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Ingeborg-Bachmann-Preis
Der Mann ohne Angst vor Pathos

Usama Al Shahmani gehört zu den wichtigsten Exilautoren in der Schweiz.
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Usama Al Shahmani, der von Frauenfeld nach Klagenfurt am Wörthersee gereist ist, sitzt auf der Open-Air-Bühne im Garten und liest seinen Text «Portrait des Verschwindens». Neu ist dieses Jahr, dass die Autorinnen und Autoren nicht mehr frontal ausgesetzt im ORF-Studio vor der Jury lesen, was dem Wettbewerb an Dramatik nimmt.

Al Shahmanis Text greift irakische Kindheitserinnerungen auf bis zur Machtübernahme von Sadam Hussein. Bereits in den ersten Sätzen zeigt sich sein typischer Erzählstil, in dem alles Natur und alles belebt ist: «Einige der Wörter haben Angst vor dem Alleinsein und sie beginnen zu zittern» – andere Wörter würden tanzen und einen dünnen Lichtfaden für diejenigen flechten, die Angst hätten. Und nochmals andere gehen im Sand von Bagdad verloren. Die Prosa von Usama Al Shahmani manövriert nahe an der Grenze zum Kitsch. Aber das ist Geschmacksache.

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Usama Al Shahmani, in Bagdad geboren, war neun Jahre alt, als der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak ausbrach: «Die Schulzeit wurde vom Krieg verschluckt», erzählt er im Video, mit dem sich jede Kandidatin, jeder Anwärter bei den 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur vorstellt. 2002 musste der damals 32-Jährige dann wegen eines Theaterstücks, das dem Regime nicht passte, aus dem Irak flüchten. Ihm drohten Gefängnis, Folter, der Tod.

Das Exil ist seine Heimat

Seit zwanzig Jahren lebt der Exilautor in der Schweiz und hat unter anderem Thomas Hürlimann, Jürgen Habermas und Friedrich Schleiermacher ins Arabische übersetzt. 2018 erschien sein Romandebüt «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch», 2020 folgte «Im Fallen lernt die Feder fliegen», und in diesem Herbst wird «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» im Zürcher Limmat-Verlag erscheinen.

«In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» erzählt von der Schweiz, die zur neuen Heimat werden soll. Mit den Bäumen kann glücklicherweise in der Muttersprache gesprochen werden. Eindrücklich ist die Zerrissenheit zwischen den Welten. Während der Erzähler in der Schweiz durchs Asylverfahren geht, verschwindet sein Bruder spurlos im Irak. In «Im Fallen lernt die Feder fliegen» bekommen die Töchter einer irakischen Flüchtlingsfamilie Zugang zu einer ganz neuen, anderen Welt, vor der sich die Eltern hingegen verschliessen; wo ist Heimat, fragt der Roman, und wie die Schwestern vor drohender Zwangsheirat als unbegleitete Minderjährige fliehen, hallt nach.

Fordern andere Erzähltraditionen neue Wertungskriterien?

In Al Shahmanis Klagenfurt-Text kommt seine Grossmutter vor, die als Analphabetin starb, von der er aber das Geschichtenerzählen lernte. «Portrait des Verschwindens» ist ein eher konventioneller Text, zwar durchaus mit viel Handlung, aber in Figurenkonstellation und Symbolik etwas erwartbar, wenn auch von warmherziger Poesie.

Al Shahmanis Literatur ist von arabischer Erzählkunst geprägt, in der das einzelne Wort bereits eine ganze Geschichte erzählt. Die arabische Sprache habe, so der Autor in seinem Videoporträt, beispielsweise denselben Wortstamm für Hoffnung wie auch für Schmerz – Emel (Hoffnung) und Elem (Schmerz).

Als Kritiker in der SRF-«Literaturclub»-Runde spricht Al Shahmani teils eher gefühlig als analytisch: «Ich möchte die Bücher anderer nicht bewerten, sondern mich mit ihnen auseinandersetzen.» Gefühle tragen auch seine eigene Literatur, und sogar das Papier sei bei ihm belebt. Er wisse genau, auf welchem er was schreiben könne «und welches mich ablehnt».

Klagenfurt sei kein «Safespace»

Die Jury ist teils des Lobes voll über den Text und sich dann aber auch nicht einig, ob der kritisierte Aspekt des Konventionellen schlecht sei. Die Diskussion geht dann in eine grundsätzliche Richtung: Ob andere Erzähltraditionen auch andere Wertungskriterien fordern? «Da muss das deutsche System der Wertung eben etwas flexibel werden», findet Juror Klaus Kastberger.

Gestern wurde darüber gestritten, ob man Triggerwarnungen brauche, wenn in literarischen Texten Gewalt geäussert werde. «Da könnte man direkt die Kameras abschalten und beschliessen, hier ist nur noch ein Safespace» kritisiert Jurorin Mara Delius. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der Marcel Reich-Ranicki nach einer Lesung sagte: «Wen interessiert schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert?»

Wer den Ingeborg-Bachmann-Preis gewinnt, entscheidet sich am Sonntag.