Mühe bei Personalsuche Schweizer Firmen fordern neues Notensystem an Schulen
Zeugnisse taugten nicht, um geeignete Lernende zu finden, klagen Unternehmen. Sie fordern einheitliche Standards für alle. Doch die oberste Lehrerin will das Gegenteil.
Schulnoten sind nicht objektiv – und sagen vieles nicht. Unternehmen beklagen deshalb, dass sie Mühe haben, geeignete Lernende zu finden. Zu diesem Problem haben die Schweizer Wirtschaftsverbände nun erstmals eine qualitative Befragung durchgeführt. Die Ergebnisse liegen dieser Redaktion exklusiv vor und zeigen: Das heutige Notensystem ist aus Sicht vieler Firmen ungenügend.
«Berufsbildner und Personalverantwortliche können sich nicht mehr auf die Schulzeugnisse verlassen», sagt Roger Wehrli vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Er hat die Befragung zusammen mit dem Arbeitgeberverband verfasst. Wehrli macht ein Beispiel: «Eine 5 in Mathematik sagt noch nichts zu den Fähigkeiten in Geometrie aus. Denn diese Note ist erreichbar, wenn jemand sehr gut in Algebra ist, obwohl Geometrie nicht verstanden wurde.» Zudem seien die Noten nicht vergleichbar. Je nach Schule bedeute eine spezifische Bewertung etwas ganz anderes. «Teilweise sind die Noten nicht einmal innerhalb eines Schulhauses vergleichbar.»
Lehrabbrüche reduzieren
Sollen Schulnoten also abgeschafft werden? Mitnichten, findet Wehrli. Für die Beurteilung braucht es aus Sicht der Wirtschaft an allen Schulen zwingend standardisierte, vergleichbare und aussagekräftige Beurteilungen. «Sodass sich die Unternehmen auf die Angaben der Schulen verlassen können und nicht zu stark auf externe ‹Checks› oder eigene Assessments ausweichen müssen.» Die Hoffnung ist: Die Beurteilungen sollen objektiver und aussagekräftiger werden.
So könnten die Unternehmen einfacher die passenden Personen finden. «Schliesslich ist es für Lernende auch ein Frust, wenn sie mitten in der Ausbildung merken, dass sie den Anforderungen des Jobs nicht gewachsen sind», sagt Wehrli. Er verweist darauf, dass die Lehrabbruchquote in der Schweiz 26 Prozent beträgt.
Um Lehrabbrüche zu vermeiden, sollte die Bewertung so ausfallen, dass die Ausbildungsbetriebe alle relevanten Informationen selbsterklärend erhalten und sie einfach interpretieren können. Gemäss der Studie müssten die Beurteilungen national harmonisiert werden. Ausgearbeitet werden sollen sie in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren: den Schulen, Bildungspolitikern, Arbeitgeber- und Berufsverbänden. Somit wären weiterführende Tests, die für die Betriebe hohe Kosten verursachen, hinfällig. Ob mit Noten, Kreuzchen oder Ähnlichem bewertet werde, sei für die Wirtschaft nicht relevant, so Wehrli. Hauptsache sei, dass die Zeugnisse aussagekräftig würden und die Bewerbenden miteinander verglichen werden könnten.
Gleiche Tests, ungleiche Voraussetzungen
Dagmar Rösler, die oberste Lehrerin der Schweiz, begrüsst, dass sich die Wirtschaft Gedanken über das Bewertungssystem der Volksschule macht. Sie bezeichnet die Vorschläge aus der Studie allerdings als «falschen Weg». Zwar findet auch sie, dass die Schulnoten problematisch sein können. Sie würden eine «Scheingenauigkeit» aufzeigen, Druck bewirken und könnten den Lernenden die Motivation nehmen.
Zum Vorschlag von standardisierten, harmonisierten Bewertungsmethoden sagt sie aber: «Wenn alle am gleichen Tag den gleichen Test machen, müssen alle gleich vorbereitet sein – und das ist in unserem kleinräumig organisierten und föderalistischen Land unmöglich.» Jede Klasse sei anders zusammengesetzt, heterogen, habe unterschiedliche Stärken und Schwächen. «Kinder mit Teilleistungsschwächen, ASS- und ADHS-Symptomatik haben andere Bedürfnisse und werden innerhalb der Klasse getestet.»
Nicht alle hätten die gleichen Voraussetzungen, also könnten auch nicht alle den gleichen Test machen, so Rösler. «Die Schulen werden immer mehr darauf sensibilisiert, die Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen und, so gut es geht, individuell auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen.» Standardisierte Tests würden diese pädagogischen Grundsätze missachten. «Die Sicht der Wirtschaft ist von grosser Bedeutung, aber sie muss auch die Realitäten, die an den Schulen herrschen, berücksichtigen.»
Stärken und Schwächen beschreiben
Die Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrer-Dachverbands plädiert für eine andere Art der Beurteilung, in der die Lehrpersonen die Stärken und Schwächen der Jugendlichen beschreiben würden. Und ihre Lernentwicklungen, Fähigkeiten und Kompetenzen. «Das wäre für die Unternehmen aussagekräftiger als Bewertungen in Noten oder standardisierten Tests.»
Sie weist zudem darauf hin, dass Firmen unterschiedliche Anforderungs- und Stellenprofile hätten. «Die Swisscom sucht andere Talente als eine grosse Holzbaufirma oder ein Architekturbüro. Ein individuelles Portfolio wäre genauer als einheitlich geprüfte Testresultate.»
Tatsächlich gehen die Unternehmen unterschiedlich vor, wenn es um die Einstellung von Lernenden geht. Bei Coop etwa werden neben den Schulnoten die Bewerberinnen und Bewerber mit einem computerbasierten Eignungstest evaluiert. «Aus unserer Sicht runden solche berufsspezifischen Tests den Gesamteindruck der Jugendlichen ab», sagt Coop-Mediensprecher Kevin Blättler. Neben den schulischen Leistungen, die sich mit dem Eignungstest unabhängig überprüfen liessen, lege man aber auch grossen Wert auf soziale Kompetenzen. «Letztendlich ist auch das Abschneiden während der Schnupperlehre ein wichtiger Aspekt, mit dem wir die Eignung der Jugendlichen beurteilen können.»
Eigene Tests kennen nicht nur Grossunternehmen wie Roche. Auch beim Hotel Krone in Zürich heisst es auf Anfrage, man verwende interne Tests zur Auswahl der Lernenden. Die Krone, die bei der Studie mitgemacht hat, nehme in einem ersten Schritt eine Vorselektion der Bewerbenden vor. Da die Noten aber aufgrund von unterschiedlich angewandten Massstäben nicht vollständig vergleichbar seien, werde in den Zeugnissen auf weitere Faktoren geschaut, zum Beispiel auf die Angaben zum Verhalten oder zu den Absenzen. Externe Analysen verwendet das Hotel Krone Unterstrass hingegen nicht.
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