Sicherheitslage in IsraelNetanyahu tritt die Flucht nach vorn an
Im Innern demonstrieren die Gegner, im Äusseren schliessen sich die Feinde zusammen. In seiner Not versucht Israels Premier einen Befreiungsschlag – und wirkt dabei fast verzweifelt.
Israel ist in Bedrängnis, und in der grössten Bedrängnis ist Israels Premierminister. Felsenfest steht im Innern die Protestfront gegen seine Pläne zum Umbau der Justiz. Im Äusseren ist die Sicherheitslage angespannt wie seit langem nicht mehr.
In einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Montagabend hat er die Entlassung seines Verteidigungsministers Joav Gallant rückgängig gemacht. Für alles andere – die Terroranschläge und Raketen an vielen Fronten – machte er die Opposition verantwortlich. Dem versuchten Befreiungsschlag haftet damit gleich der Odem der Verzweiflung an.
Gallants Rauswurf vor zwei Wochen hatte sich für Netanyahu als schwerer Fehler erwiesen. Es hatte die Proteste bis hin zum Generalstreik angestachelt und den Regierungschef gezwungen, genau das umzusetzen, was vom gefeuerten Verteidigungsminister gefordert worden war: eine Pause bei der sogenannten Justizreform für den Dialog mit den Gegnern.
Anschläge im Jordantal
Als Folge der Entlassung stand die Armee plötzlich kopflos da. Die erste Antwort darauf kam mit dem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, wobei dies als Reaktion auf Jerusalemer Unruhen rund um die Al-Aqsa-Moschee nicht sonderlich ungewöhnlich erschien. Weit mehr Aufmerksamkeit aber erregte dann, dass Raketen zuerst aus Libanon auf Israels Norden abgefeuert wurden und schliesslich am Samstag auch noch aus Syrien. Überdies führten noch zwei Anschläge mit insgesamt vier Toten im Jordantal und in Tel Aviv dem Staat seine Verletzlichkeit gegenüber palästinensischem Terror vor Augen.
Netanyahu musste also die Notbremse ziehen, nachdem er vorige Woche bereits die Entlassung von Gallant auf unbestimmte Zeit verschoben hatte. Nun verwies er darauf, dass die beiden in den vergangenen Tagen «rund um die Uhr an allen Fronten und allen Sicherheitsherausforderungen gegenüber zusammengestanden» hätten. Es sei also an der Zeit, die «Unstimmigkeiten» hinter sich zu lassen.
Nur ein Tweet, kein gemeinsamer Auftritt
Netanyahu stand bei diesen Worten in der Kirja, dem Sitz des Verteidigungsministeriums und des Armeehauptquartiers in Tel Aviv – doch Gallant stand dabei auffälligerweise nicht an seiner Seite. Der alt-neue Minister beliess es dabei, über Twitter zu verkünden, dass er nun wieder gemeinsam mit Netanyahu «mit voller Kraft für das Wohl Israels» arbeiten werde.
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Diese Kraft wird das Land brauchen, denn die Ereignisse der zurückliegenden Tage haben gewaltige Probleme am Horizont aufscheinen lassen. Zwar löste der aktuelle Raketenbeschuss an gleich drei Fronten keine weitere Eskalation aus, weil Israel vergleichsweise zurückhaltend reagierte. Die palästinensische Hamas wurde als alleinverantwortlich benannt. Bei Vergeltungsschlägen im Libanon und in Syrien wurde darauf geachtet, die vom Iran gesteuerte schiitische Hizbollah aussen vor zu lassen.
Hizbollah und Hamas demonstrieren den Schulterschluss
Doch Israels Feinde liessen es sich nicht nehmen, öffentlich den Schulterschluss zu demonstrieren: In Beirut empfing Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah am Sonntag die Führungsriege der im Gazastreifen herrschenden Hamas um Ismail Hanijah. Von «Kooperation» war dort die Rede und von einer «Achse des Widerstands» gegen Israel. Hinter dieser Allianz steht deutlich sichtbar das iranische Regime, das damit die Botschaft unterstrich, dass Israel nun von drei angrenzenden Ländern aus unter Beschuss genommen werden kann. Für diese bedrohliche Entwicklung machte Netanyahu nun ausgerechnet die israelische Opposition beziehungsweise die von ihr gestellte Vorgängerregierung verantwortlich.
Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz profitiert
Ob er mit solchen Schuldzuweisungen Erfolg hat, ist fraglich. Den jüngsten Umfragen zufolge haben viele Wähler das Vertrauen in seine Regierung verloren. Vor allem Netanyahus Likud-Partei befindet sich demnach fast im freien Fall. Wenn jetzt gewählt würde, bekäme sie nur noch 20 Sitze im 120-köpfigen Parlament. Bei der Wahl im vorigen November waren es noch 32. Auch die rechten und religiösen Partner verlieren an Zustimmung. Insgesamt käme die derzeit mit 64 Mandaten regierende Koalition nur noch auf magere 46 Sitze und würde die Mehrheit klar verfehlen.
Grösster Profiteur der Regierungskrise ist der frühere Verteidigungsminister Benny Gantz, der mit seiner Liste namens Nationale Einheit in den Umfragen klar vorn liegt. Netanyahus Schuldzuweisungen kommentierte er kühl mit dem Satz: «Mit Jammern zeigt man keine Führungskraft.»
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