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Streit um Denzel Washington
Hannibal war schwarz, sagt Netflix – und Tunesien tobt

Charismatischer Darsteller: Der afroamerikanische Schauspieler Denzel Washington soll in einer Netflixserie den Kriegsherrn Hannibal spielen.
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Immerhin nahm es Hayet Ketat Guermazi gelassen, die tunesische Kulturministerin. Natürlich sei Hannibal eine historische Figur, auf die das tunesische Volk stolz sein könne, sagte sie bei einer Debatte im Parlament.

Aber der Streamingdienst Netflix drehe keinen Dokumentarfilm, sondern betreibe Fiktion, «das ist auch sein Recht». Sie hoffe nur, dass die Serie wenigstens zu Teilen in Tunesien gedreht würde. Denn das helfe dem Tourismus. Die Kulturministerin ist auch dafür zuständig.

Mit ihrer Reaktion scheint sie in ihrer Heimat aber allein dazustehen. Denn tunesische Politiker und Zeitungen toben, seit sie erfahren haben, dass der afroamerikanische Schauspieler Denzel Washington den Hannibal geben soll. Es gibt auch mehrere tunesische Petitionen, die gegen die Besetzung protestieren. In den tunesischen Social Media wird Netflix vorgeworfen, die Woke-Kultur zu fördern und die Geschichte des Landes zu stehlen.

Der antike Kriegsherr Hannibal wurde 247 vor Christus im mächtigen nordafrikanischen Stadtstaat Karthago geboren, es lag in der Nähe des heutigen Tunis. Hannibal gilt bis heute als einer der grössten Militärstrategen überhaupt. Auch Napoleon bewunderte seine Kriegslist; so vernichtete Hannibal mit einer brillant konzipierten Kesselschlacht im apulischen Cannae das doppelt so grosse römische Heer.

Hannibal war mit seinen Kriegern gelungen, was schon zu jener Zeit undenkbar schien: das noch junge, aber bereits mächtige und militärisch hochgerüstete Römische Reich in kriegerische Probleme zu verwickeln.

Auch Freud war Fan

Geradezu in Panik gerieten die Römer, als Hannibal im zweiten Punischen Krieg mit seinen Kriegern und Elefanten die Alpen überquerte und im heutigen Norditalien einfiel. «Hannibal ante portas», sagte man damals, als stünde der Unerschrockene schon vor den Toren Roms.

Stattdessen vermochte die römische Armee Hannibals Truppen zu bezwingen, er musste sich zurückziehen. Als die Römer Karthago eroberten und in der Folge zerstörten, brachte sich Hannibal mit Gift ums Leben, um der Verhaftung zu entgehen.

Portrait of Hannibal and his troops crossing the Alps. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: KurtxMiller/StocktrekxImages KRT100006M

Portrait of Hannibal and His Troops Crossing The Alps PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright KurtxMiller StocktrekxImages KRT100006M

Vermutlich haben die Tunesierinnen und Tunesier recht mit ihrem Zorn auf Netflix. Denn Hannibal stammt von Phöniziern ab, war also weiss und möglicherweise auch semitisch. So sah ihn jedenfalls der junge Sigmund Freud, der sich im antisemitisch verseuchten Wien mit dem Krieger identifizierte, der es den Römern gezeigt hatte.

Von Malcolm X bis Macbeth

Bei allem Verständnis für die tunesische Empörung: Ein besserer Darsteller als Denzel Washington wäre schwer zu finden. Zu Recht ernannte ihn die «New York Times» vor vier Jahren zum besten Schauspieler des 21. Jahrhunderts.

Wie gut der heute 68-Jährige Mann aus Upstate New York spielt, beweist er schon seit Jahrzehnten, und sei es durch seine Vielfältigkeit. Denzel Washington gab sowohl Malcolm X im gleichnamigen Film von Spike Lee wie auch Macbeth in der Shakespeare-Verfilmung von Joel Coen. Er spielte einen moralischen Killer in der dreiteiligen «Equalizer»-Serie wie auch den New Yorker Ermittler im exzellenten Bankenkrimi «Inside Man», ebenfalls von Spike Lee.

Dabei bezauberte der fromme Christ in zahllosen Filmen als schöner, grosser Mann mit einem offenen Gesicht, dessen Züge sich zum Blick eines Killers verhärten konnten. Der aber auch auf heitere Art sanft aufzutreten und mit seinem Lachen jede Komödie zu erleuchten vermochte. 

M6W448 Hannibal crossing the Alps on Elephants by Nicholas Poussin, oil on canvas, 1625-6

Das Trauma der schwarzen Aneignung durch Netflix hat schon Ägypten durchlebt, als der Streamingdienst die ägyptische Kleopatra mit einer afroamerikanischen Frau besetzte.  Auf anhaltenden ägyptischen Druck musste Netflix sein Dokudrama als solches kennzeichnen, also als Fiktion.

Dass ein Afroamerikaner einen Phönizier spielen soll, mag in Tunesien zu Recht als «Verfälschung der Geschichte» beklagt werden, lässt sich aber in einem wirtschaftlichen Kontext nachvollziehen. Netflix bemüht sich seit mehreren Jahren, mit afrikanischen Serien den riesigen Filmmarkt des Kontinents zu erschliessen. Schon heute ist die nigerianische Filmindustrie Nollywood grösser als Hollywood. Mächtiger ist nur noch das indische Bollywood.

Denzel Washington wird es richten. Genau deshalb hab Netflix ihn auch zum afrikanischen Feldherren gemacht: Hannibal als Doppelagent von Hollywood.