Mamablog: Stress lass nach!Mein unnachhaltiges Weihnachten
Unsere Autorin hat für einmal einen Plastik-Adventskalender bestellt – und deswegen ein ziemlich schlechtes Gewissen.

30. November. Um diesen Tag herum erreicht die Kurve zum Begriff «Adventskalender» auf Google-Trends ihren Höhepunkt. Das deutet darauf hin, dass viele Menschen erst einen Tag vor dem ersten Dezember über Adventskalender nachdenken. Bei mir sah das in der Vergangenheit genauso aus:
Im letzten Moment durch die weihnachtsbeschmückte Altstadt hetzen und 24 kleine, nachhaltige und pädagogisch wertvolle Spielsachen suchen. Und nachdem ich nur deren sechs fand, überlegen, ob ich den Rest mit Schoggi auffüllen kann, oder ob ich damit meine Dreijährige zu stark überzuckere.
Zeit, Fotos und Plastik
Im Jahr drauf: «Zeit statt Zeug»-Adventskalender (Mehr dazu inkl. PDF zum Download findet ihr hier). Fand ich super. Meine Tochter nicht, denn das Nachbarskind hatte einen dieser Adventskalender mit dem vielen kleinen Plastikspielzeug.
Im letzten Jahr hatte ich dann die Idee mit dem «Du gehörst dazu»-Adventskalender, bei dem jeden Tag ein Foto des Kindes mit einer besonderen Erinnerung aus dem letzten Jahr drin ist. Fanden die Kinder grossartig, vor allem weil die Alben auch unter dem Jahr sehr gerne angesehen werden. Doch so ein Fotoadventskalender kostet eben auch viel Denkarbeit und Zeit. Ressourcen, die ich dieses Jahr einfach nicht aufbringen wollte.
Am nächsten Tag lag in unserem Hauseingang ein Paket mit 24 überteuerten, in China produzierten Plastikhunden.
Und so erledigte sich die Adventskalenderfrage dieses Jahr innert 4,5 Minuten. Mit einem Klick im Onlinewarenhaus. Am nächsten Tag lag in unserem Hauseingang ein Paket mit 24 überteuerten, in China produzierten Plastikhunden.
Katastrophale Zukunftsszenarien
Als ich Mutter wurde, wurde der Klimawandel für mich viel bedrohlicher. Wenn das Pariser Klimaabkommen weiterhin so schlecht eingehalten wird, wird es im Jahr 2050 – dann wären meine Töchter so alt wie ich heute – katastrophal stehen um unsere Welt. Das Klima würde sich um mehr als 1,5 Grad erwärmen (Quelle: IPCC), die Meeresspiegel werden angestiegen sein, Millionen Menschen werden ihre Heimat verlassen müssen und auf der Flucht sein. Nahrungsmittel und Wasser werden knapper. Kriege um Ressourcen und Wetterextreme werden an der Tagesordnung sein.
Seit ich klein bin, esse ich keinen Fisch, Fleisch und Eier. Ich bin in den letzten 10 Jahren zwei Mal geflogen, liebe mein Velo und fahre vielleicht einmal im Jahr mit dem Mobility-Combi zur IKEA. Auch bin ich seit Jahren Mitglied der grünen Partei und wohne in einer klimaneutralen Genossenschaft. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – löst der Anspruch, grün zu leben, einen grossen Druck auf mich aus, von dem sich zu befreien, gar nicht so einfach ist.
Kann ich mir diese Halbpatzigkeit leisten?
Die Klimakrise ist nicht nur ein Problem, das wir allein durch unseren Konsum lösen können. Was nicht heisst, dass ich unserer Familie den nächsten Flug in die Malediven buche. Was aber auch nicht heisst, dass ich mich einem mentalen Nachhaltigkeitswettbewerb aussetzen muss. Denn es gibt Zeiten, da habe ich keine Zeit auf Secondhandbörsen nach richtigen Kleidergrössen zu suchen oder nach einigermassen nachhaltigen und bezahlbaren Kinderkleidern zu recherchieren. Dieser Advent wird so eine Zeit sein. Weil ich dieses Jahr nicht anders kann. Weil ich sehr müde bin. Und weil ich diese Müdigkeit dieses Jahr auch wahrnehme und meine Prioritäten auf Meditation und einsame Spaziergänge lege, statt auf nachhaltige Weihnachten.
Grünes Leben ist ein Ziel, kein Ideal.
Und so sitze ich da vor meinem Adventskalender voll kleiner Polizeihunde. Und versuche, meine inneren Perfektionismusstimmen ruhig zu halten. Grünes Leben ist ein Ziel, kein Ideal. Und ich weiss, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man es mal nicht hundertprozentig durchzieht, macht null Sinn. Und doch fühlt sich dieser Adventskalender ein wenig an wie Selbstbetrug.
Eine Freundin von mir hat dieses Jahr einen einzigen Adventskalender für die ganze Familie. Jeden Tag kommt ein anderes Familienmitglied an die Reihe, man bereitet wichteli-mässig etwas Kleines für den anderen vor. Diese Form von Adventskalender gefällt mir. Es klingt Plastik- und einigermassen stressfrei. Ihre Kinder sind Teenager. Meine nicht. Irgendwann werden wir vielleicht auch so was machen.
Dieser Text erschien zuerst in der «Sonntagspost», dem Newsletter der Autorin: Mehr erfahren
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