Dieser Sportler widerlegt jedes KlischeeEr liebt Countrymusik und lackiert sich die Fingernägel
Mit 13 wurde Jimmy Butler von der Mutter auf die Strasse gesetzt. Heute ist er nicht nur einer der besten Basketballer der Welt, sondern auch der ungewöhnlichste.
Die Fingernägel lackiert. Lippe, Nase und Augenbrauen gepierct. Die Haare verdecken die Hälfte des Gesichts. Als die Medientage der NBA stattfinden, erscheint Jimmy Butler, der Superstar der Miami Heat, im Emo-Look. Und weil bei diesem Anlass die Fotos für etliche Inhalte der Liga geschossen werden, starrt Butler einen nun während der Saison bei TV-Übertragungen und auf den Grossleinwänden der Stadien als Emo an.
Sie kennen das aus anderen Sportarten. Vor Matchbeginn werden die Aufstellungen eingeblendet. Manche Spieler verschränken die Arme, andere blicken böse, lachen siegessicher. Stellen Sie sich jetzt vor, Cristiano Ronaldo gäbe den Emo.
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Emo ist abgeleitet von emotional und die Bezeichnung für eine Jugendkultur, die in den Nullerjahren von den Staaten nach Europa überschwappte. Bill Kaulitz, der Sänger von Tokio Hotel, prägte den Look im deutschsprachigen Raum.
Statt den starken Mann zu markieren, gibt sich Butler verletzlich. Welch eine Ausnahme in dieser Liga der Machos und Muskelberge, in welcher der Gang ins Stadion als Laufsteg genutzt wird, Stars Stripclubs besuchen und – in extremen Fällen – auch mal mit Waffen herumfuchteln. «Ich bin im Moment sehr emotional. Das ist mein Emo-Zustand, und ich mag das», sagt Butler.
Einige Reporter lachen, als das 201 Zentimeter grosse Kraftpaket dies sagt. Meint Butler das erst? Oder ist es wieder einmal einer seiner Witze? Im Jahr davor erschien er mit schulterlangen Dreadlocks, als wäre er ein Rastafari.
Er verkauft Kaffee für 20 Dollar
Willkommen in der verrückten Welt des Jimmy Butler. Der 34-Jährige ist einer der besten Basketballer überhaupt. Er hat die Miami Heat in den vergangenen vier Jahren zweimal in den Final geführt, letztmals im Sommer. Dabei galt er nie als ausserordentlich talentiert, im Draft 2011 wurde er von den Chicago Bulls erst an 30. Stelle gezogen.
Andere springen höher, werfen schöner, aber Butler findet Wege, um zu gewinnen, mit einem Team, das schwächer besetzt ist als einige der Konkurrenten. Je grösser der Moment, umso besser ist Butler.
Er ist vielleicht auch der ungewöhnlichste Basketballer der Welt. Aus seiner Vorliebe für Countrymusik macht er keinen Hehl. Dem Magazin «Rolling Stone» erzählte er kürzlich, wie er 2010 am College in der Garderobe Tim McGraws «Don’t Take the Girl» abspielte, worauf ihn die Teamkollegen aufforderten, sofort die Musik abzustellen. Butlers Reaktion? Er vertiefte sich ins Genre, stellte eine Playlist zusammen: Die Mitstreiter mussten sich an die Musik gewöhnen. «Jetzt, im Jahr 2023, stecke ich knietief im Country drin und versuche, so viele Konzerte wie möglich zu besuchen», sagt Butler.
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Country galt lange als Musik der Weissen. Heute sind die Grenzen verschwommen, aber ein Basketballer, der sagt, er möge Taylor Swift, wie Butler das schon 2015 tat, sticht heraus. 45 Songs habe er mittlerweile aufgenommen, sagt er dem «Rolling Stone», weitere sollen dazukommen, irgendwann will er ein Album veröffentlichen.
Country ist eine Leidenschaft, Kaffee eine andere. Als das NBA-Playoff 2020 wegen der Corona-Pandemie in einer Bubble stattfindet und die Teams wochenlang in Hotels leben, abgeschirmt von der Aussenwelt, hat Butler bald genug vom schlechten Kaffee. Also bestellt er sich all die nötigen Utensilien, um ihn selbst herzustellen – und verkauft ihn für zwanzig Dollar den Teamkollegen. An Geld mangelt es denen ja nicht, höchstens an Kleingeld.
Was als einer dieser Butler-Scherze beginnt, ist heute ein Unternehmen. Bigface heisst die Firma, die Bohnen und Kaffeeutensilien vertreibt. Im Sommer 2022 verbrachte Butler mehrere Wochen in Kolumbien und Ecuador, um das Handwerk zu studieren. Nach einigen Pop-ups, unter anderem in New York, sollen bald Filialen in Miami und San Diego folgen, mit dem Ziel, dereinst rund um den Globus zu expandieren. Halbherzig geht Butler seinen Leidenschaften nicht nach.
Wie bei «The Blind Side» – nur mit Happy End
Butlers Arbeitsethos ist gut dokumentiert, bis zur Geburt seiner Tochter 2019 stellte er den Wecker um 4 Uhr, trainierte dreimal täglich, inspiriert von seinem Freund Mark Wahlberg, wie Butler dem Männermagazin «GQ» erzählt. Der Schauspieler sorgte für Aufsehen, als er seine Tagesroutine offenlegte und behauptete, um 2.30 Uhr aufzustehen und schon gebetet, gefrühstückt, trainiert, eine weitere Mahlzeit gegessen, geduscht und gegolft zu haben, bevor bei den meisten Menschen der Wecker klingelt.
Butler hat jedenfalls alle Voraussagen zu seinen Limiten übertroffen. Mit 13 stellte ihn seine Mutter auf die Strasse, offenbar weil er dem Vater zu ähnlich sah. Diesen hatte er nie wirklich gekannt. Für den Jungen aus einem Vorort der texanischen Grossstadt Houston wäre es ein Leichtes gewesen, kriminell zu werden, den Drogen zu verfallen.
Er lebte wochenweise bei Freunden und Mitschülern. Ein Zuhause fand er erst in seinem letzten Highschooljahr, bei seinem Kumpel Jordan Leslie, der es später in die NFL schaffen sollte. Dessen Mutter Michelle Lambert nahm Butler auf, als achtes Kind der Familie. Die Bedingungen: Schulnoten verbessern, Hausarbeit verrichten. Vorbild sein.
Die Geschichte erinnert an jene des Footballers Michael Oher in «The Blind Side», dem Hollywoodstreifen mit Sandra Bullock. Nur dass jene von Butler tatsächlich ein Happy End hat. Während Oher kürzlich seine Adoptiveltern verklagt hat, nennt der Basketballer Lambert noch heute Mutter.
Hier der Witzbold und Kaffee-Aficionado, da der Arbeiter und Country-Liebhaber – Jimmy Butler hat viele Gesichter. Jenes des Emo hat er mittlerweile abgelegt. Aber im Fernsehen und in den Stadien ist es weiterhin zu sehen.
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