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Migration in Deutschland
Weniger Geld, schnellere Verfahren – Berlin verschärft sein Asylregime

German Chancellor Olaf Scholz (C), Lower Saxony's State Premier Stephan Weil (L) listen as Hesse's State Premier Boris Rhein speaks during a joint press statement on the occasion of a conference of Germany's state premiers (MPK) and ministers at the Chancellery in Berlin on November 6, 2023. (Photo by Tobias SCHWARZ / AFP)
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Es war mal wieder ein langer Tag in Berlin. Fast 17 Stunden haben die Ministerpräsidenten der Bundesländer zunächst untereinander, dann mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz verhandelt. Bis 2.30 Uhr rangen sie um Kompromisse. Die wichtigsten Beschlüsse im Überblick.

Migration

Seit Anfang 2022 sind etwa 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen, und jeden Tag reisen auf illegalem Weg etwa 1000 weitere ins Land. Scholz und die Ministerpräsidenten möchten diese «irreguläre Migration» zurückdrängen und Asylverfahren beschleunigen. Das soll insbesondere die Kommunen entlasten, aber auch der AfD den Wind aus den Segeln nehmen.

Der grösste Streitpunkt in den Verhandlungen war das Geld. Die Länder und Kommunen hatten eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Flüchtlingskosten verlangt und zusätzlich zu den für 2024 bereits zugesagten 1,25 Milliarden Euro noch eine jährliche Pro-Kopf-Pauschale von 10'500 Euro gefordert. Mit Scholz einigten sie sich letztendlich auf 7500 Euro. Dieses «atmende System» bedeutet für die Länder nach Worten des Bundeskanzlers: «Mit steigenden Zahlen gibt es mehr Geld, mit sinkenden weniger.»

Kosten sparen und gleichzeitig mögliche Anreize senken wollen Bund und Länder mit Kürzungen bei Leistungen für Asylbewerber. Sie sollen künftig nicht mehr nach 18, sondern erst nach 36 Monaten sogenannte Analogleistungen erhalten, die in der Höhe dem Bürgergeld entsprechen. Vorher bekommen sie oft Sachleistungen. Zudem sollen Flüchtlinge in Asylunterkünften weniger erhalten. Die Pro-Kopf-Pauschale und die Anpassungen bei den Leistungen sollen laut Beschlusspapier im kommenden Jahr zu einer Entlastung bei Ländern und Kommunen von rund 3,5 Milliarden Euro führen – basierend auf den Migrationszahlen dieses Jahres.

Anreize senken wollen Bund und Länder auch, indem sie Barauszahlungen an Leistungsempfänger einschränken und dafür eine Bezahlkarte einführen. So soll vermieden werden, dass Migranten Geld in ihre Heimatländer schicken.

Scholz und die Ministerpräsidenten vereinbarten ausserdem, dass die Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz, die eigentlich Mitte November auslaufen, beibehalten werden, um Schleuserkriminalität zu bekämpfen.

Eine Überraschung gibt es bei der Frage nach Asylverfahren ausserhalb der Europäischen Union. Diese hatte Kanzler Scholz in den vergangenen Tagen skeptisch gesehen, gab seine Zurückhaltung während des Gipfels aber offenbar auf. Die Bundesregierung will nun prüfen, ob der Schutzstatus von Geflüchteten künftig auch in Transit- oder Drittstaaten festgestellt werden kann. Dabei sollen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention geachtet werden. Welche Länder dafür infrage kommen, ist noch unklar.

Die Theorie hinter der Idee: Allein schon die Aussicht auf ein Verfahren in einem ganz anderen Land, etwa in Afrika, soll Migranten von der gefährlichen Flucht über das Mittelmeer und weiter nach Deutschland abhalten. In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP bereits vereinbart, ein solches Vorgehen «in Ausnahmefällen» zu prüfen. Diese Prüfung läuft noch.

Generell wollen Bund und Länder bei Asylverfahren schneller werden: Kommen Geflüchtete aus Staaten mit einer niedrigen Anerkennungsquote von unter 5 Prozent, strebt die Runde an, Asyl- und anschliessende Gerichtsverfahren innerhalb von jeweils drei Monaten abzuschliessen. Kommen die Menschen aus anderen Staaten, soll es nicht länger als je sechs Monate dauern. Das wäre um einiges schneller als bislang. In manchen Bundesländern liegt die tatsächliche Verfahrensdauer derzeit bei etwa drei Jahren.

Der Familiennachzug wird nicht ausgeweitet, wie es die Ampel laut Koalitionsvertrag eigentlich tun wollte. Von Einschränkungen, wie es die Länder gefordert hatten, ist im Beschlusspapier allerdings nicht die Rede.

Diejenigen, die schon hier sind und eine rechtlich gesicherte Bleibeperspektive haben, wollen Bund und Länder zügiger in Arbeit bringen. Das sehen sie als besten Weg «für mehr Akzeptanz und schnellere Integration» und verweisen auch auf den Arbeitskräftemangel in Deutschland.

Planungsbeschleunigung

Ein Punkt, der angesichts des Streits um Migration und Finanzen in der öffentlichen Wahrnehmung fast untergehen könnte, ist die Einigung auf einen «Pakt für Planungs- Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung». Was sperrig klingt, soll dafür sorgen, dass es im Bürokratieland Deutschland künftig schneller vorangeht, etwa beim Bau von Windrädern, Stromtrassen, Bahnstrecken und Wohnungen.

Insbesondere im Verfahrensrecht will die Politik ansetzen. Beteiligte wie Bürger und Umweltverbände sollen früher und digitaler eingebunden werden, aufwendige Genehmigungsverfahren bei manchen Projekten vereinfacht oder gar gänzlich weggelassen werden. Zudem sollen einzelne Verfahrensschritte häufiger parallel ablaufen und Fristen verkürzt werden. In geeigneten Fällen sollen Anträge nach Fristablauf als genehmigt angesehen werden, auch wenn die Behörde noch gar nicht darüber entschieden hat.

Häufig verzögern sich Bauprojekte bislang wegen umweltrechtlicher Vorgaben. Gutachten und Umweltdaten sollen künftig in digitalen Datenbanken erfasst werden und in vergleichbaren Fällen genutzt werden können. Beim Artenschutz wollen Bund und Länder einheitliche Standards in den Bereichen Schiene, Energieinfrastruktur, Strasse und Industrieanlagen einführen. Umweltverbände sind skeptisch: Sie warnen, mühsam errungene Standards könnten unter die Räder kommen.

Beim Ausbau der Energieinfrastruktur will der Bund die Rechte von Grundstückseigentümern einschränken. Diese sollen gegen Entschädigung dulden müssen, dass ihr Grundstück genutzt wird, um Leitungen zu verlegen, mit denen Anlagen für erneuerbare Energie an das allgemeine Stromnetz angeschlossen werden. Um Planung und Genehmigung von Bahntrassen zu beschleunigen, soll beim Aus-, Neu- und Ersatzbau von Schieneninfrastruktur die grundsätzliche Annahme gesetzlich verankert werden, dass ein überragendes öffentliches Interesse besteht.

Deutschland-Ticket

Beim Deutschland-Ticket, dem 49 Euro teuren Nachfolger des 9-Euro-Tickets aus dem vergangenen Sommer, haben sich Bund und Länder auf kleine Schritte zur Finanzierung geeinigt. Beide Seiten wollen das Projekt fortsetzen und auch 2024 je 1,5 Milliarden Euro zuschiessen, um Einnahmeausfälle bei den Verkehrsunternehmen auszugleichen. Die von den Ländern geforderte Zusage, darüber hinaus gehende Kosten wie schon 2023 zur Hälfte zu tragen, gibt der Bund nicht. Stattdessen verständigten sich Kanzler und Ministerpräsidenten darauf, in diesem Jahr nicht verbrauchte Mittel für 2024 einzusetzen. Sie wollen vermeiden, weitere Gelder nachschiessen zu müssen.

Die Verkehrsminister sollen beauftragt werden, ein Konzept zur Realisierung des Tickets ab dem kommenden Jahr vorzulegen. Dass im Zuge dessen der Ticketpreis von derzeit 49 Euro erhöht wird, ist nicht ausgeschlossen.