Papablog: Pikachu, App und TamagotchiMein Kind hat mich mit Pokémon angesteckt
Kindergarten-Mafia, kleine Viecher mit lustigen Namen und viel Beinarbeit: Das Pokémon-Fieber ist besser als erwartet.
Pokémon gibt es seit meiner Schulzeit vor 25 Jahren. Ich interessierte mich nie dafür. Auch der Hype um das Handyspiel Pokémon GO vor gut vier Jahren ging ohne zu grüssen an mir vorbei. Und schon bald redete niemand mehr davon. Dass es die App noch gibt, war mir schon bewusst. So wie die nicht vollständig ausgebislete Glut eines einst stolz lodernden Lagerfeuers, um das sich alle scharten, bevor sie zu neuen Abenteuern aufbrachen. Dass diese Glut aber meine Familie erwärmen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Eines Tages brachte der Brecht zwei Pokémon-Sammelkarten nach Hause. Offenbar bildete sich an seiner Schule gerade ein Tauschring und der Brecht plante, kräftig mitzumischen. Na gut. Wir kauften ihm ein erstes Set von 20 Karten und ersteigerten auf eBay Pikachu – weil ohne Pikachu kann man sich ja nicht sehen lassen. Kurz darauf sahen wir die Euphorie nach einem guten Tausch und Tränen, als der Brecht zum ersten Mal übers Ohr gehauen wurde. Die Mafia ist ein Kindergarten im Vergleich zur Sammelkarten-Clan-Kriminalität … im Kindergarten.
Hilfe, das Kind redet in Zungen!
Inzwischen binge-watcht der Brecht in seiner freien Bildschirmzeit Pokémon-Zeichentrickfolgen. Er rutscht immer tiefer ins Milieu. Und mit ihm die ganze Familie. Da ich kein Gamer bin, übernahm erst meine Frau die ganze Betreuungsarbeit, die bei so einem Hobby für die Eltern anfällt. Doch ich hatte ein Problem: Ich verstand nicht mehr, wovon mein Kind redete. Stollrak, Glumanda, Ladeattacke, Trainerkampf. Hä? Als der Brecht und meine Frau dann auch noch Pokémon GO auf dem Handy installierten, musste ich reagieren. Schliesslich wollte ich nie einer dieser Väter sein, die nicht wissen, was ihr Kind beruflich macht. Und im Moment arbeitet der Brecht nun einmal Vollzeit als Jäger und Trainer kleiner Viecher mit lustigen Namen.
Also laufe nun seit drei Wochen auch ich mit dieser App rum, werfe Pokebälle aus, kämpfe und pflege die geschwächten Monster mit magischen Tränken. Das Spiel ist unterhaltsam, die App gut gemacht. Ich will nicht lügen, eventuell habe ich sogar etwas Spass. Das Beste aber ist: Um Pokémon aus Eiern auszubrüten, muss man rumlaufen. Autofahren zählt nicht, ich habe es ausprobiert. Auch um diverse Gegenstände einzusammeln und nicht immer nur dieselben drei Pokémon vor dem Hauseingang zu fangen, müssen wir raus in die Natur. Der Brecht, der sich zuvor um jeden Familienspaziergang foutierte, absolviert nun Märsche, als würde er sich auf die Panzergrenadier-RS vorbereiten.
«Hast du Evoli zu Flamara oder Blitza entwickelt?»
Dass mich der Brecht mit dem Pokémon-Fieber angesteckt hat, nehme ich ihm nicht übel. Besser als Magen-Darm. Allein für die Vater-Kind-Beziehung lohnte sich die Infektion. Ich erinnere mich noch an das gute Gefühl, wenn ich als Kind oder Jugendlicher meine Eltern für meine Interessen begeistern konnte. Was mir zum Beispiel mit dem Tamagotchi nie gelang – rückblickend verständlich.
Mein Pokémon-Fieber wird nicht lange andauern. Ich bin immer noch kein Gamer und die App wird mich in zwei, drei Wochen langweilen. Aber das Fachvokabular habe ich ja jetzt drauf. Das reicht, um auch weiterhin mit dem Brecht zu fachsimpeln.
Jetzt hoffe ich, dass Beebers in seiner Schulzeit nicht auf ein Chapter der Tamagotchi-Angels trifft. Das mache ich nicht mit. Nicht noch einmal, nachdem ich meins 1997 während dem Skilager zu Hause vergessen hatte, wo es elendiglich verhungerte.
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