Die Rundfahrt denkt nicht an AbsageNur die Tour de France bleibt entspannt
Während die ganze Sportwelt in sich zusammenfällt, wird in Frankreich weiter am dreiwöchigen Radrennen festgehalten. Zumindest bis zum 15. Mai, heisst es.
Die Liste des ursprünglich superlativen Sportsommers ist sehr kurz geworden. Fussball-EM: abgesagt. Olympische Spiele: abgesagt. Wimbledon: Soll am Mittwoch abgesagt werden. Und die Tour de France? Auf der Website des Rennens zählt weiterhin munter ein Countdown die Tage, Stunden und Sekunden, die bis zum Start am 27. Juni noch verbleiben.
Rennorganisator ASO gibt sich seit dem Beginn der Corona-Krise sehr zurückhaltend in seiner Kommunikation. Wenn etwas nach aussen dringt von den Diskussionen, die derzeit bezüglich des grössten Radrennens der Welt geführt werden, dann stets über indirekte Wege. Vergangene Woche war es die französische Sportministerin Roxana Maracineanu, die in einem Interview mit «France Bleu» klarmachte, dass eine Tour «hinter verschlossenen Türen» diskutiert werde. Sprich ein Rennen ohne Start- und Zielinfrastruktur für die Fans, ohne Werbekarawane, ohne Volksspektakel entlang der Strecke – nur das «nackte» Rennen. «Das Geschäftsmodell der Tour beruht nicht auf dem Verkauf von Tickets, sondern auf dem Verkauf der TV-Rechte. Das wäre letztlich nicht so nachteilig, da die Leute sich dieses daheim anschauen könnten», sagte Maracineanu.
Nur zwei Weltkriege konnten bislang die Tour de France stoppen.
Wie hoch der Stellenwert des Radsports in Frankreich ist, zeigte sich bereits Anfang Monat (8. bis 14. März), als Maracineanu Paris–Nizza zuliess – ohne Zuschauer in Start und Ziel. Das zu einem Zeitpunkt, als die Corona-Krise in Italien schon weit fortgeschritten war und sich ganz Europa mit Ausgangssperren befasste. Während des Rennens äusserte sich auch Tour-Chef Christian Prudhomme letztmals öffentlich: «Nur zwei Weltkriege konnten bislang die Tour de France stoppen.»
Man könnte meinen, dass er seine Meinung mit der schnellen Entwicklung der Krise geändert hätte. Doch dem scheint nicht so. Der belgische TV-Sender RTBF fragte bei verschiedenen Bürgermeistern von Tour-Etappenorten nach. Diese erzählen von einem Prudhomme, der sie in Telefongesprächen beruhigte: «Er zieht im Moment keine Absage oder ein Rennen hinter geschlossenen Türen in Betracht.» Ein erstes Stichdatum sei der 1. Mai, wenn beschlossen wird, ob die Ausgangssperre in Frankreich bestehen bleibt. Die letzte Frist für die ASO, um über die Durchführung der Tour zu befinden, ist laut RTBF dann der 15. Mai.
Von einem Rennen ohne Zuschauer sind die Etappenorte hingegen wenig überzeugt. Sie haben sich schliesslich genau wegen diesen um die Tour bemüht. «Wir investieren viel Geld, weil die Tour ein tolles Schaufenster für die Stadt ist», sagt der Bürgermeister von Privas. «Auch die Geschäfte würden davon profitieren. Aber ohne Zuschauer, ohne Besucher macht das keinen Sinn.»
Pinot: «Situation ist komplett lächerlich»
So ernsthaft die Organisatoren die Durchführung des Rennens auch vorantreiben: Nicht alle halten die Position für richtig. Etwa Thibaut Pinot, der vergangenen Sommer bis zuletzt um den Gesamtsieg kämpfte. In einem Interview mit France 2 sagte er: «Der Radsport ist in der jetzigen Situation komplett lächerlich. Es gibt derzeit viel wichtigere Dinge als die Frage, ob die Tour abgesagt würde oder nicht.»
Das nächste Worldtour-Radrennen, das zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abgesagt worden ist, ist das Critérium du Dauphiné am 31. Mai, ebenfalls von der ASO organisiert. Eine Woche später würde die Tour de Suisse in Frauenfeld starten. Der Konjunktiv ist da sehr angebracht: Es scheint eher eine Frage der kommenden Tage zu sein, ehe die Schweizer Rundfahrt ebenfalls abgesagt wird. So zumindest sind die Aussagen zu interpretieren, die Tour-Chef Olivier Senn am 27. März gegenüber dieser Zeitung machte.
Eine schöne, aber kaum umsetzbare Alternative schlug der italienische Radprofi Matteo Trentin vor Wochenfrist vor: Eine dreiwöchige Rundfahrt nach dem Ende der Corona-Krise, wobei je eine Woche in Italien, Frankreich und Spanien bestritten würde – quasi ein Best-of von Giro, Tour und Vuelta.
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Zumindest Tour und Vuelta könnten theoretisch Hand bieten, schliesslich gehören beide der ASO. Nur: Logistisch wäre eine solche Übung unmöglich. Ein Event dieser Grössenordnung lässt sich nicht ad hoc komplett neu erfinden. Was letztlich auch der Grund ist, dass in Frankreich nicht über die Verschiebung der Tour diskutiert wird. Das Rennen ist schlicht zu gross, um sich zu bewegen.
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