Abstimmung vom 15. MaiNein zu EU-Grenzwache käme die Hotellerie teuer zu stehen
Lehnt das Stimmvolk die Vorlage zu Frontex ab, müssen die Hoteliers mit jährlichen Einbussen von bis zu 188 Millionen Franken rechnen. Das zeigt ein internes Papier der Branche.
Bislang stehen im Abstimmungskampf um höhere Beiträge aus der Schweiz an die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) vor allem humanitäre Argumente im Vordergrund. Die Befürworter sagen, Frontex sei wichtig für die Kontrolle der Aussengrenzen und die Sicherheit im Schengen-Raum. Das liege auch im Interesse der Schweiz.
Eine Allianz von linken Organisationen, Parteien und Kirchen hingegen warnt vor dem höheren Beitrag an Frontex. Sie befürchten, dass die EU-Aussengrenzen noch stärker abgeschottet und Sonderflüge für Zwangsausschaffungen beschleunigt würden.
Doch nun schaltet sich ein bedeutender Wirtschaftszweig in die Debatte ein. Aufgeschreckt durch ein mögliches Nein an der Urne am 15. Mai, hat der angeschlagene Tourismussektor ein Ja-Komitee gegründet. Denn die Branche ist sich sicher: Lehnt das Stimmvolk die Vorlage ab, scheidet die Schweiz aus dem Schengen-Visa-Raum aus.
Visumspflicht bei Frontex-Nein
In diesem Fall bräuchten Touristinnen und Touristen aus den wichtigen Fernmärkten ausserhalb Europas neu ein separates Visum für einen Aufenthalt in der Schweiz. Gemeint sind Länder wie Indien, China und die Golfstaaten.
Unter solchen Umständen würde eine Reise in die Schweiz für viele Drittstaatsangehörige an Attraktivität verlieren, befürchten die Touristiker. «Wird der Visaprozess für Touristinnen und Touristen aus Fernmärkten verkompliziert, würden viele die Schweiz auf ihrem Europatrip auslassen», sagt etwa Philipp Niederberger, Direktor des Schweizer Tourismus-Verbands.
Die Hotellerie wollte es deshalb genau wissen. Der Verband Hotelleriesuisse hat berechnet, wie hoch die finanziellen Einbussen für die Beherbergungsbranche bei einem Frontex-Nein wären. Die Hoteliers kommen auf eine Bandbreite von knapp 114 bis 188 Millionen Franken im Jahr. Das ist einem internen Papier zu entnehmen, das der Redaktion Tamedia vorliegt.
Der Bundesrat rechnet für den gesamten Schweizer Tourismus mit jährlichen Ausfällen von bis zu 500 Millionen Franken, basierend auf Zahlen von 2017. Hotelleriesuisse kommt aufgrund von aktuellen Schätzungen auf einen höheren Wert von 500 bis 800 Millionen Franken.
Überdurchschnittlich betroffen wären die Stadthotels, da sie einen höheren Anteil an visumspflichtigen Gästen aufweisen. In der Stadt Luzern beispielsweise ist dieser Anteil mit 50 Prozent relativ hoch. Die Umsatzausfälle für die dortige Hotellerie bei einem Nein zum Referendum beziffert Hotelleriesuisse mit einer Bandbreite von 8,6 bis 14,2 Millionen Franken im Jahr.
«Wird die Schweiz zur Visumsinsel, kämen viele Gäste, die in Europa unterwegs sind, nicht mehr zu uns», sagt Patrick Hauser, Mitinhaber des Hotels Schweizerhof in Luzern. «Das hätte einen markanten Einfluss auf unseren Umsatz.» Den Umfang der Einbussen könne er aber nicht genau abschätzen, sagt Hauser.
Eine solche Hürde käme gerade für die Stadthoteliers zu einem schlechten Zeitpunkt. Die Corona-Krise hat ihnen besonders zugesetzt. Hinzu kommen die Unsicherheiten wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ein abgelehntes Frontex-Referendum würde die sich abzeichnende Erholung von der Pandemie erschweren.
«Wir nähern uns im laufenden Jahr dem Vorkrisenniveau von 2019 an, werden es aber wohl nicht erreichen», sagt Hauser. Zurzeit kämen viele Gäste aus Europa zurück, und auch bei den Schweizern sei ein Aufenthalt im Schweizerhof beliebt.
Gegner fordern «Perspektivenwechsel»
Das Frontex-Referendumskomitee anerkennt wirtschaftliche Bedenken, hält diese aber für zu kleinlich. «Wir schlagen einen Perspektivenwechsel vor», sagt ein Sprecher. Fragen der Migration seien heutzutage nicht national, sondern global zu beantworten.
«So betrachtet, ist der Schaden für die Bevölkerungen und Wirtschaftsbranchen der Länder des Südens aufgrund der Grenzordnung – für die Frontex steht – um ein Vielfaches höher als der befürchtete Schaden des Schweizer Tourismus», so der Sprecher.
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