Unwetterkatastrophe in DeutschlandMerkel verspricht Milliardenhilfe
Drei Tage nach den Sturzfluten wird das Ausmass der Schäden sichtbar. Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich bei einem Besuch erschüttert und stellt schnelle und lang anhaltende Unterstützung in Aussicht.
«Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für diese Verwüstung.» Angela Merkel rang sichtlich um Worte, nachdem sie am Sonntag in schönstem Sonnenschein das Eifel-Dorf Schuld besucht hatte, das von einem wild gewordenen Flüsschen namens Ahr am Donnerstag fast komplett zerstört worden war. Sie bezeichnete das Gesehene als «surreal und gespenstisch».
Die verwüsteten Dörfer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wieder aufzubauen, sei nun eine Aufgabe für ganz Deutschland. «Wir müssen schnell handeln, aber auch mit langem Atem», sagte Merkel an der Seite der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Soforthilfe fliesse bereits, am Mittwoch werde die Bundesregierung überdies ein Hilfspaket schnüren, das auch Milliarden für den langfristigen Wiederaufbau umfasse. Glücklicherweise sei Deutschland «ein starkes Land», das sich dies leisten könne.
Abgesehen von der Nothilfe und dem Wiederaufbau, müsse man künftig den Klimaschutz schneller vorantreiben, «als wir das in den letzten Jahren gemacht haben», so Merkel. Deutschland müsse sich aber auch stärker an den Klimawandel anpassen, der bereits eingetreten sei – unter anderem durch besseren Katastrophen- und Hochwasserschutz.
Allein im Landkreis Ahrweiler, zu dem das Dorf Schuld gehört, starben in den historischen Sturzfluten vom letzten Donnerstag 110 Menschen, 670 wurden verletzt. Die technische Infrastruktur, die an der Ahr vor Hochwasser warnen sollte, wurde laut den Behörden in der Nacht quasi auf einen Schlag zerstört – Alarme blieben deswegen vielerorts aus. Beim Hochwasser 2016, als bereits Menschen durch Helikopter von ihren Dächern gerettet werden mussten, sei die Ahr 3,60 Meter hoch geflossen, sagte Helmut Lussi, der Bürgermeister von Schuld. «Diesmal stand die Ahr bei 8,87 Metern.»
Am Samstag hatte bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Katastrophengebiete in Nordrhein-Westfalen besucht, begleitet von Ministerpräsident Armin Laschet. Den Betroffenen sagte Steinmeier: «Ihr Schicksal zerreisst uns das Herz.» Vielen Menschen sei nichts geblieben als ihre Hoffnung. «Diese Hoffnung dürfen wir nicht enttäuschen.» Laschet sprach von einer «Jahrhundertkatastrophe».
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Vielen Deutschen blieb von dem Auftritt allerdings eher ein peinlicher Moment in Erinnerung, der Laschet im Hintergrund Steinmeiers zeigte, wie er mit Umstehenden lachte und feixte. Wenig später entschuldigte sich der Kanzlerkandidat der Union für den Fauxpas. Das Schicksal der Betroffenen liege ihm sehr am Herzen, so Laschet. Die Heiterkeit sei in einer Gesprächssituation entstanden, aber völlig unpassend gewesen. Sie tue ihm leid.
SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz kündigte derweil einen «nationalen Kraftakt» an, um die Unwetterschäden wiedergutzumachen. Diese liegen laut der deutschen Versicherungswirtschaft in einer «neuen Dimension». Scholz rechnet mit Soforthilfe von mindestens 300 Millionen Euro und Wiederaufbauhilfe von mehreren Milliarden. Häuser, Strassen, Brücken oder Kanalisationen sollen möglich schnell wiederhergestellt werden.
Überwältigend ist bereits jetzt die private Hilfs- und Spendenbereitschaft in ganz Deutschland. Supermärkte in den Katastrophengebieten verschenkten Lebensmittel, Elektronikmärkte mobile Ladegeräte für Handys. Spediteure schickten Sattelschlepper, um Trümmer und Müll wegzubringen, Bauern rückten mit Traktoren und Motorsägen an, um Balken, Bäume oder Autos wegzuräumen.
Tausende von Freiwilligen halfen über das Wochenende allein im Kreis Ahrweiler bei den Aufräumarbeiten, Hunderte weitere wurden weggeschickt, weil man im Moment nicht wusste, wo man sie hätte einsetzen können. Eine Frau in der Stadt Neuenahr sagte im Fernsehen, sie habe keine Ahnung, wer die Menschen seien, die gerade ihr Häuschen vom Schlamm befreiten. Sie sei einfach froh, dass sie da seien.
Bereits 160 Todesopfer
Die Spenden an Kleidern, Bettwaren oder Spielzeug waren so üppig, dass vor Ort die Lager längst «überquellen», wie lokale Behörden sagten. Wer helfen wolle, spende deswegen derzeit am besten Geld, empfahl Merkel. Oder komme im August oder September wieder, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit etwas verflogen sei. Sie werde jedenfalls Ende August ins Tal der Ahr zurückkehren, um sich nochmals umzusehen.
Bis Sonntagabend wurden in den deutschen Hochwassergebieten fast 160 Todesopfer gezählt. Weitere Unwetter hatten in der Nacht auf Sonntag zu Überschwemmungen auch in Oberbayern und in der Sächsischen Schweiz geführt.
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