Cenk testet LebensweisenMein Monat in der Komfortzone
Die Komfortzone ist ein gefährlicher Ort, heisst es. Grosse Träume sterben hier. Doch in Wahrheit ist sie nur ein Durchfahrtsort. Auf dem Weg der Erkenntnis. Denn dort, wo ein Traum endet, beginnt das Aufwachen.
Be·quem·lich·keit
Substantiv, feminin [die]
etwas, was das Leben erleichtert, etwas Angenehmes; bequeme Einrichtung
[ohne Plural] das Träge-, Faulsein
Ehrlich gesagt, hatte ich es bereits geahnt. Dass es ein hammermässiger Monat sein würde. Es war eine Weile her, seit ich zuletzt mit ihr zu tun hatte, aber die Komfortzone und ich kennen uns schon eine ganze Weile. Wir haben eine bewegte Vergangenheit. Wir sind alte Freunde, sozusagen. Enge Freunde. Sehr eng. Na gut, Geliebte. Seit ich denken kann, führen wir eine leidenschaftliche Hassliebe. Mein Leben lang schon übt sie eine unwiderstehliche Anziehung auf mich aus. Intuitiv zieht es mich zu ihr hin. Und egal, wie oft ich mich von ihr trenne; wir kommen immer wieder zusammen. Nur endet solch eine Phase normalerweise mit schweren Gewissensbissen und gemindertem Selbstwertgefühl. Normalerweise.
Doch dieses Mal war es anders. Zum ersten Mal durfte ich mich reinen Gewissens in ihre Arme fallen lassen. Und einfach nur geniessen. Es war, als wären wir nie getrennt gewesen. Auch das Timing war perfekt. In den Theatern stand die Sommerpause vor der Tür, und ich konnte – abgesehen von den nötigsten Verpflichtungen – so ziemlich tun und lassen, was ich wollte. Und wann ich wollte. Ich kreierte mir mein eigenes kleines Schlaraffenland. Gammelklamotten, Filme, Videospiele, Snacks.
Von wegen tote Träume. Living the dream, baby.
Im Gegensatz zu sonst sah ich die Komfortzone – ohne die negativen Konsequenzen – plötzlich mit ganz anderen Augen. Und zwar so, wie sie tatsächlich ist. Komfortabel. Es war das exakte Gegenteil meines Monats als Selbstoptimierer. Denn aufgrund der unaufhörlichen Optimierung hatte ich dort das Gefühl gehabt, nie irgendwo ankommen zu können. Doch jetzt, als ich aufgehört hatte, in die Zukunft zu schauen und anfing, einfach nur in den Tag hinein zu leben, konnte ich nachvollziehen, wie es sich anfühlen muss, wenn man angekommen ist. Was Sinn macht. Denn man kann erst ankommen, wenn man aufhört, zu reisen. Und dieser Reisestopp war es, der etwas völlig Unerwartetes auslöste. Etwas Magisches.
Breaking News? Ausgewählte Leseempfehlungen? Downloaden Sie hier unsere News-App und bleiben Sie mit den Push-Nachrichten stets auf dem Laufenden. Sie haben unsere App bereits? Empfehlen Sie sie gerne an Freunde und Familie weiter.
In der Komfortzone herrscht der müde Puls des Stillstands. Und in einer Welt, die in vollen Zügen pulsiert und unaufhörlich voranschreitet, wird Stillstand gleichgesetzt mit Tod. Weil sich nichts mehr bewegt. Quasi wie bei der Nulllinie im EKG. Daher war mir klar, dass dies kein Dauerzustand sein konnte. Zumindest für jemanden, der nicht abgeschieden als Selbstversorger lebt. Doch vorübergehender Stillstand ist anders. Er ist eine Pause von dem unaufhörlichen Streben Richtung Zukunft. Eine Auszeit von allem.
Nach einer Weile hatte ich genug Spiele gespielt und Filme gesehen. Ich legte die Ablenkungen zur Seite. Der Lärm der Welt verstummte, und es kehrte Ruhe ein. Ich war mit mir allein. Und realisierte allmählich, wie sehr ich absorbiert gewesen war von den täglichen Aufgaben, Verpflichtungen, Ablenkungen und dem ständigen Drang des Vorankommens.
Ich begann zu hinterfragen, warum mich meine Intuition immer schon weg von all jenem geführt und hin zur Komfortzone bewegt hatte. Was, wenn es meiner Intuition gar nicht um meinen Komfort ging? Was, wenn mich mein innerer Trieb gar nicht zum Faulenzen bewegen möchte, sondern mir etwas ganz anderes sagen will? Was, wenn der Stillstand nur der erste Schritt ist? Und meine Intuition mich nur hierher führt, damit ich von hier aus etwas anderes tun kann. Reflektieren, zum Beispiel. Das Leben pausieren und überdenken, ob die grossen Träume, die ich ausserhalb meiner Komfortzone anstreben würde, meine eigenen sind. Oder ob ich sie nur aufgrund einer Konditionierung anstrebe.
Oder gar gänzlich aussteigen.
Nächsten Monat möchte ich das ausprobieren. In absoluter Abgeschiedenheit. In einem Zelt in den Bergen.
Vermutlich werden tatsächlich manche Träume sterben. Aber nicht durch Selbstaufgabe, sondern durch Selbstfindung. Hoffe ich zumindest.
Fehler gefunden?Jetzt melden.