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Verleumdungsprozess Depp vs. Heard
#MeToo mit umgekehrten Vorzeichen

Vor Gericht beschreibt Johnny Depp, wie er sich vor Amber Heard schützen wollte.
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Es ist die Rolle seines Lebens. Mit schleppendem Bariton, die Stimme immer wieder stockend, schilderte Johnny Depp am Mittwoch im Verleumdungsprozess in Virginia seine explosive Beziehung zu Amber Heard. Stundenlang kämpfte er sich durch seine Aussage, deren Brisanz sich mit jeder Minute steigerte. Einmal mehr bestritt Depp, jemals eine Frau geschlagen zu haben, und schilderte stattdessen Heard als eigentliche Aggressorin.

Damit entwickelt sich der Prozess in Virginia immer mehr zu einem #MeToo-Fall mit umgekehrten Vorzeichen. Er hat das Potenzial, eine bislang versäumte öffentliche Diskussion anzuschieben. Das Schauspiel ist atemberaubend: Da ist einerseits die Intimität der Details, die preisgegeben und aus dem Gerichtssaal live in die Welt übertragen werden. Depp erzählte, wie Heard immer wieder körperlich auf ihn losging, ihn physisch und psychisch misshandelte. Mit dem Höhepunkt, als Depp schilderte, wie er damals in Australien seine Fingerkuppe verlor. Bislang vermutete man, er habe sich im Alkohol- und Drogenrausch selber verletzt.

Auf Audio-Aufnahmen räumt Heard ein, Depp geschlagen zu haben.

Heard habe an diesem Abend mit zwei vollen Wodkaflaschen nach ihm geworfen, wobei eine seine auf einer Kante ruhende Hand traf. Heard sei die eigentliche Aggressorin gewesen, hiess es, was seine Anwälte mit verschiedenen Audio-Aufnahmen belegten. Darauf räumt Heard ein, ihn geschlagen zu haben. Gleichzeitig aber fordert sie, er solle deswegen nicht so wehleidig sein, er sei doch kein Baby. Und Heard, die am Dienstag seinen Aussagen noch vollkommen gefasst und stoisch lauschte, brach bei diesen Erzählungen in Tränen aus.

Heards Version ist höchstens die halbe Wahrheit

Für allfällige Prognosen zum Ausgang des Prozesses, der noch Wochen dauern wird, ist es zu früh. Doch wurde am Mittwoch eines klar: Es gibt in diesem Fall noch eine ganz andere, bisher ungehörte Wahrheit. Depp erzählt sie, ganz der Schauspieler, mit Bedacht, gibt sich demütig, zurückhaltend, scheu. Das ist natürlich narzisstisch, überzeugend wirkt er dennoch, zumal er auf den im Gerichtssaal abgespielten Audio-Aufnahmen ihrer Auseinandersetzungen genau so bedächtig und ruhig spricht wie im Gerichtssaal auch. Heard hingegen ist auf den Aufnahmen ganz offensichtlich ausser sich, beinahe hysterisch.

Heards Behauptung, sie habe von Depp Gewalt erlitten, erwies sich somit gestern höchstens als halbe Wahrheit. Auch sie hat zu diesem Drama, das sie der Weltöffentlichkeit im Rahmen von #MeToo als reine Opfergeschichte präsentierte, ihren Teil beigesteuert. Auch sie war gewalttätig, physisch und psychisch, vor allem aber akzeptierte sie nicht, wenn er sich aus eskalierenden Situationen zu entfernen versuchte. Sie sei «süchtig nach Streit», behauptete Depp, und die Aufnahmen zeigen, dass das nicht aus der Luft gegriffen sein kann. Somit trägt sie eine Mitverantwortung, die bislang ausgeblendet wurde.

Besondere Verantwortung bei #MeToo-Geschichten

Doch während er nach ihren öffentlichen Anschuldigungen alles verlor, erlebte ihre Karriere einen Schub, sie wurde als «Überlebende» gefeiert und bemitleidet. Die Frage nach ihrer Verantwortung blieb man schuldig.
Und damit sind wir beim Kern vieler #MeToo-Geschichten. So zerstörerisch sie sich jeweils für die Angeschuldigten auswirken, so wenig darf nach der Verantwortung auch der vermeintlichen Opfer gefragt werden.

Diese Tendenz erklärt sich zwar aus der unrühmlichen Geschichte im Umgang mit Vorwürfen sexueller Gewalt. Doch sie ist fatal, umso mehr angesichts der Durchschlagskraft, die solche Vorwürfe heute entwickeln. Eindrücklich schilderte Depp etwa, wie die von Heard in die Welt gesetzten Geschichten sich in Windeseile verselbstständigten, sich stetig weitermultiplizierten und nicht mehr hinterfragt wurden. Plötzlich galt er als saufendes, prügelndes und drogenabhängiges Monster, von dem sich die ganze Industrie, mit Ausnahme einiger weniger Freunde, abwandte. 

Ein Zurück kann es für beide nicht geben. Der Prozess wird für immer seinen Schatten auf Depps Zukunft werfen. Selbst wenn er recht bekommen sollte, wird er nach diesem Auftritt vor Gericht als Schauspieler kaum mehr reüssieren. Das dürfte ihm vollkommen bewusst sein, doch er tue das Ganze nicht für sich, sondern für seine Kinder. «Ich habe es als meine Verantwortung angesehen, nicht nur für mich einzutreten, sondern auch für meine Kinder», sagte er gestern. Und natürlich für die Gerechtigkeit, der in diesem Fall noch nicht Genüge getan wurde.