Analyse zum Post-Vac-SyndromMenschen, die an schweren Impffolgen leiden, haben mehr Solidarität verdient
Dass eine Covid-Impfung in seltenen Fällen Langzeitfolgen haben kann, ist unbestritten. Doch die Diskussion um die Nebenwirkungen schürt auch die Angst vor der Impfung und senkt die Impfbereitschaft.
Sie zeigten sich solidarisch – und sind nun die Geprellten. Sie liessen sich gegen Covid impfen, obwohl sie – die meisten Betroffenen sind junge Frauen – selber nur ein sehr kleines Risiko hatten, schwer zu erkranken. Doch nach der Impfung gingen bei ihnen die Kopfschmerzen, die Erschöpfungszustände, die Konzentrationsstörungen einfach nicht weg, sie wurden teils völlig aus dem Leben geworfen. Und vor allem: Bis heute werden die Betroffenen kaum ernst genommen. Wer kennt schon das Post-Vac-Syndrom? Es gibt nur wenige Anlaufstellen, wo sie Hilfe erhalten können. Weder beim Bundesamt für Gesundheit noch bei Swissmedic ist Post-Vac ein Thema. Dass die Gesellschaft so unsolidarisch ist mit ihnen, die sich ja als Impfwillige solidarisch zeigten, daran verzweifeln viele Betroffene.
Keine Frage, die Covid-Impfung ist nicht «nebenwirkungsfrei», wie dies der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach einst behauptet hatte. Heute bestreitet niemand mehr, dass sie schwere Nebenwirkungen haben kann. Am besten dokumentiert ist das erhöhte Risiko für Herzmuskelentzündungen (Myokarditiden), von denen hauptsächlich junge Männer betroffen sind. Ebenso klar ist allerdings auch, dass schwere Impffolgen selten bis sehr selten sind und dass die allermeisten Symptome nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 weit häufiger auftreten als nach der Impfung.
Beim Post-Vac-Syndrom wird es schwieriger. Hierzu gibt es kaum Studien. Selbst Bernhard Schieffer, Arzt an der deutschen Uni Marburg, der bisher am meisten Post-Vac-Patientinnen und -Patienten im deutschsprachigen Raum behandelt hat, kann die Häufigkeit nur grob abschätzen. Er geht von einem Fall pro 5000 bis 10’000 Geimpfte aus. Zum Vergleich: Nach einer durchgemachten Covid-Infektion leiden rund 5 bis 10 Prozent an Long Covid – das sind rund 200- bis 1000-mal mehr als bei Post-Vac. Was die Symptome betrifft, sind die beiden Langzeit-Syndrome Long Covid und Post-Vac kaum zu unterscheiden.
Es ist sehr schwierig, abzuschätzen, ob zwischen dem Auftreten von Symptomen in den Tagen nach einer Impfung nur ein zeitlicher oder wirklich ein kausaler Zusammenhang besteht.
Kommt hinzu, dass diverse Faktoren eine Post-Vac-Diagnose erschweren. So muss zum einen mit aufwendiger Diagnostik ausgeschlossen werden, dass eine Covid-Infektion die Symptome ausgelöst hat – und nicht die Impfung. Dann ist es sehr schwer abzuschätzen, ob zwischen dem Auftreten von Symptomen in den Tagen nach einer Impfung nur ein zeitlicher oder wirklich ein kausaler Zusammenhang besteht, also ob nicht doch ein anderer Auslöser für die Symptome infrage kommt. Das alles mag mit ein Grund dafür sein, dass Post-Vac bis heute kein anerkanntes Krankheitsbild ist.
Trotzdem: Dass nach einer Covid-Impfung schwere Nebenwirkungen und auch Post-Vac auftreten können, das bestreitet heute kaum jemand. Zumal es mittlerweile auch einige plausible Hypothesen gibt, wie Post-Vac entstehen kann: Autoantikörper könnten dabei eine Rolle spielen; oder das bei der Impfung gebildete Spike-Protein des Virus; oder durch die Impfung aufgeweckte, im Körper schlummernde Keime wie das Epstein-Barr-Virus; oder auch bestehende, ruhende Autoimmunerkrankungen, die durch die Impfung wieder aufflammen können.
Die Diskussion um die Langzeit-Impffolgen ist definitiv kein Booster für die Impfbereitschaft der Bevölkerung.
Klar ist aber auch: Die Diskussion um die Langzeit-Impffolgen ist definitiv kein Booster für die Impfbereitschaft der Bevölkerung – sie bewirkt eher das Gegenteil und schürt die Angst vor Nebenwirkungen. Dabei geht oft vergessen, dass die Covid-Impfung allein im Jahr 2021 weltweit geschätzt 20 Millionen Menschen vor dem Tod bewahrt hat und dass das Virus bei uns, trotz noch immer vielen Infektionen, gerade wegen der Impfung den Schrecken verloren hat. Selbst der Post-Vac-Arzt Schieffer warnt entschieden davor, sich aus Angst vor Nebenwirkungen nicht impfen zu lassen – weil eben Long Covid nach einer Infektion so viel häufiger ist. Die Impfung sei der einzige Weg aus der Pandemie, sagte Schieffer gegenüber dem «Deutschen Ärzteblatt».
Den Post-Vac-Betroffenen hilft das alles reichlich wenig. Sie möchten, dass ihre Beschwerden ernst genommen werden, und vor allem, dass auch von staatlicher Seite das Post-Vac-Syndrom anerkannt wird – bis hin zu (noch immer fehlenden) Entschädigungszahlungen. In Deutschland ist man diesbezüglich schon einen Schritt weiter. So plant das Paul-Ehrlich-Institut – das deutsche Pendant zur hiesigen Arzneimittelbehörde Swissmedic – zusammen mit der Uni Marburg eine Studie, in der lang andauernde Beschwerden nach einer Covid-Impfung analysiert werden sollen. Das ist zwar nur ein Anfang, aber für die Betroffenen ein kleines Zeichen, dass sie ernst genommen werden. Auf einen ähnlichen Fingerzeig warten Post-Vac-Patientinnen in der Schweiz bisher vergebens.
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