Ermittlungen im Nahostkonflikt Militär warnt: Hunderte Israelis könnten betroffen sein
Der Entscheid des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, offizielle Ermittlungen zu Kriegsverbrechen im Westjordanland und im Gazastreifen einzuleiten, sorgt in Israel für Empörung.
Als Verdächtige auf israelischer Seite gelten für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag noch namenlose Mitglieder der Armee und Behördenvertreter. Bei den Palästinensern richten sich die Ermittlungen gegen die Hamas und andere bewaffnete Gruppen. Israel reagiert empört. Premierminister Benjamin Netanyahu schimpfte über «reinen Antisemitismus».
Untersucht werden sollen drei Problemfelder: der siebenwöchige Gazakrieg von 2014, gewaltsame Auseinandersetzungen an der Grenze zum Gazastreifen vom Frühling 2018 an sowie der seit Jahrzehnten betriebene israelische Siedlungsbau im Westjordanland und in Ostjerusalem. Die Haager Chefanklägerin Fatou Bensouda, die im Sommer aus dem Amt scheidet, versprach, die Ermittlungen würden «unabhängig, unparteiisch, objektiv und ohne Angst oder Gefallen» durchgeführt werden.
Die «palästinensische Nuklearoption»
Der Weg für die Ermittlungen war bereits Anfang Februar geebnet worden, als ein Richtergremium die Zuständigkeit des ICC für die Palästinensergebiete bestätigte. Israel erkennt den Strafgerichtshof nicht an, ebenso wie zum Beispiel die USA, Russland oder China. Seit 2015 gehört jedoch Palästina zu den mehr als 120 Vertragsstaaten des ICC. Die palästinensische Führung in Ramallah hatte seither auf die Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen gedrungen, die im israelischen Onlineportal «Walla» als «palästinensische Nuklearoption» gegen Israel bezeichnet werden.
Entsprechend heftig fiel die Reaktion in Jerusalem aus. Netanyahu warf dem Gericht krasse Einseitigkeit vor. «Gegenüber dem Iran, Syrien oder anderen Diktaturen, die wirkliche Kriegsverbrechen begehen, zeigt sich das Gericht blind», klagte er. Zugleich verteidigte er die «heldenhaften und moralischen» Handlungen der israelischen Soldaten, die «gegen die grausamsten Terroristen der Welt kämpfen» müssten.
Unterstützung bekam der Regierungschef von Präsident Reuven Rivlin und Politikern aus der Opposition. Rivlin nannte die Ermittlungen «skandalös», niemand könne Israel das Recht auf Selbstverteidigung absprechen. Gideon Saar von der Partei Neue Hoffnung, der Netanyahu bei der anstehenden Parlamentswahl am 23. März herausfordern will, kündigte an, dass eine Regierung unter seiner Führung jede «Politisierung des internationalen Rechts» bekämpfen werde. Unterstützung bekommt Israel auch aus Washington. Der neue Aussenminister Antony Blinken sprach dem Gericht die Zuständigkeit ab, weil die Palästinenser noch keinen eigenen Staat hätten.
Allein israelische Menschenrechtsgruppen wie die Nichtregierungsorganisation B’tselem in Jerusalem begrüssten die Haager Ermittlungen. Sie seien «ein notwendiger Schritt nach Jahrzehnten, in denen Israel ungestraft Verbrechen begangen hat».
Die Hamas bezeichnet die eigenen Handlungen als «legitimen Widerstand», der vom internationalen Recht gedeckt sei.
So gewaltig die Wut auf israelischer Seite ist, so gross ist die Freude im Lager der Palästinenser. Auch ein Sprecher der Hamas, die wegen des Raketenbeschusses auf israelische Zivilisten ebenfalls im Visier der Ermittler steht, begrüsste es, dass nun «Kriegsverbrechen der israelischen Besatzung gegen unser Volk» untersucht würden. Die eigenen Handlungen bezeichnete er als «legitimen Widerstand», der vom internationalen Recht gedeckt sei.
Verteidigungsminister Benny Gantz betroffen?
Bis zu möglichen Anklagen wird es jedoch noch Jahre dauern. Den ICC-Statuten zufolge kann es dazu ohnehin nur kommen, wenn die Staaten eigene Ermittlungen verweigern. Medienberichten zufolge wurden in Israel jedoch schon Listen mit möglichen Zielpersonen der ICC-Ermittler erstellt. Verteidigungsminister Benny Gantz, der als Generalstabschef zur Zeit des Gazakriegs 2014 selbst zur Zielgruppe gehören könnte, warnte bereits, dass Hunderte Israelis betroffen sein könnten.
Dagegen spricht allerdings, dass sich der Internationale Strafgerichtshof bisher eher auf die Verfolgung Einzelner konzentriert hat. In den fast 20 Jahren seines Bestehens hat er bisher erst rund 60 Haftbefehle gegen Verdächtige erlassen.
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