Permanenter Pfeifton im Kopf Neue Therapie reduziert Tinnituslautstärke um die Hälfte
Eine Kombination aus akustischer und elektrischer Stimulation vermindert das Phantomgeräusch erheblich.
Schlaf- und Konzentrationsprobleme, Depressionen, Müdigkeit oder Lärmempfindlichkeit: Die Auswirkungen, die Tinnitus auf die Lebensqualität der Betroffenen hat, sind erheblich. Weltweit sind rund 14,4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung oder rund 740 Millionen Menschen betroffen. Rund 10 Prozent haben einen chronischen Tinnitus, der seit länger als drei Monaten besteht. 120 Millionen Betroffene leiden so stark unter dem Phantomgeräusch, dass ihr Alltag davon beeinträchtigt ist.
Bis jetzt gibt es keine Behandlungsmethode, die das Tinnitusgeräusch komplett ausschaltet. Durch kognitive Verhaltenstherapie und Tinnitus-Masker mit individuell angepasster Geräuschkulisse kann die Lebensqualität der Betroffenen immerhin deutlich verbessert werden. Bei zusätzlichem Gehörverlust helfen Hörgeräte. Auch stellt sich durch die Anpassungsfähigkeit des Gehirns mit der Zeit eine natürliche Gewöhnung an das Phantomgeräusch ein, das dann immer weniger wahrgenommen wird.
Eine Ursache von Tinnitus ist eine neuronale Überaktivität in jener Hirnregion, in der akustische Signale zusammen mit anderen Sinnesreizen verarbeitet werden, im dorsalen Cochlea-Kern. Diese Hyperaktivität ist in den meisten Fällen auf geschädigte Haarzellen im Innenohr zurückzuführen, zum Beispiel nach einem Hörsturz oder einer starken Lärmbelastung.
Überaktivität in der betroffenen Hirnregion
60 bis zu 80 Prozent der Betroffenen haben eine sogenannte somatische Form von Tinnitus, bei der das Phantomgeräusch durch Kiefer-, Kopf- oder Nackenbewegungen verändert werden kann. In einer neuen klinischen Studie unter der Leitung von Susan Shore von der University of Michigan untersuchten Wissenschaftler nun, wie sie die Überaktivität in der betroffenen Hirnregion, in der der Tinnitus entsteht, durch Stimulation mit akustischen und elektrischen Reizen abschwächen können.
An der Untersuchung nahmen 99 Personen mit somatischem Tinnitus teil. Die Probanden erhielten ein tragbares Gerät, das mittels Kopfhörer akustische und durch in der Nähe des Ohrs und am Nacken befestigte Elektroden elektrische Signale produziert, die aufeinander abgestimmt sind. Die Stärke der Stimulation wurde auf den Tinnitus der einzelnen Personen angepasst.
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Während sechs Wochen stimulierten die Versuchspersonen für 30 Minuten täglich die betroffene Hirnregion mithilfe des Gerätes, um die synchron feuerenden Neuronen zu normalisieren. Die Personen aus der Kontrollgruppe wurden in diesem Zeitraum nur mit akustischen Signalen versorgt. Nach einer sechswöchigen Pause wurde das Behandlungsregime umgekehrt, und die erste Gruppe erhielt nur noch die akustische Simulation.
Im Durchschnitt nur noch halb so laut
Nach der ersten Phase der Behandlung war der Tinnitus der Versuchsgruppe bereits deutlich zurückgegangen. Das Phantomgeräusch wurde von den Teilnehmerinnen im Durchschnitt nur noch als halb so laut empfunden. Die Reduzierung der Lautstärke dauerte bis zu 36 Wochen an. Die Forscher erklären dazu: «Die Lautstärkereduktion des Tinnitus betrug für die Behandlungsgruppe nach sechs Wochen der ersten Phase mehr als 6 Dezibel (dB), was mehr als halb so laut war wie bei der Kontrollgruppe, und nach 12 Wochen sogar bis zu 11 dB.» Die durchschnittliche Lautstärke von Tinnitus liegt laut Schätzungen zwischen 6 und 20 dB. Bei einer neueren Studie mit Tinnitusbetroffenen mit Altersschwerhörigkeit wurde die mittlere Lautstärke mit 18 dB angegeben. Zum Vergleich: Flüstern mit einem Abstand von rund eineinhalb Metern ist rund 20 dB laut.
Es existiert bis jetzt allerdings keine objektive Methode, um die Lautstärke oder die Tonhöhe des Phantomgeräusches zu messen. Daher benutzten die Wissenschaftler Software mit künstlich erzeugten Tinnitustönen, um die Tonstärke anhand des Empfindens der Versuchspersonen zu messen. Die Resultate sind daher trotz der aussichtsreichen Befunde mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurden zahlreiche Geräte auf den Markt gebracht, die ihre anfänglichen Versprechungen nicht einhalten konnten.
Trotz der vielversprechenden Resultate ist Tobias Kleinjung, Leitender Arzt und Leiter der Tinnitussprechstunde am Universitätsspital Zürich, zurückhaltend. Er betont, dass auch mit diesem neuen System Tinnitus nicht komplett eliminiert wird. Die neue Behandlungsmethode sei bisher nur an Patienten mit somatischem Tinnitus getestet worden. Nun müssten idealerweise die guten Ergebnisse der Pilotstudie in anderen Laboren bestätigt werden. Erst dann sei es sinnvoll, die neue Behandlung auf den Markt zu bringen.
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