Neue Moderatorin, neue GästeSo war die Premiere des neuen SRF-«Literaturclubs»
Die neue Gastgeberin der wichtigsten Schweizer Literatursendung, Jennifer Khakshouri, hatte ihre Feuertaufe. Die Sendung machte Lust auf mehr.
Im ersten SRF-«Literaturclub» mit Moderatorin Jennifer Khakshouri gab es beides: den Charme des Neubeginns und sein gelegentliches Rumpeln. Ein Aufreger war sie aber nicht, die erste Sendung ohne Moderatorin Nicola Steiner, die das Format im Sommer 2014 nach dem Drama rund um Moderator Stefan Zweifel und Mitdiskutantin Elke Heidenreich übernommen hatte (der Konflikt war damals anlässlich eines falschen Martin-Heidegger-Zitats eskaliert). Ein Anreger aber war der gestrige Auftakt durchaus!
Die Runde mit Kulturjournalistin Jennifer Khakshouri (nächstes Mal moderiert Laura de Weck), Autor und Philosoph Philipp Tingler, Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl sowie Gast Patrick Karpiczenko, seines Zeichens Autor, Regisseur und Satiriker, war sozusagen «klassischer SRF-Literaturclub»: professionell, zugänglich und selbst im Widerspruch stets anständig. Insgesamt ein wenig bieder im Auftritt, teilweise tatsächlich auch einen Tick holprig in den Übergängen von Buch zu Buch, zu Beginn auch von Kritiker zu Kritikerin (und umgekehrt). Die Argumentationen rutschten bisweilen vom sympathisch Niederschwelligen ins beinahe Unterkomplexe, doch im Verlauf der Sendung kam das Gespräch zunehmend auf Touren. Und schon allein für die vielfältige Buchauswahl gebührt den vier Literaturaficionados und -aficionadas ein grosses Dankeschön.
Zum Beispiel Karpiczenkos Mitbringsel «Der Apparat» des schottischen Autors J.O. Morgan: Es handelt sich um eine Sci-Fi-Satire, die man erst mal nicht auf dem Schirm hat, die aber das Zeug dazu hat, auch Sci-Fi-Verächter in den Bann zu schlagen – trotz der manchmal «proseminarhaften» (Tingler) Dialoge, in denen die wesentlichen Fragen aufgeworfen werden. Jedenfalls ging die Runde in der grundsätzlich positiven Bewertung einig, was bei den anderen drei Romanen nicht der Fall war.
Karpi wurde beim Lesen wütend, Tingler war eloquent wie immer.
Maxim Billers «Mama Odessa» gefiel Tingler vor allem aufgrund der klugen Auseinandersetzung mit der Definition von Dichtung und Wahrheit. Tingler wehrte sich gegen den Vorwurf, die Erzählerfigur sei wehleidig und habe sich selbst ein Trostbuch geschrieben, wie Strigl deutete. Er sieht da eher Ambivalenz als literarisches Programm. Karpiczenko – der selbst einen ukrainischen Namen trägt – reagierte bei der Lektüre von «Mama Odessa» wütend und «intensiv gelangweilt» zugleich, suchte einen Plot und fand «Selbstbeweihräucherung». Khakshouri doppelte nach, die Chose sei «extrem weinerlich». Dagegen diagnostizierte der wie immer hocheloquente Tingler in «Mama Odessa» eine «Entkitschung des Schreibens» und eine romantische Sehnsucht nach einer Art Transzendenz.
Auch in den anderen Kurzdebatten – über Deborah Levys «Augustblau» und Terezia Moras «Muna oder Die Hälfte des Lebens» – schenkte man sich nichts, präsentierte spannende, sehr unterschiedliche Leseansätze und Literaturkriterien und führte dabei vor, dass ein Dissens durchaus gepflegt und sogar witzig ausgetragen werden kann: In unseren polarisierten Zeiten ein geradezu beglückendes Erlebnis.
Nächster SRF-«Literaturclub» (mit Moderatorin Laura de Weck) am 10. Oktober.
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