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Nach Eklat zwischen Trump und Selenski
Kiew und Europa im Konflikt mit Russland auf sich gestellt

Volodymyr Zelenskyy und Sir Keir Starmer bei der Unterzeichnung des Hundertjährigen Partnerschaftsabkommens zwischen der Ukraine und dem Vereinigten Königreich mit Nationalflaggen im Hintergrund, Kiew, Ukraine.
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Nach dem Streit vor laufenden Kameras drängt die Zeit: Europa ist im Ukraine-Krieg noch mehr gefordert und muss notfalls eigenständig handeln. Bei einem Sondergipfel zum Ukraine-Krieg am Sonntag muss sich Europa neu sortieren. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski setzt nach dem Zerwürfnis mit US-Präsident Donald Trump vor allem auf die Europäer in der Verteidigung gegen Russlands Invasion. Gleichzeitig ist Deutschland nach der Bundestagswahl unter Zeitdruck – Union und SPD müssen sich zügig auf eine Koalition und eine handlungsfähige Regierung verständigen.

Streit mit den USA schwerer Schlag für Ukraine

Die USA waren bisher der Hauptunterstützer der Ukraine in Form von Waffenlieferungen und Hilfsgeldern bei deren seit mehr als drei Jahren andauernden Abwehr der russischen Invasion. Auf eine Fortsetzung der Unterstützung kann sich das schwer vom Krieg gezeichnete Land, das um seine Existenz kämpft, nun nicht mehr verlassen.

Trump hatte Selenski am Freitag im Weissen Haus scharf zurechtgewiesen und ihn aufgefordert, Frieden anzustreben. Der Ukrainer sei undankbar, weil er im russischen Angriffskrieg nur dank US-Waffen so lange durchgehalten habe. Die Gespräche wurden abgebrochen. Selenski verliess das Weisse Haus vorzeitig, ohne ein geplantes Abkommen über den US-Zugang zu ukrainischen Rohstoffen zu unterzeichnen. Später schrieb Trump in seinem sozialen Netzwerk Truth Social, dass Selenski nicht bereit sei für einen Frieden. Wenn er dazu bereit sei, könne er wiederkommen.

Starmer will Brücke über den Atlantik schlagen

Der britische Premierminister Keir Starmer möchte sich als transatlantischer Brückenbauer positionieren. Für Sonntag hat er zu einem Ukraine-Gipfel in London geladen. Erwartet werden Selenski sowie europäische Staats- und Regierungschefs, die EU-Führung und Nato-Chef Mark Rutte. Nach dem öffentlichen Zerwürfnis zwischen Kiew und Washington zeichnet sich ab, dass weit mehr als nur das Schicksal der Ukraine auf der Agenda stehen dürfte.

Starmer scheint aber vorerst an seiner Strategie festzuhalten, wieder Einigkeit zwischen den Verbündeten auf beiden Seiten des Atlantiks herzustellen. Anders als viele europäische Staats- und Regierungschefs zögerte Starmer mit einer öffentlichen Solidaritätsbekundung für Selenski nach dem Eklat im Oval Office. Stattdessen griff er zum Hörer.

Starmer habe sowohl mit Selenski als auch mit Trump telefoniert, teilte der Regierungssitz Downing Street mit, nachdem der Ukrainer das Weisse Haus vorzeitig verlassen hatte. «Er behält seine unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine bei und tut alles, was er kann, um einen Weg zu einem dauerhaften Frieden auf Grundlage von Souveränität und Sicherheit für die Ukraine zu finden», sagte ein Downing-Street-Sprecher.

 Jetzt kommt es auf die Europäer an

Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas fand nach dem Eklat ungewöhnlich deutliche Worte. «Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht», schrieb sie auf der Plattform X. «Es liegt an uns Europäern, diese Herausforderung anzunehmen.» Aber kann Europa diese Führungsrolle übernehmen?

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Über die neue Situation und neue Hilfe für die Ukraine soll am 6. März bei einem Sondergipfel in Brüssel gesprochen werden. Im Idealfall könnten die 27-EU-Staaten dort konkret sagen, wie man militärisch zusammenstehen will.

Orban lobt Trump als «mutig»

Dabei könnte es jedoch zu Schwierigkeiten kommen, denn in der EU müssen weitreichende Entscheidungen einstimmig getroffen werden. Mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban sitzt allerdings ein Staatschef mit am Tisch, der eng an Trumps Linie angelehnt ist. Mehrfach blockierte er bereits EU-Hilfen für die Ukraine.

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Während die meisten EU-Staats- und Regierungschefs Selenski ihre Solidarität aussprachen, lobte Orban direkt nach dem Eklat den US-Präsidenten. «Starke Männer machen Frieden, schwache Männer führen Krieg. Heute hat sich Präsident Donald Trump mutig für den Frieden eingesetzt», schrieb er auf X.

Nukleare Absicherung aus Frankreich und Grossbritannien?

Ein möglicher Rückzug der USA aus Europa könnte auch zu der Frage führen, ob der amerikanische Nuklearschirm bestehen bleibt. Dabei rücken die Atommächte Grossbritannien und Frankreich in den Fokus. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz forderte bereits Gespräche mit den beiden Ländern über eine europäische nukleare Absicherung. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat das mehrfach vorgeschlagen, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte das aber ab. Ein solcher Schritt würden jedoch erhebliche Investitionen erfordern, da britische und französische Atomwaffen bisher nur als Ergänzung zur US-Abschreckung innerhalb der Nato dienen.

Berlin muss sich rasch sortieren

Deutschland trifft die Eskalation in einem politischen Schwebezustand kurz nach der Bundestagswahl. Sie dürfte nun auch auf die anlaufenden Gespräche von Wahlsieger Merz (CDU) über eine Regierungsbildung mit der SPD durchschlagen. Dabei ging es schon vor dem Washingtoner Eklat darum, ob und wie kurzfristig frische Milliarden für die Verteidigung mobilisiert werden können. Im Gespräch ist ein neues grosses Sondervermögen, aber vor allem zugunsten der Bundeswehr. Die Diskussion dürfte nach dem Eklat in Washington Fahrt aufnehmen.

Scholz und Merz telefonierten noch am Freitagabend miteinander, um sich auch mit Blick auf den Gipfel in London abzustimmen. Auf der Plattform X sicherte der Kanzler der Ukraine die anhaltende Solidarität Deutschlands zu: «Auf Deutschland – und auch auf Europa – kann sich die Ukraine verlassen.»

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Deutschland ist der zweitgrösste Unterstützer der Ukraine nach den USA. Sollte die US-Hilfe ausbleiben, würde Deutschland eine führende Rolle bei der weiteren Hilfe zukommen. Scholz hat aber auch schon deutlich gemacht, dass Europa die Lücke wohl kaum ganz füllen könnte.

Dass Scholz jetzt nur noch Kanzler auf Abruf ist, macht sich auch in der Ukraine-Diplomatie bemerkbar. Während Macron und Starmer bereits nach Washington gereist sind, um Gespräche mit Trump zu führen, ist das für Scholz als Übergangskanzler kaum möglich. Auch die Gespräche unter den Europäern werden von Macron und Starmer organisiert. Die ersten beiden Ukraine-Gipfel fanden in Paris statt, jetzt ist es London. Berlin ist aussen vor. 

Milliarden fliessen vorerst weiter

Im Interview des US-Senders Fox sagte Selenski, dass es ohne die USA schwer werde für die Ukraine, im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg zu bestehen. Die Finanzierung des Staatshaushalts gilt zumindest für dieses Jahr durch längerfristige Verpflichtungen der internationalen Partner als gesichert. 

Parallel zum Eklat im Weissen Haus gab es daher auch gute Nachrichten für Kiew. In Warschau einigten sich der Internationale Währungsfonds und die Ukraine auf die Fortsetzung eines vierjährigen IWF-Programms mit einer Gesamtsumme von umgerechnet etwas mehr als 15 Milliarden Euro. «Die effektive und abgestimmte Zusammenarbeit mit dem IWF ist ein Schlüsselelement in der Unterstützung der finanziellen Stabilität der Ukraine in unsicheren Zeiten», sagte Finanzminister Serhij Martschenko laut Mitteilung. 

Kiew erwartet daraus noch Zahlungen von etwa 5,4 Milliarden Euro, bei einem jährlichen Finanzierungsbedarf für den ukrainischen Haushalt von knapp 40 Milliarden Euro. Das IWF-Programm ist dabei den Angaben zufolge Teil eines internationalen Unterstützungspakets für die Jahre 2023 bis 2027 in Höhe von umgerechnet etwas mehr als 142 Milliarden Euro.

Selbst bei einem kompletten Ausfall US-amerikanischer Überweisungen, die bisher nach Angaben des ukrainischen Finanzministeriums im Schnitt bei etwa 10 Milliarden Euro im Jahr lagen, kann Kiew seine Ausgaben daher noch eine Weile finanzieren.

Russland frohlockt und verstärkt Kontakte mit USA

Die Freude in Moskau über den Eklat im Weissen Haus ist unüberhörbar, weil Trump praktisch russische Positionen übernimmt. Und er stellt Selenski als jenen dar, der lieber kämpfen wolle, als sich auf Friedensgespräche einzulassen. Die Sprecherin des Aussenministeriums, Maria Sacharowa, meinte, es sei ein «Wunder der Selbstbeherrschung», dass sich Trump angesichts der «Frechheiten» Selenskis so im Griff gehabt und ihm keine reingewürgt habe.

Kremlchef Wladimir Putin sagte vor einigen Tagen in einem Interview des russischen Staatsfernsehens, Selenski sei zu «einer toxischen Figur» geworden. Er habe den Eindruck, dass Trump es so sehe, dass Selenski einer friedlichen Lösung und letztlich auch einem Überleben des ukrainischen Staates im Weg stehe.

Auch Russland wolle Frieden in der Ukraine, sagte Putin, der nach einem Telefonat mit Trump im Februar die begonnene Wiederannäherung in den Beziehungen zwischen Moskau und Washington zuletzt immer wieder positiv bewertete. Putin bot zudem auch selbst den USA an, gemeinsam die begehrten Rohstoffe wie seltene Erden in Russland und den russisch besetzten Gebieten statt in der Ukraine zu fördern.

DPA/far