Papablog: Selbstständige TeeniesMeine Tochter will ausziehen? Gut so!
Warum es unseren Autor alles andere als traurig stimmt, wenn der Nachwuchs so bald wie möglich ausziehen will.
In ein bis zwei Jahren werde ich nicht sagen können, dass ich nicht vorgewarnt wurde: Meine älteste Tochter wird diesen Sommer Sechzehn und weiht ihr näheres Umfeld relativ grosszügig in ihren Plan ein, so bald wie möglich auszuziehen. Nachbarn, Freunde, Verwandte – wenn irgendwer meine Grosse nach ihren Vorstellungen für die Zukunft fragt, dann sagt sie ohne Umschweife, dass sie sich jetzt erstmal auf ihr Abitur konzentriert und dann auszieht.
Sie sagt das mit so viel Begeisterung und Überzeugung, dass einige innerlich zusammenzucken und anfangen, fragend von ihr zu mir oder meiner Lebenskomplizin zu schauen. Die wenigstens sprechen es aus, aber in diesen Blicken geht es immer darum, «ob wir ok sind» oder irgendetwas passiert ist, was dem Wunsch meiner Tochter nach Unabhängigkeit eine solche Dringlichkeit verleiht.
Alles in Ordnung bei euch?
Ich kann das nachvollziehen, mir ginge es vermutlich genauso. Wenn mich meine Älteste und unsere Beziehung nicht eines Besseren belehren würde, wäre ich womöglich auch ein wenig befremdet, wenn die jugendlichen Kinder von Freunden und Bekannten ihre Ausziehpläne so mir nichts, dir nichts auf den Tisch legen würden. Ich würde mich auch fragen, ob da alles in Ordnung ist, ob es nicht vielleicht Stress und Konflikte gibt, die durch eine rasche Trennung beendet oder zumindest deeskaliert werden sollen.
Die Sache ist nur die: Weder meine Lebenskomplizin noch ich haben Beef mit unserer Tochter. Sie ist ziemlich grossartig, macht ihr Ding, ist allgemein sehr wertschätzend und wir verbringen gerne Zeit miteinander. Gelegentlich streiten wir uns oder schnauzen uns aus miesen Launen heraus an, aber grundsätzlich leben wir ganz gut miteinander. Manchmal treffen wir beide uns nachts um halb eins «aus Versehen» in der Küche und machen uns noch eine Kleinigkeit zu essen. Ich schicke ihr Bilder von alten Bibliotheken, die sie alle nach ihrem Auszug besuchen will, und sie mir Spotify-Listen, auf denen von The Clash über Queen bis Billie Eilish alles dabei ist. Und wenn ich am Nachmittag auf irgendeinem Sofa oder Teppichfussboden einschlafe, weil ich lange gearbeitet habe, dann wirft sie eine Decke über mich.
Freiheitsliebende Kinder
Was ich damit sagen will: Wir kommen miteinander klar und das würden wir auch, wenn sie nicht die erste Gelegenheit ergreift, auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Gleichzeitig passt dieser Plan haargenau zu ihr. Zu ihrer Neugier, ihrer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Und er passt auch zu uns. Wir mögen unsere freiheitsliebenden Kinder und es macht grossen Spass, ihnen dabei zuzusehen, wie sie immer mehr Dinge selbst in die Hand nehmen, Beziehungen eingehen, Entscheidungen treffen, Konsequenzen übernehmen.
Ich freu mich auf meine erwachsene Tochter. Natürlich wird mir mein Mädchen auch fehlen. Aber das Baby, das sie war, hat mir auch schon vor 15 Jahren gefehlt, der vorlaute Wildfang vor 10 und die aufgeregte Gymnasialanfängerin vor 5. All diesen Dingen ist sie längst entwachsen. Zugleich wachsen sie und ich in neue Beziehungszusammenhänge, in denen mich ihre politische Meinung, ihr Kunstgeschmack oder ihre Reisevorstellungen interessieren.
Manches wird wehtun
Vieles wird anders, neu und ungewohnt, wenn sie nicht mehr mit uns zusammenwohnt. Manches davon wird sicher auch wehtun. Aber wenn wir uns morgens begegnen, ich ihr sage, dass sie viel zu wenig schläft, und sie mit einem kritischen Blick auf meine Frisur feststellt, dass «ich mal was mit meinen Haaren machen müsste», bin ich mir sicher: Das meiste wird sehr, sehr gut.
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