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Proteste in Mexiko
López Obrador will noch rasch die Justiz auf den Kopf stellen

A young woman disguised as Justice takes part in a protest against the judicial reform proposed by the government, in Mexico City on September 8, 2024. Mexico's outgoing President Andres Manuel Lopez Obrador warned the Supreme Court against blocking his controversial judicial reforms, saying it would be a "flagrant violation" of the constitution. The proposals, which would see Supreme Court and other judges selected by popular vote, have sparked diplomatic tensions with the United States, prompted protests by opponents, and upset financial markets. (Photo by Silvana FLORES / AFP)
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Wenn Mexikos Senat diese Woche zusammentritt, um abermals über ein höchst umstrittenes Reformvorhaben zu diskutieren, dann geht es nicht nur um Neuerungen, Paragrafen, Verordnungen oder um Vorschriften. Es gehe, sagen Kritiker, ums grosse Ganze, um das Justizsystem, die Demokratie – um die Zukunft der gesamten Nation.

Mexiko ist das grösste spanischsprachige Land der Welt und die zweitgrösste Volkswirtschaft Lateinamerikas. Nur alle sechs Jahre wechselt die Regierung, am 1. Oktober muss der derzeitige Staatschef Andrés Manuel López Obrador den Präsidentenpalast räumen. Der Linkspopulist, der nach seinen Initialen meist nur AMLO genannt wird, ist extrem beliebt im Land. Eine zweite Amtszeit hätte er wohl mit Leichtigkeit gewonnen, dies aber verbietet die Verfassung. Und so macht sich AMLO nun bereit abzutreten, doch zuvor will er sein vermutlich grösstes politisches Vermächtnis auf den Weg bringen: eine Justizreform, die die Welt wohl so noch nicht gesehen hat.

Richter gelten als korrupt, Gerichte als Diener der Reichen

In Mexiko werden Richter derzeit vor allem aufgrund ihrer Qualifikationen ernannt, wegen ihrer Abschlussnoten zum Beispiel, aber auch ihrer Berufserfahrung oder ihrer Zusatzqualifikationen. Alle diese Punkte sollen in Zukunft in Mexiko aber nur eine Nebenrolle spielen. Denn statt ernannt zu werden, könnten Richter schon ab nächstem Jahr von der Bevölkerung gewählt werden, und das nicht nur auf lokaler, sondern auch auf Bundesebene. Sogar die Richter am obersten Gerichtshof müssten in Zukunft für ihre Posten bei Volksabstimmungen kandidieren.

Die Reform, so hat AMLO immer wieder betont, käme allen Mexikanern zugute: «Sie soll sicherstellen, dass es einen echten Rechtsstaat gibt.» Dass es einige grundlegende Änderungen im Justizsystem braucht, steht ausser Frage. Drogenbanden kontrollieren weite Teile von Mexiko, und allein im vergangenen Jahr gab es mehr als 30’000 Morde. Viele Verbrechen werden nicht angezeigt, die wenigsten aufgeklärt und nur ein Bruchteil der Täter verurteilt und bestraft. Richter gelten als korrupt, und Gerichte stehen im Ruf, vor allem einer reichen Elite zu dienen.

epa11584986 Mexico President Andres Manuel Lopez Obrador speaks during the morning press conference at the National Palace in Mexico City, Mexico, 04 September 2024. Lopez Obrador denied that he had spoken with his Colombian counterpart, Gustavo Petro, about the Venezuelan elections and did not make it clear whether he would speak with him and the Brazilian Lula Da Silva, as Colombian Foreign Minister Luis Gilberto Murillo had anticipated.  EPA/Sashenka Gutierrez

Die Reform soll nun dafür sorgen, dass die Mexikaner wieder Vertrauen fassen in das Justizsystem des Landes. Weil die Bürger Menschen wählen würden, die sie kennen, oder von denen sie dann zumindest wüssten, dass sie ihren Posten nicht durch irgendwelche undurchsichtigen Auswahlverfahren erhalten haben, sondern dank dem Willen des Volkes. So weit zumindest die Theorie.

Auch in der Schweiz werden die Richter gewählt

Kritiker sagen aber, dass aktuelle Probleme durch die Veränderungen nicht nur nicht gelöst, sondern sogar noch verschlimmert würden. Denn gibt es derzeit noch lange Listen mit Anforderungen an künftige Richter, so könnten in Zukunft auch Bewerber mit einem einfachen Jurastudium und nur ein paar Jahren Berufserfahrung für die Posten kandidieren. Gerichte würden politisiert werden, und Parteien könnten versuchen, ihre Kandidaten durchzusetzen, die dann wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit im Sinne der Politiker entscheiden würden.

Tatsächlich gibt es weltweit nur wenige Beispiele von Ländern, in denen Richter gewählt und nicht ernannt werden. In der Schweiz werden sie auf Kantonsebene von den Bürgern bestimmt, ebenso wie es in den USA einige Bundesstaaten gibt, in denen Richter gewählt werden. In Japan wiederum werden die Richter des obersten Gerichtshofs von der Regierung ernannt, alle zehn Jahre müssen sie aber in einem Volksreferendum legitimiert werden.

Einflussreiche Politiker könnten ihre Macht weiter ausbauen

Am ehesten vergleichbar sind die Pläne der mexikanischen Justizreform mit dem System in Bolivien: Seit 2009 werden dort alle Spitzenämter in der Justiz per Volksbefragung bestimmt, was auch das Verfassungsgericht und den obersten Gerichtshof einschliesst. Dabei wird vom Kongress im Vorfeld allerdings eine Liste mit Kandidaten ausgearbeitet, über die das Volk dann in einem zweiten Schritt abstimmt.

Das hat in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen geführt. Kritiker warfen der Regierungspartei Movimiento al Socialismo vor, bei der Auswahl der Kandidaten intransparent und parteiisch gewesen zu sein. Und mittlerweile ist auch in der Regierung selbst ein erbitterter Machtkampf ausgebrochen um die Kontrolle der bolivianischen Justiz.

Die Sorge ist nun gross, dass Ähnliches auch in Mexiko passieren könnte. Ohnehin einflussreiche Politiker könnten Gerichte dazu nutzen, ihre Macht auszubauen. Wirtschaftsverbände schlagen Alarm, die Landeswährung Peso stürzte in den vergangenen Tagen massiv ab.

Demonstranten blockieren den Kongress

Dazu treibt die Reform schon seit Wochen im ganzen Land Gegner auf die Strasse. Es gab immer wieder grosse Proteste und Streiks. Und als vergangene Woche das mexikanische Unterhaus über das Vorhaben abstimmte, musste ein Teil der Diskussion sogar in einer nahe gelegenen Sporthalle stattfinden, weil Abgeordnete nicht an den Demonstranten vorbei in den Kongress kamen.

Nach einem Erdrutschsieg bei den vergangenen Parlamentswahlen im Juni hat die Regierungspartei Morena dort allerdings äusserst komfortable Mehrheiten in beiden Kammern. Das Unterhaus hat das Reformvorhaben bereits ohne grössere Probleme passiert, nun steht noch das Oberhaus an – und dort fehlt der Regierung und ihren Verbündeten lediglich eine einzige Stimme.