Neue Studie zur Fruchtbarkeit Ist Mobilfunk schädlich für die Spermien?
Schweizer Forscher fanden in einer grossen Männerstudie einen Zusammenhang zwischen Handynutzung und Spermienkonzentration. Ist wirklich Strahlung die Ursache?

Es ist die bislang beste Studie zu Mobilfunk und Spermienqualität beim Menschen. Und wenn sie jetzt einen Zusammenhang bestätigt, lässt dies aufhorchen. Schliesslich kommt sie aus einer unverdächtigen Quelle: Einer der Autoren ist der Basler Umweltepidemiologe Martin Röösli, den Mobilfunkgegner überhaupt nicht mögen und von dem sie zu Unrecht behaupten, er sei «ein Experte im Dienst der Mobilfunkfirmen», der die angeblichen Risiken herunterspiele. Die neue Studie ist nun in der Fachzeitschrift «Fertility and Sterility» erschienen und sie klingt zumindest auf den ersten Blick alarmierend.
Die Forschenden von der Universität Genf und dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut Basel (Swiss TPH) analysierten die Daten von 2886 Männern im Alter zwischen 18 und 22 Jahren, die zwischen 2005 und 2018 in sechs Rekrutierungszentren des Militärs aufgeboten wurden. Neben der Auswertung der Spermienqualität wurden die Probanden zu Lebensstil, Gesundheit, Mobiltelefonnutzung und -aufbewahrungsort befragt. Die Auswertung ist Teil der grössten Querschnittstudie zur Spermienqualität, von welcher im Jahr 2019 erste Daten veröffentlicht wurden.
21 Prozent weniger Spermien
Männer, die das Mobiltelefon mehr als 20-mal pro Tag benutzten, hatten im Mittel eine signifikant tiefere Spermienkonzentration (44,5 Millionen pro Milliliter) als Männer, die ihr Handy nicht mehr als einmal pro Woche verwendeten (56,5 Mio./ml). Das entspricht einem Rückgang der Spermienkonzentration um ein Fünftel (21 Prozent). Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sinkt die Chance auf eine Schwangerschaft, wenn die Spermienkonzentration unter 40 Millionen pro Milliliter liegt.
Der Zusammenhang war besonders zwischen 2005 und 2007 deutlich und nahm danach ab. In diesem Zeitraum veränderte sich nicht nur das Nutzungsverhalten (es gibt inzwischen wohl keine jungen Männer mehr, die ihr Smartphone nur einmal pro Woche verwenden). Es verringerte sich auch die Sendeleistung der Mobiltelefone, was mit dem Wechsel der Mobilfunkstandards von 2G bis schliesslich 4G zusammenhängt.
In der Studie spielte hingegen der Aufbewahrungsort des Telefons – beispielsweise in der Hosentasche – keine Rolle. Und im Gegensatz zur Spermienkonzentration waren Beweglichkeit und Aussehen der Samenzellen nicht durch die Handynutzung beeinflusst. Aussagen zum Einfluss von Mobilfunkantennen lässt die Studie nicht zu. Doch die Strahlungsmenge ist bei Antennen im Vergleich zum eigenen Mobiltelefon «um Grössenordnungen tiefer», wie Röösli betont.
«Es ist unsere Aufgabe, Fakten zu kommunizieren, auch wenn sie nicht vollständig erklärbar sind.»
«Die Resultate überraschen», sagt Martin Röösli. «Ich persönlich bin mir nicht sicher, ob der Zusammenhang tatsächlich kausal ist.» In der Studie wurden zwar Faktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Body-Mass-Index herausgerechnet. Doch nach anderen möglichen Einflüssen wie etwa Ernährung oder sportlicher Aktivität wurde nicht gefragt. Hinzu kommt, dass Selbstangaben zu Handynutzung und Lebensstil naturgemäss ungenau sind. «Wir können deshalb weiterhin nicht ausschliessen, dass das Studienresultat durch Einflussfaktoren bedingt ist, die nicht mit der Mobilfunkstrahlung zusammenhängen», so Röösli.
Trotz der Unsicherheiten findet es der Wissenschaftler richtig, dass die Öffentlichkeit über die Studie diskutiert. Die Uni Genf und das Swiss TPH informierten denn auch aktiv mit einer Medienmitteilung über die Ergebnisse. «Es ist unsere Aufgabe, Fakten zu kommunizieren, auch wenn sie nicht vollständig erklärbar sind», sagt Röösli.
Aus Sicht der mobilfunkkritischen Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (Aefu) ist die Studie beunruhigend. «Die Studie bestätigt die Sorge der Aefu, dass zusätzlich zu Pestiziden und Weichmachern aus Plastikartikeln auch elektromagnetische Strahlung wesentlich zur Abnahme der Spermienqualität beiträgt», schreibt Aefu-Präsident Bernhard Aufdereggen auf Anfrage. Der Verein empfiehlt, zur Reduktion der täglichen Strahlenbelastung Internet möglichst kabelgebunden zu nutzen und nachts die Geräte abzustellen.
Wirkung auf den Hormonhaushalt?
Falls sich die Handynutzung tatsächlich auf die Spermienqualität auswirken sollte, müsste das über einen Mechanismus geschehen, der bis heute unbekannt ist. Gängige Erklärungen, wie die Erwärmung des Hodens durch die Abwärme oder die Mikrowellenstrahlung des Handys, greifen offenbar nicht. «Da laut der Studie der Aufbewahrungsort des Mobiltelefons keinen Einfluss auf die Spermien hat, müsste dies durch die direkte Nutzung am Ohr geschehen», so Röösli. Denkbar wäre eine Beeinflussung des Hypothalamus oder der Hypophyse im Gehirn, die dann über den Hormonhaushalt auf die Spermienproduktion wirken würden. «Das ist aber sehr spekulativ, bis jetzt gibt es keine Hinweise darauf.»
Bis zur aktuellen Veröffentlichung gab es kaum schlüssige Daten zum Einfluss von Mobilfunk auf die Spermien. Im Bericht «Mobilfunk und Strahlung» von 2019 im Auftrag des Bundes wurde «die Evidenz als unzureichend eingeschätzt». In Tierstudien gab es allerdings experimentelle Hinweise auf negative Effekte.
«Die neue Studie ist zwar die beste bis jetzt, sie reicht aber dennoch nicht aus für gesicherte Aussagen», so Röösli. Die Universität Genf und das Swiss TPH haben 2023 deshalb eine Studie gestartet, die das Thema genauer untersuchen soll. Dabei werden während zwei Monaten Daten von Teilnehmern ausgewertet. Eine App auf dem Mobiltelefon soll Aufbewahrungsort, Nutzungsdauer und Strahlung erfassen. Die Forschenden suchen noch Teilnehmer für diese Studie. «Ich wäre allerdings nicht überrascht, wenn sich der gefundene Effekt nicht bestätigt», sagt Röösli. Damit könnte auch bei der Spermienqualität, wie bei der möglichen Krebswirkung von Mobilfunk, Entwarnung gegeben werden.
Im Gegensatz zum Mobilfunk sind andere Einflussfaktoren auf die Fruchtbarkeit der Männer weniger umstritten: Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass sich die Spermienkonzentration in den letzten 50 Jahren von durchschnittlich 99 Millionen auf 47 Millionen Spermien pro Milliliter halbiert hat. Man geht davon aus, dass dieses Phänomen auf eine Kombination von Umweltfaktoren (hormonaktive Substanzen, Pestizide, Strahlung) und Verhaltensfaktoren (Ernährung, Alkohol, Stress, Rauchen) zurückzuführen ist.
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