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Lauter Protest
Mit Hardrock gegen die Diktatur

Eine vom Staat bekämpfte Musikikone: Der weissrussische Rockmusiker Ljawon Wolski (Mitte) bei einem Konzert.
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Ljawon Wolski geht ans Telefon und sagt nur kurz: «die Roaming-Gebühren», legt auf und schickt eine polnische Nummer. Er ist gerade in Warschau, im Nachbarland. Am Samstagabend trat der belarussische Rockmusiker im Nationalstadion bei einem grossen Solidaritätskonzert für Weissrussland auf, für die Protestbewegung. Wie könnte Wolski da auch fehlen? In seiner Heimat Weissrussland ist er eine vom Staat bekämpfte Musikikone: Auftrittsverbote, vom Radio ignoriert, abgeschoben in die Nischen privater Kleinclubs – er hat schon seit Jahrzehnten Ärger mit der Staatsmacht in Minsk. Aber was jetzt passiert, sind auch für den 55-Jährigen ungewöhnliche Zeiten.

Wolski meint nicht die Massenfestnahmen, die Gewalt der Sicherheitskräfte, er sagt: «Druck, Einschüchterung – in den Methoden erkenne ich nichts Neues, Kreatives. Sie können nicht anders.» Es ist die Bevölkerung, die sich verändert habe. «Das Land hat lange geschlafen. Jetzt ist es aufgewacht. Nie waren die Menschen so bereit für Veränderung. Die vielen Fahnen der Opposition, das ist Euphorie für mich.» Umgekehrt gilt: «Musik hilft wiederum den Menschen, Krisen zu überstehen.» Wolski ist wieder sehr gefragt.

Gegen die Feinde des Volkes

Vor und unmittelbar nach der Präsidentenwahl Anfang August ist er einige Male in Minsk aufgetreten, kurzfristig, unter dem Gejubel der Protestbewegung. Grosse Säle waren natürlich tabu. Vor einer Woche hat er eine neue Single veröffentlicht, sie heisst auf Weissrussisch «Woragi Narodu», Feinde des Volkes, klassischer Hardrock-Sound. Und sehr düster das Video. Es ist eine Collage aus den Höllenmalereien von Hieronymus Bosch und aktuellen Bildern aus Minsk, Videoschnipseln von der schwarz gekleideten Sonderpolizei. «Ohne Ironie, ohne Sarkasmus und ein bisschen Kritik geht es bei mir nicht», hat Wolski schon einmal in einem früheren Interview gesagt.

Präsident Alexander Lukaschenko nimmt an der Siegesparade anlässlich des Jahrestags des Siegs über Nazideutschland teil (9. Mai 2020).

Das Rebellische gilt ja grundsätzlich als Wesenszug von Rockmusikern. Für Ljawon Wolski ist es existenzbedrohend, allein für Freiheit und Liberalität zu singen. Wolski ist Sohn des weissrussischen Schriftstellers Artur Wolski und der russischsprachigen Dichterin Swetlana Jewsejewa, und er sagte einmal: «Ich habe die Sowjetunion nie geliebt.» Ein Gefühl wie der Berliner Mauerfall war es für ihn, als 1991 die Sowjetrepublik unabhängig wurde und Wolski auf einer grossen Bühne in Minsk stand, ein weiss-rot-weisses Fähnchen der Unabhängigkeitsbewegung an die Gitarre gesteckt, und Tausende Menschen vor sich. «Damals habe ich gedacht, wir gehen den Weg in die europäische Demokratie.» Aber als drei Jahre später Alexander Lukaschenko Präsident wurde, geriet der Musiker in schwere Zeiten.

Seine Songs sind gesellschaftskritisch, in einem autoritären Land wie Weissrussland ist das politisch zugleich.

Wolski singt fast nur auf Weissrussisch, für Lukaschenko war das damals die Sprache des Dorfs und der intellektuellen städtischen Widerständler. Der Musiker war inspiriert von den Sex Pistols und Nirvana, seine Songs mit den Bands N.R.M. oder Krambambulja sind gesellschaftskritisch, in einem autoritären Land wie Weissrussland ist das politisch zugleich. Wolski wurde abgedrängt, insgesamt zehn Jahre, verteilt auf mehrere Perioden, durfte er in Weissrussland nicht öffentlich auftreten. Stattdessen musste er von seinem nationalen, weissrussischen Zentrum aus gesehen in den Orbit ausweichen: Alben in Litauen aufnehmen, Konzerte in Polen geben, in der Schweiz, Deutschland, den USA, er trat auch auf dem Maidan auf, in Kiew 2004. In Weissrussland blieben ihm nur Grassroots-Konzerte, spontan vor ein paar Dutzend Leuten, allein mit seiner Gitarre. Dafür braucht er keine Erlaubnis.

In Stockholm ist Wolski, der eine erwachsene Tochter hat, für seinen Einsatz für Meinungsfreiheit vor vier Jahren mit dem Freemuse Award belohnt worden. Auch das Solidaritätskonzert am Wochenende in Polen war für ihn eine Auszeichnung, die in Minsk derzeit unmöglich erscheint. «Vorerst kann ich dort sicher nicht auftreten», sagt er, «die schwarze Liste ist lang.»