Kansas City gewinnt 57. SuperbowlMit den Schmerzen kam die Wende
Die Kansas City Chiefs bezwingen die Philadelphia Eagles 38:35. Dies, obwohl das Team um den angeschlagenen Quarterback Patrick Mahomes zur Pause bereits besiegt schien.
«You gotta fight! For your right! To party!» So lautet die Hauptzeile des Songs «Fight For Your Right» von den Beastie Boys aus dem Jahr 1986. Travis Kelce, Tight End der Kansas City Chiefs, sang die Zeile erstmals im Interview nach dem gewonnenen Meisterschaftshalbfinal gegen die Tennessee Titans 2020. Und er tat es erneut zwei Wochen später an der Parade durch Kansas City, nachdem er mit seiner Mannschaft in Miami seine erste Superbowl gewonnen hatte. Seither wird der Song unweigerlich mit den Chiefs in Verbindung gebracht. Er wird in der Regel gespielt, wenn die Chiefs einen Touchdown erzielen, und er wird von den Fans in der Regel lautstark mitgegrölt.
Sonntagnacht, in der 57. Ausgabe der Superbowl, sangen die Fans der Chiefs den Song fünfmal – ehe Travis Kelce sich das Mikrofon schnappte und den Refrain selbst nochmal zum Besten gab, die glänzende Vince Lombardi Trophy sanft in seinen monströsen Händen haltend.
To fight for the right to party. Sich das Recht erkämpfen, feiern zu dürfen: Der Spielverlauf des Finals der National Football League führte dazu, dass man tatsächlich das Gefühl bekam, dass die Beastie Boys den Kansas City Chiefs das richtige Credo lieferten, als sie am Abgrund standen. Nach 10 Punkten Rückstand zur Pause (14:24), einem Handicap, das in der Superbowl-Geschichte 29 von 30 Teams nicht mehr aufzuholen wussten, mussten die Chiefs tatsächlich um jedes Yard kämpfen, um sich das Recht zu erspielen, ordentlich feiern zu dürfen. Was ihnen am Ende gelang.
Denkwürdige Superbowl mit Edelfan Bradley Cooper
In einer Partie, die zweifelsohne als eine der denkwürdigsten Superbowls in die Geschichte eingeht, erwischten die Eagles aus Philadelphia vor den Augen von Stars wie Paul McCartney, Adele, LeBron James, jedoch vor allem unter tatkräftiger Unterstützung ihres treuesten Edelfans – Schauspieler Bradley Cooper – zunächst den besseren Start, erzielten mit ihrem ersten Ballbesitz ihren ersten Touchdown.
Die Chiefs taten es ihnen im Gegenzug gleich, ehe viel gegen sie lief. Kicker Harrison Butker setzte ein vermeintlich machbares Field Goal an den Pfosten, die Eagles schlugen daraus Kapital, erreichten zum zweiten Mal die Endzone. Ausgerechnet die Defensive der Chiefs, die sonst vor allem für ihr Offensivfeuerwerk bekannt sind, war es dann, die vorerst verhinderte, dass die Eagles weiter davonzogen. Linebacker Nick Bolton entledigte Eagles-Quarterback Jalen Hurts des Spielgeräts und trug es selbst in die Endzone zum Ausgleich. Dass die Eagles vor der Pause weitere 10 Punkte in Führung gingen, war jedoch die logische Folge einer ersten Hälfte, in welcher der Superbowl-Sieger von 2018 alles im Griff hatte. Und die nicht wenige daran glauben liess, dass die Partie bereits entschieden war.
Wenngleich sich Chiefs-Trainer Andy Reid nach dem Spiel bescheiden gab («Du musst kein Team motivieren, das immer motiviert ist»), hatte er in der Halbzeitpause die Herkulesaufgabe, seine Mannschaft auf ein mögliches Comeback einzustimmen. Dies, während R&B-Ikone Rihanna mit gewohnt spektakulärer Bühnenshow trotz Schwangerschaft die rund 67’000 Schaulustigen im State Farm Stadium von Glendale zum Beben brachte.
Nach ihrem Auftritt folgte die Wende. Und es war Reids Mitverdienst, dass seine Mannschaft wie verwandelt aus der Kabine kam – und Quarterback Patrick Mahomes in der Wüste von Arizona einen kühlen Kopf bewahrte. Dies, obwohl er angeschlagen in die Partie gestartet war – seit dem Playoff-Viertelfinal gegen die Jacksonville Jaguars hatte ihm sein Knöchel zu schaffen gemacht. «Ich habe keine Schmerzmittel eingenommen. In der zweiten Hälfte kehrten daher die Schmerzen zurück.» Mahomes, der sagte, «gesund werden kann ich nach Saisonende», biss auf die Zähne und drehte das Spiel durch zwei Touchdown-Pässe, erstmals führten die Chiefs in der Partie, es stand 28:27.
Von da an lag das Momentum beim Team aus Missouri, die Eagles glichen nur noch einmal aus. Vor allem dank des unermüdlichen Jalen Hurts, der Superbowl-Rekorde aufstellte in gelaufenen Yards für einen Quarterback (70) sowie gelaufenen Touchdowns (3).
Ein fataler Zupfer am Leibchen
So spektakulär die Partie war, so bitter war auch ihr Ende. Die Chiefs waren in der finalen Spielminute in Reichweite eines Field Goals, hatten, ehe sie dieses schiessen und den Eagles noch einmal das Feld überlassen hätten müssen, nur noch einen Passversuch. Doch weil Eagles-Abwehrmann James Bradberry Passempfänger JuJu Smith-Schuster am Leibchen zupfte, erhielten die Chiefs einen neuen ersten Versuch. Dieser ermöglichte es ihnen, die Zeit runterlaufen und Butker – in der ersten Halbzeit noch Pechvogel – mit dem entscheidenden Field Goal zum Matchwinner werden zu lassen. 38:35 lautete der Endstand, es ist kumuliert die Superbowl mit den drittmeisten erzielten Punkten in ihrer 57-jährigen Historie.
So unterliegt Jalen Hurts mit seinen Eagles am Ende in einer Partie, die eigentlich keinen Verlierer verdient hatte. Und in der er wohl eigentlich der beste Mann auf dem Platz war. Die Auszeichnung zum Most Valuable Player – dem wertvollsten Spieler der Partie – ging dennoch an Patrick Mahomes, da sie traditionell an einen Spieler des Sieger-Teams geht.
Nun ist es keineswegs so, dass sich Mahomes, der bereits unter der Woche zum besten Spieler der Saison gewählt worden war, diese Auszeichnung nicht verdient hätte. Er zeigte ein tadelloses Spiel, in dem er insgesamt neun verschiedene Passempfänger in Szene setzte. Darunter mit Kadarius Toney und Skyy Moore zwei Akteure, die noch kaum NFL-Erfahrung aufweisen. Sie dankten Mahomes sein Vertrauen mit je einem gefangenen Touchdown.
Den Schmerz als Ansporn nehmen
Der MVP fand nach der Partie nichts als lobende Worte für sein Gegenüber Hurts: «Wer es noch nicht wusste, weiss jetzt: Dieser Junge ist etwas Besonderes.» Der erst 24-jährige Hurts versuchte nach der Niederlage Hoffnung zu schöpfen: «Entweder gewinnst du, oder du lernst.» Damit folgt er den Worten, die ihm sein Trainer Nick Sirianni nach dem Spiel in der Kabine mit auf den Weg gab. Dieser war schon vor der Partie zu Tränen gerührt, als Countrysänger Chris Stapleton die Nationalhymne zum Besten gab, wirkte nach der Partie aber gefasst: «Ich sagte den Jungs, dass sie den Schmerz als Ansporn nutzen sollen, wieder zurückzukommen.»
Der Sieg der Chiefs über die Eagles bedeutete auch den Triumph von Travis Kelce über seinen älteren Bruder Jason im ersten Geschwisterduell der Superbowl-Historie. Travis war sich nach der Partie bewusst, «dass es gerade nichts gibt, was ich ihm sagen könnte, dass es ihm jetzt besser ginge». Jason selbst machte aus seiner Frustration über die Niederlage gegen seinen Bruder keinen Hehl, schöpfte jedoch auch Hoffnung, die mit seinem Quarterback zu tun hat. «Mit Jalen in unserem Team können wir jedes Jahr um den Titel mitspielen.» Jason bewies zudem Grösse, indem er sagte, dass er sich für seinen Bruder freue.
Dieser gewann seine zweite Meisterschaft, ebenso wie Reid, ebenso wie Mahomes. Es ist die dritte für Kansas City insgesamt. Dazu die zweite in vier Jahren. Die Chiefs bleiben das Team in der NFL, das es zu schlagen gilt. Falls die Chiefs nächstes Jahr erneut den Titel holen sollten, werden sie zu etwas, was im Football das Prädikat «Dynastie» erhält. Und sie würden in einem Atemzug genannt werden mit den Pittsburgh Steelers, den San Francisco 49ers, den Dallas Cowboys und den New England Patriots, die in den vergangenen Dekaden dominierten. «Wir sind noch nicht fertig», lautet Mahomes’ Ansage. Bis es so weit ist, haben die Chiefs jedoch das Recht, zu feiern. Die Beastie Boys dürften es ihnen mehr als erlauben.
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