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Umstrittener Nutri-Score
Lebensmittel­ampel wertet Milch ab – und stiftet Verwirrung

A picture taken on February 28, 2023 shows nutri-score scales on the packaging of products sold at a supermarket in Nantes, western France. (Photo by LOIC VENANCE / AFP)
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Die freiwillige Lebensmittelampel ist die wissenschaftlich am breitesten abgestützte Nährwertkennzeichnung Europas. Dennoch ist sie nicht perfekt und wird deshalb angepasst. Seit Anfang Jahr gelten überarbeitete Regeln, nach denen verarbeitete Lebensmittel eine Wertung zwischen A (hohe Nährwertqualität) und E (tiefe Nährwertqualität) erhalten. Sie berichtigen einige Stolperfallen der Kennzeichnung. Fette und Öle mit einem höheren Anteil an ungesättigten Fettsäuren werden jetzt positiver bewertet. Auch Ballaststoffe sind neu höher gewichtet. Etwa Vollkornprodukte sowie Nüsse und Kerne erhalten somit bessere Bewertungen.

Bei allen Lebensmitteln wird zudem ein hoher Zucker- und Salzgehalt negativer bewertet als zuvor. Und wird der Zucker durch Süssungsmittel ersetzt, gibt dies neu ebenfalls eine schlechtere Einstufung. Ernährungsmediziner David Fäh begrüsst insbesondere Letzteres: «Bisher wurde der Zuckerersatz im Nutri-Score belohnt. Dabei zeigen Studien, dass Süssungsmittel möglicherweise sogar schädlicher sind.»

Verarbeitungsgrad wird nicht einbezogen

Die grösste Neuerung ist jedoch die Beurteilung von Milch- und Pflanzengetränken. Bisher wurden diese Produkte wie feste Lebensmittel berechnet. Neu wird die Punktzahl für die Nutri-Score-Einteilung ausnahmslos bei allen trinkbaren Produkten nach derselben Formel berechnet. Das heisst konkret: Milch, Sojamilch oder Trinkmahlzeiten können nicht mehr mit einem A bewertet werden. Denn bei den Getränken darf sich nur Wasser mit der Höchstnote schmücken.

Trotz der aktuellen Anpassungen hält David Fäh den Nutri-Score noch immer nicht für ausreichend. «Es ist ein sehr einfacher Algorithmus, der die Lebensmittel einteilt, und die Industrie findet immer Lücken.» Ein erster Schritt dagegen wäre etwa, den Verarbeitungsgrad mit in die Wertung einfliessen zu lassen. Und auch das verantwortliche Nutri-Score-Gremium selbst stellt in einer im Fachjournal «Nature Foods» veröffentlichten Analyse fest, dass der Algorithmus bei bestimmten Kategorien an seine Grenzen stösst: Bei Reis und Pasta könne die Bewertung auch in der neuen Version kaum zwischen Vollkorn- und Weissmehlprodukten unterscheiden. Dies zu ändern, würde die Berechnungen ohne grossen Mehrwert verkomplizieren, schreiben die Forscherinnen und Forscher in der Studie.

Alte und neue Berechnungen sorgen im Regal für Chaos

Für die Konsumentinnen und Konsumenten wird die Änderung jedoch aus einem anderen Grund erst einmal unübersichtlich und damit wenig hilfreich: Die Hersteller dürfen sich bis Ende 2025 Zeit lassen, die neue Bewertung auf ihren Verpackungen anzupassen. «Die Frist ist sehr lange und wird auch für Verwirrung sorgen», sagt Josianne Walpen von der Stiftung für Konsumentenschutz. «Auf den Packungen wird nicht zu erkennen sein, ob die alte oder die neue Berechnungsgrundlage des Nutri-Scores angewendet wurde.»

Und das, obwohl sich die Bewertung teilweise stark verändert: So kann beispielsweise ein bestehendes Milchgetränk, das noch nach der alten Berechnung mit einem A angeschrieben ist, neben einer neu lancierten Alternative stehen, die nach neuer Berechnung bereits ein D trägt. Solche Übergangsfristen seien allerdings im Lebensmittelrecht üblich, damit kein Verpackungsmaterial vernichtet werden müsse. «Wir fordern von den Herstellern jedoch, dass sie so rasch wie möglich die neuen Vorgaben umsetzen.»

Zudem: Erhalten die Hersteller für ihre Produkte plötzlich schlechtere Bewertungen, hält sie nichts davon ab, die Kennzeichnung wieder von den Verpackungen verschwinden zu lassen. Dies hat laut Walpen auch mit fehlender Selbstkontrolle im Detailhandel zu tun: «In anderen Ländern zeichnen die Detailhändler ihre Eigenmarken mit dem Nutri-Score aus. Coop stiehlt sich hingegen weiterhin aus dieser Verantwortung gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten.» Eine Kennzeichnungspflicht sei daher angebracht.

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Der Bundesrat sieht jedoch keinen Grund, den Nutri-Score verpflichtend einzuführen. Er sprach sich wiederholt dagegen aus, den Nutri-Score gesetzlich zu verankern – zuletzt vor zwei Jahren in einem umfassenden Bericht. Auch gemäss Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ist es sinnvoll, die Einführung derzeit den Herstellern zu überlassen. Dies funktioniere bisher gut: Ende 2023 waren in der Schweiz 95 Unternehmen mit rund 9000 Produkten an Bord.

Bei den Konsumentinnen und Konsumenten wird der Nutri-Score oft missverstanden – etwa als Anleitung zur gesunden Ernährung oder als universelles Qualitätsranking. Das BLV kenne keine grundsätzlichen Verständnisprobleme, stellt aber klar: «Der Nutri-Score vergleicht ähnliche Lebensmittel miteinander. Dies ist noch nicht allen Konsumierenden bekannt.» Denn die Bewertung einer Fertigpizza könne nur mit anderen Fertigpizzen verglichen werden und nicht etwa mit der eines Joghurts.

Parlament könnte den Nutri-Score versenken

Genau dieses Missverständnis führt aber dazu, dass eine durch gastronomischen Nationalismus befeuerte Debatte um den Nutri-Score auch in die Schweiz überschwappt: Hiesige Bauern und Bäuerinnen bemängelten gegenüber dem Bundeshaus bereits mehrfach die unfaire Behandlung des Schweizer Käses. Denn wegen des üblicherweise hohen Gehalts an Salz und gesättigten Fettsäuren sowie der vielen Kalorien schafft es bisher keine Käsesorte über ein D, die zweitschlechteste Note. Vergangenes Jahr reichte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) des Ständerates daher eine Motion ein, um «die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Nutri-Score so zu legen, dass die problematischen Effekte von Nutri-Score vermieden werden». Der Ständerat winkte sie bereits durch.

In der aktuellen Session kommt das Anliegen in den Nationalrat. Wird es auch dort angenommen, rückt der Wunsch der Konsumentenschützer – eine verbindliche Kennzeichnung – in weite Ferne. Zudem könnten gesetzliche Sonderregelungen dazu führen, dass der Schweiz die Verwendung des Nutri-Score untersagt wird, warnt der Bundesrat. Das BLV will sich zur Motion nicht äussern, stellt aber unmissverständlich klar: «Wenn die Schweiz einseitig abweichende Regelungen festlegt, könnte sie den Nutri-Score nicht mehr verwenden.» Denn die Marke gehört der französischen Gesundheitsorganisation Santé Publique France. Neben der Schweiz und Frankreich animieren Belgien, Deutschland, Luxemburg, Spanien und die Niederlande die Hersteller zu einer freiwilligen Bewertung. Zumindest hierzulande stellt sich jedoch die Frage: Wie lange noch?

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