispielsweise beim FC Barcelona die Schweizer Nationalspielerin Ana-Maria Crnogorcevic ebenso 24 Millionen Franken im Jahr verdienen sollte wie ihr männlicher Kollege Frenkie de Jong.
So ist jede WM eine Geldbörse. Für das Turnier in Australien und Neuseeland schüttet die Fifa total 110 Millionen US-Dollar aus, viermal so viel wie noch 2019. Jede Spielerin erhält 30’000 Dollar für ihre Teilnahme an der Gruppenphase, je weiter es geht im Turnier, desto mehr wird es. Infantino verspricht, dass es an der WM 2027 gleiche Prämien gibt wie bei den Männern ein Jahr vorher. 2022 betrug der Topf für die Männer-WM 440 Millionen Dollar.
Fifa untergräbt die eigenen Verbände
Aber es gibt da auch eine andere Seite. Der Entscheid über diese 30’000 Dollar pro Spielerin kam wenige Tage vor Turnierstart, viele Verbände hatten da ihren Prämienschlüssel mit den Fussballerinnen bereits ausgehandelt – und mussten nun wieder zurückkrebsen. «Enttäuschend» findet das Englands Lucy Bronze: Offenbar hatte ihr der britische Verband FA zunächst mehr zugesagt. Marion Daube, Direktorin Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband, hält den Zeitpunkt der Fifa für «unglücklich», schliesslich wolle man nicht während einer WM über finanzielle Dinge verhandeln müssen. Bei den Männern wären solche Vorgänge undenkbar. Und darum geht es an dieser WM eben nicht nur ums Geld, sondern um so viel mehr.
Gleichstellung. Chancengleichheit. Die Fussballerinnen wollen ernst genommen werden. Sie haben zunehmend weniger Geduld dafür, wenn das nicht passiert. Deshalb rebellieren Französinnen, bis die Nationaltrainerin zurücktritt. Deshalb boykottieren die Spanierinnen diverse Länderspiele, bis professionellere Bedingungen im Nationalteam herrschen. Deshalb blieb Ada Hegerberg, eine der besten Fussballerinnen der Welt, fünf Jahre lang dem norwegischen Nationalteam fern und verzichtete gar auf die WM 2019 – ein Turnier, das total 1,12 Milliarden Menschen am TV verfolgten. Deshalb legte sich US-Ikone Megan Rapinoe mit dem Fussballverband und mit Donald Trump an. Sie haben wenig Verständnis dafür, dass sie noch immer um solche Dinge kämpfen müssen.
Auch Lia Wälti, Captain des Schweizer Nationalteams, sagte vor wenigen Tagen, dass sie es als Mission sehe, den nachfolgenden Generationen eine bessere Ausgangslage zu verschaffen. Sie könnte damit meinen, dass es irgendwann keine 18-jährigen Nachwuchsspielerinnen in einem Super-League-Verein mehr gibt, die noch nie ein Trainingslager hatten, während 13-jährige Vereinskollegen nach Barcelona reisen. Oder mit 19 noch nie im Leben eine Videoanalyse hatten. Oder dass sie Trainer haben, die da sind, weil sie da sein wollen – und nicht, weil sie bei den Männern keine Stelle finden.
Das alles könnte helfen, dass vor einer Frauen-WM keine Artikel mehr erscheinen, die verhandeln, worum es bei diesem Turnier nun genau geht. Im Männerfussball ist es ja auch klar: Es geht einfach darum, das beste Team zu ermitteln.
In Sydney wurde ein weiterer Schritt in diese Richtung getan. Eine Mutter sagte zu ihrer Tochter: «Schau, sie da unten waren auch mal kleine Mädchen. Wie du!» Dieses kleine Mädchen bekommt die Chance, gross zu träumen. Genau darum geht es.
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