Porträt des Migros-ChefsSo tickt der Mann, der mit harter Hand die Migros zurückstutzt
Mario Irminger schreckt das Land mit radikalen Entscheiden auf. Wer ist der Manager, der den grössten Arbeitgeber der Schweiz um mindestens 8000 Stellen verschlankt?
Mario Irminger grüsst mit festem Händedruck. Sein auffallend sommerlicher Teint rührt vom Wandern. In den Bergen sind die Schicksale der entlassenen Angestellten weiter weg. Zeit und Ruhe helfen dem Migros-Chef beim Verarbeiten seiner Entscheide.
Wer mit Menschen aus seinem Umfeld spricht, hört viel Positives über den Manager, der mit harter Hand den grössten Umbau der Geschichte des Detailhändlers vorantreibt. Ende Jahr wird der Konzern durch die Verkäufe und Entlassungen mindestens 8000 Stellen weniger umfassen als heute, der Umsatz sinkt um über 3 Milliarden Franken.
Irminger sei «nicht Geld- oder Ego-getrieben», sondern er wolle «einen intelligenten und erfolgreichen Job machen», sagt ein langjähriger Weggefährte.
Tatsächlich betrachtet Irminger seine Aufgabe als Dienst am Land. Die Migros sei eine Art Service-public-Unternehmen – ähnlich wie die Post oder die SBB, sagt der 59-Jährige. Bei Interviews und Treffen mit Journalisten im kleinen Kreis redet er davon, «Marktanteile zurückzugewinnen» und «die Effizienz zu erhöhen», ohne in wolkigen Manager-Sprech zu verfallen. Was er sagt, wirkt weniger akademisch als bei seinem Vorgänger, und er kann seine Zuhörerinnen emotional abholen.
Auch intern spreche er offen an, wenn etwas schlecht laufe, sagt eine Auskunftsperson. «Glasklare Kommunikation ist Neuland für die Migros, tut aber gut.»
Job bei der Migros lässt keine Zeit zum Duschen
Vom Wesen her sei Irminger eher Macher und Stratege, und weniger Diplomat, heisst es. Dabei ist sein Job eine Art Eiertanz. Als Präsident des Migros-Genossenschaftsbunds, kurz MGB, führt er eine Art Service-Holding, was mit Prestige verbunden ist. Irminger gilt zumindest gegen aussen als der unumstritten stärkste Mann im Konzern. Doch in der föderalen Firmenstruktur ist er den Chefs der regionalen Genossenschaften nicht über-, sondern untergeordnet, denn sie sind die Besitzer des MGB.
«Ich bewundere, dass er diesen Job angenommen hat – in seinem Alter hätte er auch sagen können, er tue sich das nicht mehr an», sagt ein Konzernchef, der mehrere grosse Schweizer Firmen geführt hat. «Ich an seiner Stelle hätte abgelehnt.»
Bei seiner Ernennung wusste Irminger, wie schwierig es werden würde. Aus seinen 13 Jahren bei Denner – zuerst als Finanzchef, dann als Unternehmenschef – kannte er die Migros-Komplexität. Er wusste auch, dass Peter Diethelm, damals Chef der Genossenschaft Ostschweiz, mit grosser Wahrscheinlichkeit Chef der Supermarkt AG werden würde, und damit mit ihm sozusagen auf Augenhöhe wäre.
Komplizierte Probleme zu bewältigen – das treibt Irminger an. Früher bei Denner grübelte er jeweils auf der Fahrt mit dem E-Bike ins Büro über Lösungen. Doch bei der Migros gibt es so viel zu tun, dass er vor der Arbeit nicht duschen kann und deshalb das Auto nehmen muss.
Bei Denner importierte er Cola aus Tschechien
Bei Denner hat Irminger bewiesen, was er kann. Er entstaubte den als schmuddelig geltenden Discounter, installierte neue Leute in der Geschäftsleitung und machte mit Preissenkungen bei Markenprodukten wie Gillette und Pampers durch Parallelimporte von sich reden. Besonders in Erinnerung: Wie er günstiges Coca-Cola aus Tschechien über die Grenze holte.
Ausserdem brachte er 2016 als erster Schweizer Grossverteiler IP-Suisse-Produkte in die Regale. Inzwischen ist nicht mehr Denner, sondern die Migros die grösste Partnerin des Marienkäfer-Labels. Irminger will, dass das so bleibt.
Als früherer Wirtschaftsprüfer liegen ihm Daten und Zahlen, doch nicht nur. Erfahrung vor Ort ist ihm wichtig. Ein- bis zweimal in der Woche kauft Irminger, der mit seiner Partnerin in Oberrieden im Kanton Zürich wohnt, Lebensmittel ein. Er geht in die Migros, aber auch zu Coop, Aldi und Lidl, um verschiedene Ladenkonzepte zu vergleichen.
Da Irminger nur beschränkt Durchgriff auf die Genossenschaften hat, versucht er, über Argumente Einfluss zu nehmen. Den Regionalfürsten zeigte er auf, dass ihre Gewinne weiter unter den schlecht laufenden Fachmärkten leiden werden, sodass sie am Ende bereit waren, bekannte Formate wie M-Electronics, SportX und Micasa zu verkaufen. Auch beim Entscheid der Migros Zürich, das Luxus-Gastrokonzept «The Bridge» einzustellen, hatte Irminger als Impulsgeber die Finger im Spiel. Gut möglich, dass es bei der hoch defizitären deutschen Supermarktkette Tegut ähnlich laufen wird.
Hohe Anforderungen an Angestellte
Wer so viel Gas gibt, fordert dies auch von seinen Angestellten. Das war schon bei Denner so. «Wenn Leute unvorbereitet in die Sitzung kamen oder am Smartphone rumdrückten statt zuzuhören, nahm er sie gnadenlos dran», erinnert sich Paloma Meier-Martino. Sie hat als ehemalige Denner-Kommunikationschefin eng mit ihm zusammengearbeitet. Irminger habe seine Unzufriedenheit unmissverständlich gezeigt und falls jemand wiederholt nicht die gewünschte Leistung bieten konnte, sei es zu Entlassungen gekommen.
Bei der Migros zeichnet sich Ähnliches ab: Irminger lege Wert darauf, dass jeder Einzelne ein klares Aufgabengebiet habe, damit man «im Fall von Fehlern jederzeit den Schuldigen beziehungsweise den Verursacher zur Rechenschaft ziehen kann», sagt eine interne Person.
Wie unzimperlich Irminger sein kann, hat Anne Rubin von der Gewerkschaft Unia erlebt. Sie erinnert sich an ein «sehr angriffiges» Onlinegespräch. Der Migros-Chef habe den Unia-Leuten nicht einmal die Zeit gelassen, sich vorzustellen. «Irminger war zack, zack, hart und patriarchalisch wie ein Vater, der seinen Kindern mit der Moralkeule eine Lektion erteilen will.»
Rubin versteht, dass Irminger keine grosse Freude an der Unia hat. «Wir haben die Migros dafür kritisiert, dass sie Leute entlässt und das Personal zu wenig einbindet, das ist unsere Aufgabe.» Sie erwartet «ein gewisses Mass an Anstand» und dass Irminger die Anliegen der grössten Gewerkschaft des Landes zumindest anhöre, wie es alle seine Vorgänger getan hätten.
Verarmungsthese sorgt für Unverständnis
Andere sind ebenfalls unsicher, ob alles gut kommt. Da Irminger die Migros in Richtung der Discounter Aldi und Lidl entwickeln will, fragen sich Kunden, ob die Artikel in den Regalen weiterhin die hohen ökologischen und sozialen Standards erfüllen werden. Und aus den Reihen der Mitarbeitenden heisst es: «Der Denner-Blick des neuen Managements und die rein betriebswirtschaftliche Optik passen nicht zur Migros.»
Tatsächlich ist aus Irminger ab und zu weiterhin der frühere Denner-Chef zu hören. Wenn er bei Gesprächen über die Leistung von Produkten spricht, kommen ihm die Denner-Artikel eher in den Sinn als jene der Migros.
Auch dass Irminger von einer schleichenden Verarmung des Landes ausgeht, sorgt für Unverständnis. Die «Handelszeitung» kommt zum Schluss, der Migros-Chef übertreibe in seiner Prognose. «Berücksichtigt man die Vermögen, die Kapitaleinkommen und die Rentenansprüche jener, die jetzt in Pension gehen, ist nicht mit einem bedeutenden Kaufkraftschwund zu rechnen.»
Wenn dereinst die Migros auch im Wallis und im Tessin zeitgemässe Filialen hat und sie bei Preisvergleichen wieder oben ausschwingt, ist Irmingers Mission erfüllt. Dann könnte er nicht nur als der Mann in die Geschichte eingehen, der die Migros zurückstutzt, sondern als jener, der sie wieder auf Kurs gebracht hat.
Doch reichen die bisherigen Schritte aus? Im nächsten Jahr will die Detailhändlerin ihr 100-jähriges Bestehen feiern und möglichst wenig Negativschlagzeilen provozieren. Deshalb macht Irminger vorwärts. Er ist nämlich nicht nur ein fordernder Manager, sondern lässt auch das Gesellschaftliche nicht zu kurz kommen.
«Er plante Apéros und machte an der Kaffeemaschine gern ein Spässchen», erinnert sich Meier-Martino an die Zeit bei Denner. Irminger sei auch «kein Berater mit Heuschreckenmentalität», er habe ein gutes Sensorium, wie weit er gehen könne, und: «Er wird das Dutti-Erbe nicht auf dem McKinsey-Altar opfern.»
Das hoffen viele. Gleichzeitig gilt Irminger als sehr konsequenter Mensch. Wenn er etwas festlegt, zieht er es durch. So jedenfalls machte er es bei Denner.
Tegut ist keine Biomarkt-, sondern eine Supermarktkette. Wir haben diesen Fehler am 14. Juli um 20.45 Uhr korrigiert.
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