Riesiger Kohlenstoff-SpeicherWälder könnten der Atmosphäre ein Drittel des bereits freigesetzten CO₂ entziehen
ETH-Forschende schreiben Wäldern ein gigantisches Potenzial im Kampf gegen die Erderwärmung zu. In Fachkreisen ist die Studie nicht unumstritten.
Im Wald steckt ein gigantisches Potenzial, um den Klimawandel zu entschärfen. Das jedenfalls behaupten mehr als 200 Forschende um Thomas Crowther vom Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich.
Demnach könnte der Wald rund 226 Gigatonnen Kohlenstoff (C) aus dem Kohlendioxid (CO₂) in der Luft zusätzlich binden, berichten die Forschenden im Fachmagazin «Nature». Das entspricht rund einem Drittel des gesamten von der Menschheit seit der industriellen Revolution in Form von CO₂ in die Atmosphäre gepusteten Kohlenstoffs. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 entsprachen die globalen CO₂-Emissionen rund 10 Gigatonnen Kohlenstoff.
Ein zentraler Aspekt der Studie ist die These, dass ein Grossteil des Potenzials, um Kohlenstoff zu speichern – rund 60 Prozent –, fast von allein erreicht werden könnte. Dazu sollten beispielsweise Waldökosysteme, vor allem in tropischen Regionen, geschützt und erhalten werden. Denn gemäss der Studie sind die globalen Wälder durch die Entnahme von Holz verjüngt – im Mittel erreichen sie nur etwa 30 Prozent ihres möglichen Alters. Das bedeutet: Die Wälder könnten, allein indem sie im Laufe einiger Jahrzehnte erwachsen werden, erheblich mehr Kohlenstoff einlagern, als es heute der Fall ist. Laut Crowther von der ETH dauert es rund dreissig bis vierzig Jahre, bis ein heutiger tropischer Wald ausgereift ist.
Artenvielfalt spielt eine wichtige Rolle
Die verbleibenden rund 40 Prozent des Potenzials lassen sich gemäss der Studie erreichen, indem zersplitterte Ökosysteme in Gebieten, in denen der menschliche Einfluss gering ist, wieder miteinander verbunden werden. Dazu braucht es laut Crowther keine grossen Monokulturen aus Bäumen, die insbesondere der Biodiversität schaden. Vielmehr könne das erreicht werden, indem Millionen lokale Gemeinschaften, indigene Völker, Landwirte und Förster durch politische Massnahmen und finanzielle Anreize dabei unterstützt werden, die biologische Vielfalt zu fördern.
Aus der Publikation geht klar hervor, dass der Artenvielfalt eine wichtige Rolle zukommt. «Aus jahrzehntelanger ökologischer Erfahrung wissen wir, dass artenreiche Wälder Kohlenstoff viel effizienter binden und speichern als Monokulturen», sagt Crowther. Von den 226 Gigatonnen an Potenzial zur Speicherung von Kohlenstoff könnte eine Monokultur nur rund die Hälfte erreichen. Denn in artenreichen Wäldern trage jede ökologische Nische dazu bei, Kohlenstoff zu speichern, in Monokulturen blieben viele Nischen leer. Zudem könnten artenreiche Wälder besser mit den Folgen der Erderwärmung klarkommen. Daher sei es auch für Länder wie die Schweiz wichtig, artenreiche Wälder zu kultivieren.
«Damit sind die Wälder und deren ökologische Wiederherstellung eines der wertvollsten Instrumente in unserem Kampf gegen den Klimawandel», sagt Crowther. Die Ergebnisse sollten aber nicht als Argument gegen die Reduktion der Treibhausgasemissionen verstanden werden, heisst es in der Studie. Denn die Erderwärmung setze den Wäldern durch zunehmende Dürren, Waldbrände und höhere Temperaturen zu und reduziere damit deren Potenzial zur Aufnahme von Kohlenstoff.
Nur ein Teil des Kohlenstoffpotenzials lässt sich nutzen
Für die Studie haben Forschende der ETH mehr als 200 Waldökologen um sich geschart und damit viele verschiedene Perspektiven berücksichtigt. Mit über einer Million Beobachtungen vor Ort erfassten die Forschenden das Kohlenstoffpotenzial der Wälder samt der Speicherung von Kohlenstoff im Boden und kombinierten das mit Satellitendaten. Mithilfe verschiedener Modellierungen schätzen die Forschenden anhand der Daten ab, dass die Wälder der Welt bis zu 328 Gigatonnen mehr Kohlenstoff speichern könnten, als es gegenwärtig der Fall ist.
Dieses Potenzial lässt sich allerdings nur zum Teil ausschöpfen, da absehbar ist, dass einige Wälder Städten und Landwirtschaftsflächen weichen müssen. Ausserhalb dieser Regionen, in den nur schwach genutzten Wäldern, schlummere aber immer noch ein Potenzial von rund 226 Gigatonnen. «Nun haben wir ein sehr solides Verständnis für das Potenzial der Wälder zur Aufnahme von Kohlenstoff», sagt Crowther.
Florian Zabel, Privatdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wertet die Ergebnisse der Studie als robust. «Sie liegen insgesamt in ähnlicher Grössenordnung wie andere Studien. Dennoch gibt es nach wie vor grosse Unsicherheiten, vor allem, was die Kohlenstoffspeicher in den Tropen angeht.»
Ein Defizit der Studie sei, dass die Folgen des Klimawandels nicht berücksichtigt würden – zum Beispiel eine Zunahme von Dürren und Waldbränden durch höhere Temperaturen, aber auch ein mögliches stärkeres Pflanzenwachstum durch CO₂-Düngung. «Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass der Druck auf Land durch eine steigende Lebensmittelnachfrage zukünftig steigen könnte – insbesondere durch einen höheren Fleischkonsum – und somit geringere Flächen für die vorgeschlagenen Massnahmen zur Verfügung stehen als gedacht», sagt Zabel.
Studie hilfreich zur Ausweisung von Schutzgebieten
Genutzt werden könnten die Ergebnisse der Studie, «wenn es um die Ausweisung zukünftiger Schutzgebiete geht», so Zabel. Wie es im Kunming-Montreal-Abkommen vorgesehen ist, sollen bis 2030 30 Prozent der Landoberfläche unter Schutz stehen. «Hier könnten Regionen mit einem hohen Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung, also einer grossen Klimaschutzwirkung, von besonderer Bedeutung sein.»
Christian Körner, emeritierter Professor vom Institut für Botanik der Universität Basel, findet die Methodik der Studie sehr solide, hat aber auch Kritikpunkte. Zum Beispiel würden die Autorinnen und Autoren nicht berücksichtigen, dass ein alternder Wald nur einmal als zusätzlicher Kohlenstoffspeicher dienen könne – nämlich bis er ausgewachsen sei. Mit einer nachhaltigen Waldwirtschaft könne hingegen zeitlich unbegrenzt Holz entnommen werden. Wird dieses zum Beispiel für Gebäude und Möbel genutzt, bleibt der Kohlenstoff langfristig gebunden.
Um zukünftig ein noch besseres Bild für die vorhandenen und potenziellen Kohlenstoffspeicher in Boden und Pflanzen zu erhalten, sind laut Zabel bessere Instrumente für die Erdbeobachtung und weitere Feldarbeiten dringend notwendig.
Laut Crowther braucht es auch «politische und finanzielle Anreize, damit die lokale Bevölkerung die biologische Vielfalt ihrer Umgebung zum Wohle der Menschen fördert». Das sei auch eine Botschaft an die 28. UNO-Klimakonferenz, die am 30. November in Dubai beginnt.
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