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Fassade wird zum Kraftwerk 
Jetzt kommen die smarten Solarpanels für Fenster und Wände

Wirkt wie eine Designerfassade: Ein Prototyp beweglicher Solarmodule vor einem Bürofenster des Innovationsgebäudes NEST der Empa Dübendorf produziert nicht nur Strom, sondern reguliert auch den Energiehaushalt des Büroraumes. 
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Das kann Arno Schlüter nicht verstehen. Für ihn wird zu viel über die grossen Solaranlagen in den Alpen geredet und zu wenig über die Möglichkeiten der Fassaden. Der Professor für Architektur und Gebäudesysteme an der ETH Zürich sieht die «low hanging fruits» an den Fassaden neuer und alter Bürogebäude oder Industriehallen. «Hier liesse sich schnell und effizient Solarstrom produzieren, da sollte man ansetzen», sagt er.

Der ETH-Architekt ist allerdings etwas befangen, schliesslich hat sein Team eben den renommierten Schweizer Energiepreis erhalten, den Watt d’Or in der Kategorie Gebäude und Raum. Die ETH-Innovation macht aus der Solarfassade nicht nur ein Kraftwerk für Solarstrom, sondern auch eine Klimaanlage. Das ist ein neuer Ansatz, der die herkömmliche Solarfassade – bestückt mit Solarmodulen – um eine neue Funktion erweitert. Dabei geht es eigentlich nicht um die ganze Fassade, sondern um die Fensterflächen. «In den letzten zwanzig Jahren wurden sehr viele Gebäude gebaut mit einem hohen Fensterflächenanteil», sagt Schlüter.

Gewöhnungsbedürftig: Das Solarmodul am Fenster eines Büros im Innovationsgebäude NEST an der Empa Dübendorf lässt nur eine Sicht nach draussen zu, wenn die Module gekippt sind. 

Das wollen die ETH-Forschenden ausnützen. Was damit gemeint ist, zeigt der Prototyp beim Innovationsgebäude NEST der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf. Die ETH-Forschenden haben vor einem Bürofenster im ersten Stock auf der Südseite ein Geflecht mit quadratischen Solarmodulen angebracht. Für den Betrachter von aussen scheint das Konstrukt wie eine extravagante Designerfassade. «In Wirklichkeit ist es primär Ingenieurarbeit», sagt Schlüter. Denn jedes einzelne Modul kann nach dem Stand der Sonne bewegt werden. Und das nicht mit Elektromotoren, sondern mit einem ausgeklügelten patentierten Druckluftsystem, das nur wenig Strom verbraucht. Damit wird der Ertrag an Solarstrom im Vergleich zu herkömmlichen statischen Solarfassaden – vor allem im Winter – deutlich gesteigert. 

«Die Möglichkeiten der Solarfassaden gingen vergessen.»

Arno Schlüter, Professor für Architektur und Gebäudesysteme an der ETH Zürich

Aber nicht nur dies: Mit der Steuerung der Module lässt sich Beschattung oder Besonnung regulieren, sodass im Sommer der Büroraum an heissen Tagen verschattet wird, im Winter bei Sonnenschein gewärmt. «Die Herausforderung wird sein, das Optimum zu finden zwischen Strom erzeugen und elektrische Energie für Kühlung oder Heizung zu sparen», sagt Schlüter.

Für den ETH-Forscher passt diese Kombination zu den Zielsetzungen des Bundes, den Zubau an erneuerbarer Energie stark zu fördern, aber auch die Energieeffizienz in den Häusern zu steigern. «In den letzten Jahren wurde punkto Effizienz mithilfe von Haustechnik schon viel erreicht, aber die Möglichkeiten, die Fassaden bieten, ging dabei vergessen», so Schlüter.

Bis zu 50 Prozent mehr Strom 

Die ETH-Entwicklung hat durchaus das Potenzial, in Zukunft die bisher noch geringe Nachfrage nach Solarfassaden zu steigern. Das Prinzip dafür ist schon alt, und es gibt inzwischen Solarmodule, die sich in allen möglichen Formen und Farben in Gebäudefassaden integrieren lassen. Die Nachfrage für solche Produkte steigt zwar, sie ist aber immer noch sehr mässig. «Die Stromproduktion dürfte ein tiefer einstelliger Prozentanteil an der gesamten installierten Leistung der Fotovoltaik in der Schweiz sein», sagt David Stickelberger, Geschäftsleiter vom Fachverband für Sonnenenergie Swissolar.

Dabei attestieren Energiexperten den Solarfassaden eine immer grössere Relevanz – vor allem für den Winter, wenn die Sonne tief am Horizont erscheint. «Fotovoltaik auf nach Süden ausgerichteten Fassaden können im Winterhalbjahr im Vergleich zu Dachanlagen auf derselben Fläche bis zu 50 Prozent mehr Strom produzieren», sagt Roman Schwarz vom Beratungsunternehmen Basler&Partner. 

Heute fehlen im Winterhalbjahr gemäss Bundesamt für Energie etwa 4 bis 5 Terawattstunden (TWh) Strom, der importiert werden muss. Ohne Atomkraftwerke rechnet der Bund in seinen Perspektiven um 2035 mit 12 bis 15 Terawattstunden. Das Potenzial der Solarfassaden wird in einem Bericht von Basler&Hofmann für das Bundesamt für Energie auf 17 TWh geschätzt. Potenziale sind allerdings nur theoretische Werte. Was letztlich umgesetzt wird, weiss niemand. Swissolar rechnet konservativ und geht davon aus, dass es bis 2050 Fassadenanlagen gibt, die etwa 3 TWh Strom liefern. 

Auch Jürg Rohrer, Energieexperte an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), ist nicht allzu optimistisch: «Von Fassaden-Fotovoltaik darf man in den nächsten Jahren keine grossen Beiträge zur Lösung der Winterstrom-Problematik erwarten.» Dabei spreche energetisch und gestalterisch sehr viel für deren Bau. «In Gebieten oberhalb von 1200 Metern sollte man gut besonnte Fassaden von Neubauten zwingend mit Fotovoltaik belegen», sagt Rohrer. 

Ein Hindernis sind die Investitionskosten. Diese sind derzeit immer noch höher als bei Dach-Fotovoltaik. Deshalb gibt es seit diesem Jahr neu einen Fassadenbonus, um einen Anreiz zu schaffen. «Es fehlt jedoch immer noch ein preislicher Anreiz, um in den Wintermonaten Strom zu produzieren», sagt Roman Schwarz von Basler&Hofmann. 

Träge Bauherrschaft

Das grössere Problem sehen Solarexperten jedoch nicht im finanziellen Anreiz, in Solarfassaden zu investieren. Sondern bei den Architekten und Bauherrschaften. «Ein Umdenken wird meines Erachtens erst mit einer neuen Generation von Architekten und Immobilienfachleuten einsetzen», sagt Jürg Rohrer von der ZHAW.

ETH-Architekt Arno Schlüter ist dennoch optimistisch, dass es ein Umdenken geben wird. Das Interesse an der ETH-Innovation ist bereits gross, obwohl es bisher nur Prototypen gibt. So haben sich die ETH-Forschenden entschlossen, ein Spin-off zu gründen. Name des Produkts: Solskin. Der erste Grossauftrag ist von einem Unternehmen in Winterthur, das 1300 Quadratmeter Fensterfläche der Südfassade eines Büro- und Produktionsgebäudes für Solskin zur Verfügung stellt. Das Produkt soll weitestgehend in der Schweiz hergestellt werden, zusammen mit Partnern aus der Solar- und Solarfassadenbranche.

Und was kostet das Ganze? Noch ist Solskin teurer als herkömmliche Solarfassaden, die wiederum etwa 20 bis 30 Prozent mehr kosten als Dach-Fotovoltaikanlagen. «Das Produkt wird derzeit mit Hochdruck weiterentwickelt, um auf dem Markt bestehen zu können», sagt Schlüter.

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