Nobelpreis für WirtschaftswissenschaftUS-Ökonomin gewinnt prestigeträchtigen Preis
Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis geht an die Wissenschaftlerin Claudia Goldin. Die 77-jährige Amerikanerin hat auch Beziehungen zur Schweiz.

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geht in diesem Jahr an die US-Forscherin Claudia Goldin für ihre Arbeiten zur Rolle von Frauen am Arbeitsmarkt. Goldins Forschung habe die Ursachen des Wandels der Geschlechterrollen am Arbeitsmarkt «sowie die Hauptursachen für die verbleibenden geschlechtsspezifischen Unterschiede» aufgezeigt, erklärte das Nobelkomitee in Stockholm am Montag. Die 77-jährige Harvard-Professorin ist damit die dritte Frau, die diese Auszeichnung erhält.
Die Amerikanerin hat auch Beziehungen zur Schweiz: 2020 erhielt sie den Ehrendoktor der Universität Zürich.
Goldin habe «die Archive durchforstet und über 200 Jahre an Daten aus den USA gesammelt», erklärte die Jury weiter. «Sie hat etwas untersucht, was viele Menschen, zum Beispiel viele Historiker, vorher einfach nicht untersucht haben, weil sie nicht glaubten, dass diese Daten existieren», sagte Randi Hjalmarsson, Mitglied des Nobelkomitees. Sie nannte Goldin «eine Detektivin».
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Das Komitee hob hervor, dass weltweit etwa 50 Prozent der Frauen auf dem Arbeitsmarkt vertreten sind, verglichen mit 80 Prozent der Männer. Zugleich verdienen Frauen weniger und erreichen seltener die Spitze der Karriereleiter. Goldins Arbeit sei «die erste umfassende Darstellung des Verdienstes und der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen über die Jahrhunderte hinweg».
Der Zugang zur Antibabypille
Ein Ergebnis sei die Feststellung, dass sich trotz der Modernisierung – gekoppelt mit Wirtschaftswachstum und einem steigenden Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt – die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen lange Zeit kaum verringerten. «Laut Goldin liegt ein Teil der Erklärung darin, dass Bildungsentscheidungen, die sich auf die Karrierechancen eines ganzen Lebens auswirken, in einem relativ jungen Alter getroffen werden», erklärte die Jury.
Des Weiteren habe Goldins Arbeit gezeigt, dass der «Zugang zur Antibabypille» eine wichtige Rolle bei der Beschleunigung des Anstiegs des Bildungsniveaus im 20. Jahrhundert gespielt habe, erklärten die Juroren. Heute bestehe «der grösste Teil der Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen im gleichen Beruf» – und entstehe mit der Geburt des ersten Kindes, führten sie aus.
Zuspruch in der Fachwelt
Sie sei «überrascht und sehr, sehr froh» gewesen, als er ihr vor der offiziellen Bekanntgabe von ihrer Auszeichnung berichtet habe, sagte der Generalsekretär der Akademie, Hans Ellegren. Sie telefonisch zur Preisbekanntgabe zuzuschalten, glückte diesmal nicht.
In der Fachwelt gab es viel Zuspruch für die Auszeichnung von Goldin. Sie habe wesentlich dazu beigetragen, dass die Frau im Arbeitsmarkt, in der Ökonomie sichtbar wurde, kommentiert Isabel Martínez, Ökonomin bei der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich, die Wahl. «Unter anderem Dank Goldins Arbeiten haben wirtschaftliche Akteure auch ein soziales Geschlecht, mit all den Eigenschaften, das dieses mit sich bringt.»
Das möge heute trivial klingen, aber diese differenzierte Blickweise sei nötig gewesen, um überhaupt über Geschlechterunterschiede, die Berücksichtigung familiärer Pflichten oder flexiblere Arbeitsbedingungen zu diskutieren und erforschen zu können, sagte Martínez weiter.
«Goldin hat mit ihren Arbeiten unser Verständnis zu mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz wesentlich erweitert», sagte ausserdem Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW. Experte Sascha Steffen von der Frankfurt School of Finance & Management kommentierte: «Besonders bemerkenswert sind ihre Erkenntnisse über das anhaltende Lohngefälle zwischen den Geschlechtern. Goldins Beiträge bilden eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen und künftige Forschungen.»
Die Wirtschaftsauszeichnung ist nach wie vor die Nobelpreiskategorie mit den wenigsten weiblichen Ausgezeichneten. Erstmals gewann mit Elinor Ostrom 2009 eine Frau, 2019 folgte Esther Duflo, die den Preis zusammen mit zwei US-Forschern erhielt. Im vergangenen Jahr wurden drei US-Ökonomen für ihre Arbeiten zu Finanzkrisen und der Rolle der Banken ausgezeichnet, darunter der ehemalige Chef der US-Zentralbank, Ben Bernanke.

Generell geht der Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften oft an Preisträger, die aus den USA stammen oder dort zumindest tätig sind. Dotiert sind die Nobelpreise in diesem Jahr mit elf Millionen schwedischen Kronen pro Preiskategorie (etwa 910'000 Franken), das ist eine Million mehr als in den Vorjahren. Werden mehrere Preisträger gemeinsam in einer Kategorie geehrt, teilen sie sich diese Summe.
Eigentlich kein echter Nobelpreis
Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ist der einzige der Nobelpreise, der nicht auf das Testament von Dynamit-Erfinder und Preisstifter Alfred Nobel (1833 bis 1896) zurückgeht. Er wird seit Ende der 1960er Jahre von der schwedischen Reichsbank gestiftet und zählt somit streng genommen nicht zu den klassischen Nobelpreisen. Trotzdem wird er gemeinsam mit den weiteren Nobelpreisen an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, feierlich überreicht.
Bereits in der vergangenen Woche waren die Nobelpreisträger in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie, Literatur und Frieden gekürt worden. In den ersten drei Kategorien gingen die Preise diesmal an insgesamt acht Forschende, in Literatur an den norwegischen Autor Jon Fosse. Am Freitag wurde der Friedensnobelpreis der inhaftierten iranischen Frauenrechtsaktivistin Narges Mohammadi zugesprochen.
AFP/SDA/fal
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