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Genf ehrt Putin-Kritiker
Nobelpreisträger warnt vor russischem Atomkrieg

Bundesrätin Simonetta Sommaruga begrüsst den Journalisten und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow in Genf.
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«Das Ende des Krieges in der Ukraine ist vielleicht das Ende der Menschheit.» Mit diesem drastischen wie denkwürdigen Satz beendete der russische Journalist und Putin-Kritiker Dmitri Muratow am Dienstag eine Pressekonferenz in Genf. Dass Putin Atomwaffen abfeuert, hält der 60-Jährige für ein realistisches Szenario.

Muratow sagte: Wenn Putin in einer Fernsehshow den roten Knopf für den Einsatz der Nuklearwaffen drücken würde, würden ihm viele Russen begeistert zusehen. «Die Leute haben die Furcht vor Atomwaffen längst verloren.»

In Genf weilte Dmitri Muratow, weil der Stadtrat ihn und die philippinische Investigativjournalistin Maria Ressa mit einer Ehrenmedaille auszeichnete. Im letzten Dezember hatten Muratow und Ressa bereits den Friedensnobelpreis bekommen. 

Augen von Nobelpreisträger verätzt

Für seinen kremlkritischen Journalismus zahlt Muratow einen hohen Preis. Ein Unbekannter überschüttete den Gründer und Chefredaktor der Zeitung «Nowaja Gaseta» im April während einer Zugfahrt mit roter Farbe und verätzte dabei Muratows Augen. Der Angriff wird dem russischen Geheimdienst zugeschrieben. Seine Retina sei beschädigt, er müsse seine Augen immer wieder schliessen, sagte Muratow. Er muss zeitweise eine Sonnenbrille tragen. Den Täter habe er identifizieren können, aber eine Strafuntersuchung sei nicht eröffnet worden. 

Diese Attacke endete vergleichsweise glimpflich. In den letzten 20 Jahren wurden sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der «Nowaja Gaseta» ermordet. Insbesondere die Erschiessung der Investigativjournalistin Anna Politkowskaja im Jahr 2006 sorgte für weltweites Aufsehen.

Zeitung musste aufgeben

Zu Ehren Ressas und Muratows war auch Medienministerin Simonetta Sommaruga nach Genf gereist. Sie wisse nicht, wie es sei, sein Leben zu riskieren und zu schlafen, wenn man damit rechnen müsse, vergiftet zu werden, sagte Sommaruga in einer Rede. Aber sie wisse, dass die Demokratie Journalisten wie Muratow und Ressa brauche.

Natürlich sprach Muratow in Genf vor allem über ein Thema: den russischen Krieg in der Ukraine. Auch aus persönlicher Betroffenheit. Die Moskauer Redaktion der «Nowaja Gaseta» versuchte zunächst, über den Krieg zu schreiben, unter anderem mit zweideutigen Aussagen in Texten und Illustrationen. Im März musste die Redaktion ihre Arbeit nach mehrfachen Verwarnungen der Medienaufsicht und wegen drohender Repressalien aussetzen. 

Sind im Dezember in Stockholm mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden: Die Journalisten Dmitri Muratow und Maria Ressa.

Offen ist, wie es mit der «Nowaja Gaseta» weitergeht. Muratow und seiner Redaktion liegt das Angebot vor, in baltischen Staaten weiterzuarbeiten. «Wir haben Pläne, aber ich will sie heute nicht verraten», sagte der 60-Jährige in Genf. Bereits entschieden hat er jedoch, seine Nobelpreismedaille in einer Auktion zu versteigern und den Erlös Flüchtlingen zukommen zu lassen. 

«Die Propaganda hat die Information ersetzt. Das war die Vorbereitung des Kriegs.»

Dmitri Muratow, Journalist und Friedensnobelpreisträger

Auch für den Moskauer Journalisten kam der russische Einmarsch in die Ukraine offenbar unerwartet. Als er im Dezember den Nobelpreis bekommen habe, hätte er nie gedacht, dass Putin der Ukraine den Krieg erklären würde, sagte der 60-Jährige. Heute könne er sich aber sehr wohl erklären, wie es dazu gekommen sei. Die russische Führung habe politische Gegner und unabhängige Medien unterdrückt und gleichzeitig in ganz Russland «eine umfassende Propaganda» aufgezogen.

Politiker tragen Mitverantwortung 

So begann gemäss Muratow eine ganze Nation, zu glauben, die von Putin vorgegebene Linie entspreche der realen Welt. «Die Propaganda hat die Information ersetzt. Das war die Vorbereitung des Kriegs», sagte der Journalist. Gleichzeitig habe die Regierung der Bevölkerung zu verstehen gegeben, dass, wenn sie ihr Heimatland liebe, sie auch ihre Regierung lieben müsse. «Und diejenigen, die die Propaganda betrieben, glaubten ihrer Propaganda am Ende selbst», analysierte Muratow. 

Was die Leute hier in Genf denn im Kontext des Ukraine-Kriegs tun könnten, wollte der weltbekannte Genfer Karikaturist Patrick Chappatte von Muratow wissen. Da wurde der Russe deutlich: Er macht die westliche Politik für den Krieg in der Ukraine mitverantwortlich und erinnerte daran, wie viele Politiker und Verteidiger der Menschenrechte in den letzten Jahren Moskau besuchten, Rohstoffe einkauften und heimlich Waffen verkauften. «Das hätte nicht sein dürfen, war aber die Realität», kritisierte Muratow.