Erneuerbare EnergienMit Solaranlagen an der Autobahn geht es plötzlich schnell
Seit kurzem stellt der Bund über 300 Lärmschutzwände und Flächen auf 100 Rastplätzen Privaten zur Verfügung. Das Interesse ist gross – dafür stockt es bei Grossprojekten.
Trotz Befürchtungen vieler Linker und Grüner: Bei der Solaroffensive setzt SVP-Bundesrat Albert Rösti das Werk seiner SP-Vorgängerin Simonetta Sommaruga nahtlos fort. Er wolle den vom Parlament eingeschlagenen Weg für den raschen Zubau bei den erneuerbaren Energien hauptsächlich bei der Solarenergie weitergehen. Dies sagte er am Stromkongress vor ein paar Tagen in Bern. Die bewilligten Projekte sollen von der Branche bis 2025 gebaut werden – er wisse, dass dies «ein steiler Weg» sei.
Zumindest beim Solarausbau entlang der Autobahnen geht es schnell vorwärts, ungewöhnlich schnell für hiesige Verhältnisse: Im Juni hatte der Nationalrat mit einer Motion gefordert, dass Lärmschutzwände, Fassaden und Dächer in Bundesbesitz vermehrt für die Produktion von Strom genutzt werden sollen. Per 1. Oktober wurde die entsprechend angepasste Nationalstrassenverordnung in Kraft gesetzt, die erste Runde der Bewerbungsverfahren ist bereits abgeschlossen.
Strombedarf von 12’000 Haushalten
«Das Interesse ist sehr gross», sagt Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen (Astra). Weit über 300 Anfragen von 35 Unternehmen und interessierten Personen seien eingegangen. Die zweite Bewerbungsrunde laufe noch bis Ende Februar, dann entscheide man über die Zuschläge. Konkret ausgeschrieben wurden 350 Lärmschutzwände und 100 Rastplätze. Das geschätzte Potenzial beträgt rund 50 Gigawattstunden. Damit könnte der jährliche Strombedarf von rund 12’000 Haushalten abgedeckt werden.
Das Astra nutzt bereits einen Teil des Potenzials entlang der Autobahnen für den eigenen Strombedarf, namentlich in der Nähe von Tunneln und bei Werkhöfen. So werden derzeit rund 1,6 Gigawattstunden produziert, weitere Fotovoltaikanlagen mit einer Leistung von 35 Gigawattstunden sind bis 2030 geplant. Insgesamt werden mit solchen kleinen Solaranlagen entlang des 1300 Kilometer langen Autobahnnetzes indes nur ein paar Promille des schweizerischen Strombedarfs abgedeckt.
Viel mehr Strom liefern würden Solar-Highways, insbesondere Neuüberdeckungen von ganzen Autobahnabschnitten mit Solarpanels. Der Bund klärt zurzeit ab, welche Autobahnstrecken sich grundsätzlich für eine solche Stromgewinnung eignen würden. Zwei Vereinbarungen für eine solche Nutzung von Streckenabschnitten wurden bisher vom Astra bewilligt.
Das eine ist ein kleineres Solarpojekt bei Neuenhof AG und bei Leuzigen BE, wo Solardächer auf bestehenden Autobahngalerien gebaut werden sollen. Die Anlagen beider Standorte sollen insgesamt rund 550 Haushalte mit Strom beliefern. Ursprünglich war der Baubeginn auf 2023 angesetzt, dieser verzögert sich nun laut der Firma Helion. «Wir können wohl erst Anfang 2024 mit der Inbetriebnahme der Solarprojekte rechnen», sagt Unternehmenssprecher Renato Mitra. Derzeit liege das Baugesuch beim Astra zur Bewilligung.
Das zweite, deutlich grössere Projekt ist im Unterwallis geplant. Rund 47’000 Solarpanels und Luftturbinen sollen auf einer 1,6 Kilometer langen Neuüberdachung der Autobahn A9 bei Fully Strom liefern. Dahinter steckt Laurent Jospin, der seit einem guten Jahrzehnt diese Idee mit seinem auf Solarenergie spezialisierten Unternehmen Energypier vorantreibt. Geschätzte Kosten des Projekts: rund 40 Millionen Franken. Geschätzte Stromproduktion: jährlich über 50 Gigawattstunden. Ursprünglich war der Baubeginn auf Anfang 2023 geplant – dieser Termin kann sicher nicht eingehalten werden.
Solarunternehmen würden den Aufwand oft unterschätzen, sagt Rohrbach: «Eine Neuüberdeckung mit Solarzellen stellt einen riesigen Aufwand dar, weil auch die Sicherheit und der reibungslose Betrieb des entsprechenden Strassenabschnitts gewährleistet werden müssen.» Wie streng diese Auflagen sein können, erfuhr auch Jospin. Man habe einen Brand eines LKW simulieren müssen, dies am kritischsten Punkt der Anlage und zudem noch mit Windbedingungen, die für den Abzug der heissen Rauchgase am ungünstigsten waren. Heute sei der geforderte Brandschutz in der Planung berücksichtigt.
Der Landschaftsschutz sagt, Solaranlagen seien nur dort vertretbar, wo sie nicht direkt auffielen.
Doch bis die Bagger im Unterwallis auffahren, dürften weitere Jahre verstreichen. Denn noch hat das Astra kein grünes Licht für das Projekt in Fully erteilt. Liegt dieses vor, braucht es zudem noch die Baubewilligung des Kantons. Und dann könnten auch noch Einsprachen von Umweltverbänden Projekte wie jenes im Unterwallis verzögern. So gibt die Stiftung Landschaftsschutz zu bedenken, dass Solardächer ausserhalb von Siedlungen nur dort vertretbar seien, wo die Strasse in Tieflage verlaufe und wo die Anlagen landschaftlich nicht direkt auffielen.
Noch länger könnte es bei einem weiteren, ehrgeizigen Projekt von Jospin dauern: Im Zürcher Knonauer Amt will er zwischen Affoltern, Mettmenstetten und Knonau in vier Abschnitten auf einer Strecke von insgesamt 2,5 Kilometern Neuüberdachungen mit Solarpanels realisieren und so jährlich 75 Gigawattstunden Strom produzieren. Hier liegt noch nicht einmal eine Nutzungsvereinbarung mit dem Bund vor. Noch vor zwei Jahren gab sich Jospin gegenüber dieser Zeitung zuversichtlich, dass er im Idealfall schon Anfang 2023 mit dem Bau beginnen wolle. Daraus wird definitiv nichts.
Fehler gefunden?Jetzt melden.